Wunder der Natur

727 47 1
                                    

Nur langsam ließ mich diese Dunkelheit aus ihren Fängen und ich spürte nach einer Weile, wie sich mein Körper zu bewegen schien. Jedoch arbeitete keiner meiner Muskeln. Daran hätte ich in diesem Augenblick nicht einmal denken können. Ich fühlte lediglich, wie sich mein Körper in einem fast gleichmäßigen Takt zu bewegen schien. Weitere Sekunden vergingen, in denen meine Sinne sich langsam wieder an das erinnerten, wofür sie zuständig waren. Nur mit etwas Anstrengung schaffte ich es, meine Augen zu öffnen. Mit dem Wunsch, sehen zu können, was um mich herum geschah.

Mein Blick richtete sich sofort auf die schwarze Mähne eines Pferdes direkt vor mir. Auch wenn ich den Rest meiner Umgebung noch nicht gänzlich klar erkennen konnte, war ich mir sicher, nicht mehr dort zu sein, wo ich zuvor mein Bewusstsein verloren hatte. Um mich herum war noch immer alles dunkel, doch ich war nicht mehr im Wald. Die dumpfen Schritte der Hufe ließen kein Geäst zersplittern. Abgesehen von diesem gleichmäßigen Geräusch um mich herum, war es vollkommen still.

Erst als ich einen seltsamen Druck an meinem Rücken spürte, löste sich meine Aufmerksamkeit von dem sich fast schon rhythmisch bewegenden Hals des Pferdes, welches mich wohl zu tragen schien. Mein Blick sank ein wenig weiter hinab, bis zu meinen Händen, die bis zu diesem Zeitpunkt noch regelrecht leblos heruntergehangen hatten. Nur wenige Zentimeter daneben konnte ich zwei weitere Hände ausmachen. Durch schwarze Handschuhe verdeckt, doch sie hielten die Zügel des Pferdes in der Hand. Was mich darauf schließen ließ, dass mich irgendjemand vor sich auf dieses Pferd gesetzt hatte. Die Frage war nun, wer diese Person war.

Eine Bewegung aus dem Augenwinkel, ließ mich meinen Kopf ein wenig zur Seite drehen und ich konnte recht unscharf einen weiteren Reiter erkennen. Ähnlich dem, der hinter mir sitzen musste. Auch wenn mein Sichtfeld nicht die selbe Schärfe aufweisen konnte, wie es normalerweise der Fall war, kam mir die Person auf dem anderen Pferd bekannt vor. Das ebenso schwarze Pferd, die schwarzen Handschuhe und wie ich bei einem kurzen Windstoß feststellte, auch der selbe schwarze Umhang.

Ich musste mich anstrengen, um die Person etwas deutlicher zu sehen, wodurch das noch immer nicht vergangene Pochen in meinem Schädel wieder ein wenig zunahm. Während sich die Person vor mir langsam in ein schärferes Bild zu verändern schien, versuchte ich mich daran zu erinnern, was geschehen war, bevor ich ein weiteres Mal ohnmächtig wurde. Es ließen sich nur unklare Bilder dabei hervorbringen. Das Flüstern in meinem Kopf, meine lauten Schritte auf dem Waldboden. Ich fiel. Danach endete meine Erinnerung. Wie genau sollte mir dies nun weiterhelfen?

Als hätte die Person vor meinen Augen meine Gedanken hören können, drehte dieser Reiter seinen Kopf in meine Richtung und ich konnte einen Blick auf sein Gesicht gewinnen. Genau in dem Moment, kreuzten sich unsere Blicke und meine Erinnerungen kamen schlagartig zurück. Der Reiter neben uns, war Phileas. Das Grün in seinen Augen war in dieser Dunkelheit nicht zu erkennen, doch seine Gesichtszüge waren mir bekannt. Er war es allerdings nicht, der meinen Puls in die Höhe trieb. Vor Phileas hatte ich keine Angst. Es war eher die Tatsache, dass es lediglich eine einzige Antwort darauf gab, wer nun hinter mir auf diesem Pferd sitzen musste.

„Es ist alles in Ordnung, Camilla." Kam es von Phileas, der meinen nun veränderten Gesichtsausdruck bemerkt haben musste. Ich wusste nicht recht, wie in diesem Moment alles in Ordnung sein konnte. Ich wusste nicht einmal, wohin wir eigentlich unterwegs waren. „Versuch dich bitte nicht zu viel zu bewegen. Du musst dich ausruhen." Ich konnte erkennen, wie sich auf seinen Lippen ein leichtes Lächeln bildete. Wie konnte es sein, dass ich im vorigen Moment noch pure Angst empfunden hatte und nun sogar mit einem Nicken zu verstehen gab, dass ich mich an das halten würde, was er gesagt hatte?

Blieb mir eine andere Wahl? Mir war nicht bewusst, ob ich mich überhaupt selbst auf den Beinen halten könnte, wenn ich spontan beschließen sollte, von diesem Pferd abzusteigen. Ich fühlte mich dafür zu ausgelaugt. War es nicht mein Wunsch gewesen, ins Unbekannte zu reisen? So weit wie ich konnte? „Wo ist Leno?" fragte ich, wobei diese Worte eher mit einem kratzigen Laut meine Lippen verließen. Das Lächeln auf Phileas Blick verschwand und ließ einen fast schon verwirrten Ausdruck auf seinem Gesicht zurück. „Leno?"

„Mein.. mein Pferd. Ich habe ihn aus den Augen verloren." Versuchte ich unter Anstrengung zu erklären, wovon ich sprach. Der verwirrte Ausdruck auf seinem Gesicht blieb bestehen. Er schien einen kurzen Blick zu seinem Bruder zu werfen, der bisher noch immer kein einziges Wort zu mir gesagt hatte. „Wir haben kein Pferd gesehen, Camilla. Aus welchem Grund bist du zu dieser Zeit überhaupt noch unterwegs?" Ich gab daraufhin nur ein leises Seufzen von mir, antwortete allerdings nicht auf seine Frage. Darüber wollte ich nun wirklich nicht sprechen.

Phileas schien dieses Schweigen meinerseits zu akzeptieren, denn er sprach mich nicht weiter darauf an. Ab diesem Augenblick legte sich wieder Stille um uns. Im Vergleich zu vorher, als ich alleine in diesem Wald unterwegs gewesen war, löste diese Stille nun sogar ein Gefühl der Sicherheit in mir aus. Ich war nicht mehr alleine und musste mir auch vorerst keine Gedanken darum machen, wie ich meinen Weg weiter bestreiten sollte. Also überließ ich diesen beiden Brüdern für einen kurzen Moment die Macht darüber, in welche Richtung mein Weg führen sollte.

Mein Sichtfeld hatte sich wieder soweit normalisiert, dass ich nun auch etwas besser erkennen konnte, wo wir uns befanden. Der Wald befand sich nicht weit von uns entfernt und wir ritten über eines der angrenzenden weitläufigen Felder. Obwohl die dunkle Nacht uns umgab, spürte ich die Kälte um uns herum kaum. Wie ich erst jetzt realisierte, lag der Mantel von Phileas Bruder auch ein wenig um meine Schultern, wodurch die Kälte nur in geringem Maße an mich herankam. Obwohl es womöglich ein wenig seltsam aussehen musste, war ich in diesem Moment sogar ganz froh darüber, nicht weiter alleine in dieser Eiseskälte im Wald herumzuirren.

Ich verlor mein Zeitgefühl, da sich die Felder um uns herum kaum zu verändern schienen. Den Wald ließen wir mit jedem Schritt immer weiter hinter uns und waren nun vollends umgeben von diesen weitläufigen Feldern und der reinen Stille.. Mit etwas Mühe, konnte ich sogar vereinzelte Lichtpunkte am Nachthimmel über uns ausmachen. Es war ein wundervoller Anblick, der mich für eine Weile sogar vergessen ließ, aus welchem Grund ich mit diesen beiden Brüdern unterwegs war. Diesmal war ich offen für das, was auf mich zukommen würde.

Als sich die ersten Strahlen der Sonne über dem Horizont erstreckten, endeten die weiten Felder um uns herum und ein weiteres Stück Wald tauchte vor uns auf. Das sanfte Licht, welches den Rand dieses Waldes und auch die Felder in ein goldenes Licht zu tauchen begann, machte zudem noch etwas anderes sichtbar, was ich in der Dunkelheit zuvor nicht hatte erkennen können. Direkt hinter dem Rand des Waldstückes, welches nun eher einer simplen Wand aus Bäumen glich, schien etwas das Sonnenlicht zu spiegeln. Eine schimmernde Fläche, die sich hinter dem gesamten Waldstück zu erstrecken schien.

Neugier machte sich in mir bemerkbar. Natürlich machte es mir auch ein wenig Angst, nicht zu wissen, wohin mich diese Brüder bringen würden. Neue Orte hatte ich in meinem Leben bisher nur selten entdecken können. Doch dieses Schimmern faszinierte mich. Ich traute mich allerdings nicht zu fragen, um was es sich dabei handelte. Wie ich vermutete, würde ich mir dies in den nächsten Minuten bereits selbst erschließen können. Denn unser Weg führte geradewegs auf diese breite Wand aus Bäumen zu, die uns von diesem Schimmern trennte.

Schließlich betraten wir dieses kleine Waldstück und das goldene Licht der Sonne verschwand für einen Moment aus unserer Umgebung. Lediglich der noch dunkle Wald umgab uns und die schimmernde Fläche, direkt vor uns, die mich förmlich in ihren Bann zog. Dieser Anblick kam mir so unwirklich vor, da ich mir dieses Schimmern in keiner Weise erklären konnte. Es war verwirrend und faszinierend zur gleichen Zeit. Ein Wunder der Natur, wären die einzigen Worte gewesen, wenn ich dies in diesem Moment hätte beschreiben müssen.

Umso näher wir dem Ende des Waldstückes und somit auch diesem Schimmern kamen, machte sich mir deutlich, woher diese seltsame Spiegelung des Lichts eigentlich kam. Direkt vor uns erstreckte sich nun eine weite, von Wasser bedeckte Fläche. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Das Wasser spiegelte nicht nur die Strahlen der Sonne und den Himmel über unseren Köpfen. Am anderen Ende dieser weiten Wasserfläche, erhob sich ein Gebäude, welches ich mir nicht einmal zu träumen geglaubt hätte. Im Vergleich zu den Häusern die ich kannte, war dies hier um einiges größer und deutlich aufwendiger gestaltet. Es wirkte majestätisch. Andere Worte fand ich dafür nicht.

„Willkommen Zuhause, Camilla." 

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt