Unerwarteter Besuch

462 29 1
                                    

Die Nacht war schwer. All die Erinnerungen, die ich mit diesem Zimmer verband und die Ereignisse des vergangenen Tages, ließen mir keine Ruhe. Ich schlief sehr schlecht. Schaffte es nicht einmal, ein paar Stunden am Stück durchzuschlafen, ehe mich die Unruhe in meinen Knochen wieder aus dem Schlaf riss. Als ich an diesem Morgen aufstand um meiner neuen Arbeit nachzugehen, konnte ich kaum meine Augen offen halten. Aus einigen Stofffetzen, die ich in der Nähstube der Zofen hatte auffinden können, bastelte ich mir mit einigen Handgriffen ein paar neue Kleidungsstücke, um nicht länger die Zofen-Kleidung tragen zu müssen. Nachdem ich mir eines der grob zusammengeschneiderten Kleider übergeworfen hatte, verließ ich das Zimmer und machte mich auf den Weg zur Küche.

Mit etwas Glück war Keylam dort und würde mir mit seiner Anwesenheit die Stimmung ein wenig erhellen. Die Gänge des Schlosses wurden nur spärlich durch die bereits aufgehende Sonne erhellt. Nach dem grauen Wetter der letzten Tage, schien sich die Sonne mit ihren freudigen Strahlen regelrecht einen schlechten Scherz zu erlauben. Dieses wunderbare Wetter passte rein gar nicht zu der aktuellen Stimmung innerhalb des Schlosses. An der Küche angekommen, betrat ich diese ohne zu zögern und wurde direkt von klapperndem Geschirr und herumschwirrenden Menschen empfangen. Keiner von ihnen schien mich beim Hereinkommen zu bemerken. Sie waren alle zu sehr mit ihrer eigenen Arbeit beschäftigt.

Mit einer flinken Bewegung griff ich nach einem Korb, der in der Nähe der Tür abgestellt worden war und verließ die Küche ebenso unbemerkt, wie ich diese betreten hatte. Dort herrschte für mich zu viel Trubel für einen so frühen Morgen. Ich brauchte ein wenig Ruhe, um meine müden Zellen in Schwung zu bringen und meine Gedanken zu ordnen. Obwohl es draußen noch immer kalt sein würde, hielt ich es dennoch für eine gute Idee, für einen kurzen Augenblick hinaus zu gehen, ein wenig kühle Morgenluft zum Durchatmen zu nutzen und möglicherweise auch ein paar Kräuter mitzunehmen, sollte ich diese finden. So genau hatte ich mir den Garten noch nicht angesehen. In meiner Vorstellung, schillerte er voller bunter Farben.

Um den Garten zu erreichen, musste ich bedauerlicherweise die Eingangshalle durchqueren und wie es dieser ohnehin bereits unschöne Morgen wollte, hörte ich plötzlich Stimmen, als ich mich dieser langsam näherte. Da ich nicht sofort identifizieren konnte, zu welchen Personen diese Stimmen gehörten, versteckte ich mich augenblicklich in einer Ecke, direkt neben der Eingangshalle, um nicht sofort entdeckt zu werden. Sollte es der König sein, wollte ich vermeiden, ihm direkt vor die Füße zu laufen. „Lassen Sie niemanden hinein oder hinaus. Erstatten Sie mir Bericht, sobald ich zurück bin."

Unverkennbar war es die Stimme des Königs, die durch die Gänge schallte und meine Vermutung somit bestätigte. Erst dann realisierte ich die von ihm gesagten Worte. Er würde das Schloss verlassen. Nun blieb nur noch die Frage, wie lange er abwesend sein würde. Ich blickte vorsichtig um die Ecke. Versuchte, einen flüchtigen Blick in die Eingangshalle zu erlangen. Darauf bedacht, möglichst unbemerkt zu bleiben. Am gestrigen Tag war es ein seltsames Gefühl gewesen, mich in diesem Schloss wie ein Geist zu bewegen. Leise und unbemerkt. Nun war ich dafür sogar dankbar.

Ich entdeckte den König, der sich mit dem Rücken in meiner Richtung befand und mit einem der Wachmänner unterhielt. Ein genauerer Blick verriet mir, dass dies nicht Jurian war. Er wachte womöglich noch immer vor den Toren und bekam von alldem nichts mit. Der König bewegte sich schließlich in Richtung des großen Eingangstores und der Wachmann folgte ihm. „Selbstverständlich, eure Majestät." Aus der Intuition heraus, entfernte sich mein Blick vom König und wanderte zur breiten Treppe, die hinauf in das obere Stockwerk führte. Würde ich das Risiko eingehen und entgegen der Anweisung des Königs handeln, solange er fort war?

Mein Blick flog zurück zum König und ich konnte gerade noch sehen, wie er vom Wachmann hinaus begleitet wurde und sich die Tore wieder hinter ihnen schlossen. Nach ihrem Verschwinden legte sich wieder Stille über die Eingangshalle. Ich realisierte, dass sich mein Puls in dieser kurzen Zeit deutlich beschleunigt hatte und ich immer mehr mit dem Gedanken spielte, dieses Risiko einzugehen. Nachdem ich Kiyan die Nachricht seiner Mutter zugetragen hatte, war ich den Prinzen nicht mehr begegnet. Ich spürte das Verlangen nachzusehen, ob bei ihnen alles in Ordnung war. Ein kurzer Blick würde bereits ausreichen. Es würde sicherlich nicht viel Zeit in Anspruch nehmen.

Noch einen flüchtigen Blick warf ich zu den nun verschlossenen Toren, ehe ich mich für eine der mir gegebenen Möglichkeiten entschied und mich mit eiligen Schritten der breiten Treppe näherte. Sollte der König kurzerhand entscheiden, zurückkommen, wäre deutlich zu erkennen, was ich vorhaben würde. Daher beeilte ich mich, das obere Stockwerk so schnell wie möglich zu erreichen und in einem der Gänge verschwinden zu können. Glücklicherweise begegnete ich dort keinem der anderen Bediensteten, die dem König womöglich Bericht erstatten würden. Dort oben atmete ich einmal tief durch und suchte dann mit den Augen nach der Tür zum Schlafgemach von Phileas. Sein Raum lag näher an der Treppe, als die der anderen aus der Königsfamilie.

Ich brauchte nur wenige Schritte um an seiner Zimmertür anzukommen, besann mich aber doch und versuchte mit einem ruhigen Klopfen, meine Anwesenheit bemerkbar zu machen. Es war noch früher Morgen. Womöglich schlief er noch und ich riss ihn in diesem Augenblick ungewollt aus dem Schlaf oder er war nicht einmal anwesend. Es bestand immerhin die Möglichkeit, dass er und Kiyan ebenfalls das Schloss verlassen würden. Als sich diese Gedanken in meinem Kopf weiterspannen, öffnete sich plötzlich die Tür direkt vor meiner Nase und ich blickte in ein Paar leuchtend grüne Augen, die von müde wirkenden Liedern umrahmt wurden.

„Es wäre sehr höflich, mich nicht um diese .." noch beim Aussprechen seiner Worte schien Phileas zu erkennen, wen er vor sich hatte und der Ausdruck auf seinem Gesicht veränderte sich schlagartig. Dieser zeigte jedoch keine sonderliche Freude über mein Auftauchen. Nur ein kurzer Kraftaufwand seinerseits war notwendig, um meinen Arm zu ergreifen, mich ins Innere des Zimmers zu ziehen und die Tür wieder hinter mir zu schließen. Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil, dennoch kam es mir wie in Zeitlupe vor. „Du solltest nicht hier sein, Camilla. Das ist eine durchaus dämliche Idee." Sein Blick war direkt auf mich gerichtet und ich wagte es im ersten Moment nicht, auch nur ein einziges Wort darauf zu antworten.

„Sollte Vater mitbekommen, dass du dich hier herumtreibst.." begann er, verstummte dann allerdings als er festzustellen schien, dass er meinen Arm noch immer mit einem festen Griff umklammerte. „Bitte entschuldige." Augenblicklich löste er seine Hand von meine Arm und trat ein paar Schritte von mir zurück. Brachte wieder ein wenig Distanz zwischen uns. Bei genauerer Betrachtung fiel mir nun auf, dass nicht nur seine Augen diesen müden Ausdruck zeigten. Allerdings hegte ich die Vermutung, dass nicht er selbst für diese Müdigkeit verantwortlich war. „Ich hatte nur nachsehen wollen, ob alles in Ordnung ist. Bitte verzeih mir, sollte ich dich gestört haben."

Ein kurzes Anheben seiner Mundwinkel, welches daraufhin folgte, hinderte mich daran umzudrehen, und den Raum wieder zu verlassen. „Du spielst wahrlich mit dem Feuer. Vater wird nicht lange fort sein, lediglich wenige Stunden." Erklärte er, deutete mir dann aber an, dass ich mich setzen sollte. Während ich mich mit nun eher unsicheren Schritten den Sesseln näherte, fiel mir der Zustand seiner Kleidung auf, die er trug. Keine Veränderung seit dem gestrigen Tag. Der Stoff schien in dem frühen Licht der aufgehenden Sonne allerdings ein paar deutliche Falten abzuzeichnen.

„Du hast nicht geschlafen." Gab ich daher von mir, was das anfängliche Lächeln auf Phileas Lippen wieder verschwinden ließ. „Keine einzige Sekunde." Gestand er daraufhin, was ich ohnehin bereits geahnt hatte. „Wenn ich ehrlich bin, ich bin todmüde. Als wäre eine Horde Pferde auf mir herumgetrampelt." Wenigstens hatte er trotz des gravierenden Ereignisses seinen Humor nicht gänzlich verloren. Er sorgte somit dafür, dass ich mich nun wieder ein wenig entspannte. „Ein warmer Tee hätte dir sicherlich helfen können. Es gibt einige Kräuter, die.." begann ich, ihm einen Vorschlag zu unterbreiten, obwohl sich im Nachhinein herausstellte, dass dies keinen Unterschied gemacht hätte.

„Bitte versteh mich nicht falsch. Mutters Tod zerreißt mir das Herz, dennoch hätte ich jederzeit schlafen können wie ein Bär im tiefsten Winter." Nun tauchte wieder ein zögerliches Lächeln auf seinen Lippen auf, ehe er sich auf dem Sessel neben dem Meinen niederließ. Seine Aussage jedoch, ließ mich verwundert die Stirn runzeln. Aus welchem Grund hatte er dann kein Auge zubekommen können? Schließlich war ihm dieser fehlende Schlaf, selbst in dem noch nicht vollkommen erhellten Raum, deutlich anzusehen. „Das verstehe ich nicht."

„Natürlich nicht." Gab Phileas daraufhin mit einem Murmeln von sich. Mit einer kurzen aber eindeutigen Bewegung deutete er an die Wand, die das nebenliegende Zimmer von seinem trennte. Das Lächeln auf seinen Lippen war erneut verschwunden. Es bereitete mir ein wenig Sorgen, seine sonst so unbekümmerte Stimmung nun nicht mehr an ihm zu erkennen. Er wirkte um einiges ruhiger als in den Monaten zuvor. Den Schmerz schien er gut verkraften zu können oder er war nur ausgesprochen gut darin, dies vorzutäuschen. Er hatte sich dennoch ein wenig verändert. „Kiyan hat mich nicht schlafen lassen. Er war wach, die gesamte Nacht." 

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt