Zeit zu leben

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Ich weiß nicht, was ich bei unserer Rückkehr zum Schloss erwartet hatte. Auf keinen Fall war es diese Stille, die um das dunkle Schloss lag und alles um uns herum in ein bedrückendes Schweigen hüllte. „Ich werde dich nicht mit ihm alleine lassen." Hörte ich, wie in der vergangenen Stunde so oft, leise Kiyans raue Stimme an meinem Ohr. Es sollte mich beunruhigen, zu wissen, dass ich in wenigen Augenblicken wieder dem König vor Augen treten würde und zugegebenermaßen tat es dies auch. Seine Worte hingegen, verursachten ein schwaches aber dennoch wahrnehmbares Gefühl von Sicherheit in meiner Magengegend. Eine Stelle an meinem Körper, die mir noch immer unausgesprochene Schmerzen bereitete.

Kiyan stieg zuerst vom Pferd, ehe er mir half, wieder Boden unter meinen Füßen zu erlangen. Ein schmerzhaftes Ziehen ging durch meine Bauchgegend, doch ich versuchte den Schmerz zu überspielen, als ich den prüfenden Blick eines grauen Augenpaares auf mir wahrnahm. Glücklicherweise lenkte Jurian Kiyans Aufmerksamkeit von mir ab, als er sich mit Amalia an seiner Seite, zu uns gesellte. „Nun, werter Kronprinz. Wie werden wir nun vorgehen? Es wäre sicherlich nicht von Vorteil, kommentarlos dort hineinzuspazieren."

Ich sah, wie sich Kiyans Kiefer bei seinen Worten ein wenig anspannte, bevor er ihm antwortete. „Genau dies werden wir tun." Der blonde junge Mann blickte dem Braunhaarigem ungläubig hinterher, nachdem sich dieser in Bewegung gesetzt hatte und ich ihm unaufgefordert folgte. Das Pferd ließen wir dort in der Nähe der Tore stehen. Es stand außer Frage, dass ich Kiyan vertrauen musste. Was auch immer nun geschah, Jurian würde mir keine große Hilfe sein können. Der Kronprinz, der sich in diesem Moment noch einmal prüfend zu mir umdrehte, strahlte eine seltsame Ruhe aus. Eine Form von Selbstsicherheit, die mich irritierte.

Vor den Toren befanden sich keine Wachen, was einen fragenden Ausdruck auf meinem Gesicht hinterließ. Die großen Tore des Schlosses waren niemals vollkommen unbewacht. „Kiyan.." ich wollte ich darauf ansprechen. In Erfahrung bringen, warum sich keine Wachen auf ihren Posten befanden, um ihrer Pflicht nachzugehen. Er reagierte jedoch nicht auf die Nennung seines Namens, sondern widmete sich lediglich mit einem gedämpften Klopfen an die meterhohen Tore, als wir diese schließlich erreichten.

Es dauerte einen Moment, ehe sich eine Regung hinter diesen vermuteten ließ. Die Tore setzten sich bedacht langsam in Bewegung. Nur so weit, dass es uns möglich war, hindurchzutreten. In dem dämmrigen Licht, konnte ich nun doch vereinzelte Wachen entdecken, welche uns soeben den Zutritt zum Schloss verschafft hatten. Ihre Blicke lagen misstrauisch auf uns, doch nach Kiyans ruhigen Worten wiegte ich mich in Sicherheit, dass uns kein einziger von ihnen zu nahe kommen würde.

Sobald wir die Eingangshalle betraten, kroch ein Frösteln über meine Arme und bereitete sich über meinen gesamten Körper aus. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, seit ich das Schloss zum letzten Mal betreten hatte. Kiyan blieb stehen und drehte sich zu mir um. Es schien, als hätte er etwas sagen wollen, doch als sein Blick auf mir landete, verstummten seine Worte augenblicklich. Der Blick, mit dem er mich ansah, wurde eiskalt. Ein unangenehmes Gefühl bereitete sich in meiner Magengegend aus und ich spürte, wie die Angst wieder von mir Besitz zu ergreifen versuchte. Kiyan war nun sichtbar angespannter als zuvor, als er seinen Blick von mir abließ und hinter mich, in die Richtung von Jurian und Amalia blickte.

„Ich werde nach Phileas suchen, bitte wartet hier auf ihn." Eine, wenn auch befehlend klingende Bitte aus Kiyans Mund. Das war mir ausgesprochen neu. Besonders in Bezug zu Jurian. Ich konnte mir noch immer nicht genau erklären, warum sie zueinander solch eine Abneigung hegten. Sie verfolgten das gleiche Ziel und doch schienen sie einen stummen Kampf miteinander auszutragen. Ohne auf eine Antwort unsererseits zu warten, setzte sich Kiyan wieder in Bewegung und lief die Stufen der breiten Treppe in das obere Stockwerk hinauf. Ein wahrliches Unbehagen bereitete sich in mir aus, sobald er aus meiner Sichtweite verschwand.

Wir drei, die Geächteten und Verhassten des Königs, blieben vollkommen allein in der Eingangshalle zurück. Um uns herum war kein Laut zu hören und auch die Wachen innerhalb der großen Eingangstore, hatten es sonderbarerweise nicht für notwendig gehalten, uns Gesellschaft zu leisten. Die Gänsehaut auf meinem Körper verflog nicht. Sie wurde sogar noch unangenehmer, als ich Phileas erblickte, der in diesem Augenblick aus einem Gang in der Nähe heraustrat. Als auch er unsere Anwesenheit wahrnahm, blieb er wie versteinert stehen. „Camilla?"

Seine Stimme klang fragend. Er schien nicht erwartet zu haben, uns hier zu sehen. Die Richtung aus der er gekommen war, deutete zudem darauf hin, dass er Kiyan nicht angetroffen haben musste, welcher uns mitgeteilt hatte, dass er nach ihm suchen würde. Hier stimmte etwas nicht. Phileas setzte sich wieder in Bewegung und sein Blick lag musternd auf mir. Keinen Zentimeter meines Körpers schien er dabei auslassen zu wollen, bis er langsam begann, den Kopf zu schütteln. „Hat mein Bruder euch hierher gebracht?" fragte er uns, was ich lediglich mit einem Nicken beantwortete.

„Er ist wieder verschwunden, um nach dir zu suchen. Scheint sich wohl erledigt zu haben." Gab Jurian als Erklärung von sich, dessen Worte von Phileas jedoch kaum beachtet wurden. Sein Blick lag stumm auf mir, doch in seinen grünen Augen konnte ich förmlich das aufkommende Chaos seiner Gedanken sehen. „Folge ihm." Sein Blick wurde nun wieder klarer und heftete sich auf meine Augen. Der Ausdruck auf seinem Gesicht wirkte kühl, was mich nur noch weiter in meiner Vermutung bestärkte, dass etwas absolut nicht in Ordnung war. „Bitte."

Das letzte ausgesprochene Wort, diese Bitte, welche von einem Hauch aus Sorge begleitet wurde, ließ mich nur einen winzigen Sekundenbruchteil zögern. Ich wusste nicht, was geschehen war oder woran Phileas in diesem Augenblick gedacht haben musste. Doch die Sorge in seiner Stimme war seit jeher immer berechtigt gewesen. Besonders was seinen Bruder betraf, legte er nur Karten der Wahrheit auf den Tisch. Eine Frage trat in mir auf, welche ich zugleich bereits selbst beantworten konnte. Kiyan hatte nicht vorgehabt, nach seinem Bruder zu suchen. Er hatte gelogen.

Das Innere meines Körpers zog sich augenblicklich schmerzhaft zusammen. Meine Beine bewegten sich förmlich wie von selbst, während meine Gedanken rasten und sich fragten, wohin Kiyan gegangen sein musste. Er war verschwunden, trotz seiner Aussage, dass er mich nicht mit seinem Vater alleine lassen würde. Was würde geschehen, sollte sein Vater nun aus den nahegelegenen Gängen hervorkommen und erneut seinen Zorn über uns auslassen? Mein Puls beschleunigte sich, während ich die Stufen der breiten Treppe in der Eingangshalle erklomm und mich daraufhin in dem angrenzenden Gang umsah. Kiyan war nicht zu sehen. Lediglich eine einzige Tür in diesem Gang, stand einen kleinen Spalt breit geöffnet. Dieser Anblick jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken.

Phileas unausgesprochene Befürchtungen konnten falsch sein, doch auch ich verspürte ein mehr als unangenehmes Gefühl in der Magengegend, als ich mich dieser spärlich geöffneten Tür näherte. Es war das Schlafgemachs des König, was dazu führte, dass sich meine Schritte automatisch verlangsamten. Ich konnte mich getäuscht haben und Kiyan war vollkommen unbemerkt in seinem eigenen Schlafgemach verschwunden. Wodurch ich dem König, sollte ich durch diese geöffnete Tür hindurchtreten, ohne weiteres in die Arme laufen würde. Gänzlich allein und schutzlos, bloßgestellt mit den Wunden, die er mir zugefügt hatte.

Mein Verstand riet mir, mich auf der Stelle umzudrehen und diese Tür zu ignorieren. Kiyan konnte durchaus in einem anderen Raum verschwunden sein. Meine Hände zitterten vor Angst, als ich, trotz der ständigen Mahnung meines Verstandes, eine Hand an die Tür legte und sie vorsichtig ein Stück weiter öffnete. Im Inneren des Raumes war lediglich ein gedämmtes Licht zu sehen. Eine einfache Kerze, in der Nähe des Bettes. Mein Herz schien auf der Stelle stehen zu bleiben, als ich genau erkannte, was sich vor mir befand. Ein erleichternder Anblick, da der König nicht bei Bewusstsein war, sondern zu schlafen schien.

Im nächsten Moment jedoch, breitete sich eine erneute Mischung aus blanker Panik und einem Hauch von Sorge in mir aus. Ein Gefühl, welches mich wie eine Welle überkam. „Kiyan, warte!.." Meine Stimme hatte ihren ruhigen Klang verloren und wirkte nun kratzig, beinahe heiser. Nur wenige Sekunden dauerte dieser schweigende Moment, der uns daraufhin umgab und diesen Raum in eine wahrlich unendliche Leere hüllte. Kiyan reagierte nicht sofort auf mich. Doch als er es tat und seinen Blick in meine Richtung wandte, trat ich verängstigt einen Schritt zurück.

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt