Zuversicht

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„Als ich nach dieser Zeit hier ankam, war es also nicht die Entscheidung des Königs gewesen, dass ich in diesem Schloss verbleiben darf?" Althea schüttelte mit einem kurzen Lachen den Kopf „Oh nein, gewiss nicht. Sie haben sich einen guten Zeitpunkt ausgesucht, er war in dieser Zeit nicht anwesend, wie Sie sicherlich noch wissen. Daher lag die Entscheidung bei mir, ob es Ihnen gestattet wäre, zu bleiben." Durch ihre Aussage entstanden weitere Verknüpfungen in meinen Gedanken und es fühlte sich regelrecht so an, als würden vereinzelte, kleine, schwarze Löcher endlich mit Wissen gefüllt werden.

„Hat er nicht daran gedacht, mich wieder hinauszuwerfen, sobald er zurück kahm? Dass ich Ihrer Tochter so ähnlich sei.. ist ihm dies nicht aufgefallen?" Die Königin schien einen Moment darüber nachzudenken. „Ich muss gestehen, ich weiß es nicht. Neuen Bediensteten war er schon immer sehr skeptisch gegenüber und auch mit meinen Entscheidungen während seiner Abwesenheit, war er nicht immer sonderlich zufrieden. Es ist also durchaus möglich, dass er diese Ähnlichkeit bis heute nicht erkannt hat. Er und Othilia standen sich zudem nicht sehr nahe."

Ich nickte bestätigend. Wissend, dass ich diesen Teil der Geschichte bereits kannte. „Nach seiner Ankunft war er daher der Annahme, Sie wieder hinauswerfen zu müssen. Er hielt meine Entscheidung Ihnen Zuflucht zu gewähren für falsch. Phileas half mir schließlich dabei, ihn umzustimmen. Wir hätten Sie also beinahe wieder verloren." Es waren so viele Informationen die in diesem Augenblick auf mich hinabregneten, dass es einen Moment dauerte, bis ich all dies verarbeitet und verstanden hatte.

„Ich danken Ihnen von Herzen für Ihre Güte, Althea. Sie hatten Recht, ich musste sehr lange über diese Entscheidung nachdenken. Nun bin ich froh darüber, hier zu sein. Ich kann Ihnen für diese Möglichkeit gar nicht genug danken." Diese Worte, die ich von mir gab, entsprachen der Wahrheit. Die Entscheidung, auch nach den ersten vergangenen Tagen weiterhin in diesem Schloss zu bleiben, war schwer. Doch nun, nach dieser Zeit, fühlte ich mich hier langsam zuhause. Es wurde angenehmer, trotz der vielen Arbeit die mich Tag für Tag erwartete. Meine Mutter würde womöglich genauso denken, sie war schließlich von Anfang an begeistert von der Idee, dass ich an diesem Ort arbeiten und leben würde.

„Wohl eher sollte ich Ihnen danken, Camilla. So wie mir, haben Sie auch meinen Söhnen einen kleinen Hoffnungsschimmer gegeben. Womöglich können Sie es nicht sehen, da sie diese Veränderung nicht selbst miterlebt haben. Phileas war nicht immer in einer solch offenen Position. Bevor Sie kamen war er sehr ruhig. Auch zu dieser Zeit hat er sich bereits sehr für seine Mitmenschen eingesetzt, doch schauen Sie ihn sich nun an." In ihren Augen schimmerte so etwas wie Stolz auf und ich war erleichtert, dass dieser schmerzvolle Ausdruck darin verschwand.

„Ich habe ihn schon seit Jahren nicht mehr so lebhaft gesehen. Er ist schon fast ein wenig naiv geworden, doch ihm tut das sicherlich gut." „Ich erinnere mich daran, dass Kiyan erst zu sprechen begonnen hat, sobald wir damals die Tore dieses Schlosses durchschritten hatten." Ein Verhalten, dass ich mir bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht erklären konnte. Althea nickte verstehend, sie schien zu wissen, wovon ich sprach. „Für sie beide war es nicht einfach, als Prinzen dort draußen unterwegs zu sein und nach Ihnen zu suchen, besonders auf dem Markt. Es war riskant, das wussten sie."

„Er ist der Kronprinz, deshalb hat er geschwiegen." Schlussfolgerte ich und rief mir diese Erinnerung dabei bildlich vor Augen. Kiyan war älter als Phileas. Sobald ihr Vater starb, würde er den Thron übernehmen müssen. Dass er die Aufmerksamkeit nicht auf sich lenken wollte, war daher wohl durchdacht. Sollte er ermordet werden oder auf eine andere Weise zu Schaden kommen, wäre diese Monarchie einem Zusammenbruch nahe. Phileas würde diese Bürde nicht übernehmen können, dafür war er nicht gemacht. „Er ist sehr vorsichtig dort draußen. Hier im Schloss allerdings.." Sie schüttelte langsam den Kopf und nahm mir schließlich den Morgenmantel ab, um ihn sich überzuziehen. „Ich vertraue Ihnen, Camilla. Ansonsten würde ich Ihnen dieses Wissen nicht anvertrauen."

Zögernd nickte ich, um dieses Vertrauen zu bestätigen. „Kiyan ist seinem Vater sehr ähnlich. So ähnlich, dass es mir sogar ein wenig Angst bereitet. Dies ist ein weiterer Grund, warum Sie nun hier sind und ich alles daran setze, dass Sie bleiben dürfen. Sobald ich nicht mehr da bin, wird er eine Person brauchen, die ihn weiter auf den richtigen Weg führen kann und ich weiß, dass Phileas dies nicht sein wird. Sie haben den selben Schmerz erlitten, womöglich reißen Sie sich dadurch nur gegenseitig in die Tiefe."

Es war verständlich, dass sie so dachte. Ich hatte bereits den gleichen Gedankengang geführt. Auch Phileas hatte mir gegenüber bereits erwähnt, dass er bei Kiyan meine Hilfe benötigen würde. Er schien selbst genau zu wissen, dass er Kiyan nicht genügend würde zur Seite stehen können. „Sie werden sicherlich selbst erkennen, auf welche Weise die beiden sich gegenseitig beeinflussen. Es ist nicht immer einfach." „Sie sind auf einem guten Weg. Ich werde ihnen helfen, so gut es mir möglich ist." Bestätigte ich die Worte der Königin und konnte nun selbst ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen hervorbringen. Ich war dankbar für ihr tiefgehendes Vertrauen.

Eine gewisse Person ließ ich bei der Aussprache dieser Worte jedoch völlig außer Acht. Erst, als ich anschließend mit Althea den Weg die Treppe hinunter und Richtung Speisesaal antrat, kam mir Jurian wieder in den Sinn. Ich fühlte mich dazu verpflichtet, in diesem Schloss zu bleiben. Zum Willen der Königin und der Verantwortung, die sie mir damit übertrug. Sollte der König also entscheiden, dass Jurian das Schloss verlassen musste, würde er alleine gehen müssen. Ich musste dafür sorgen, dass ich so lange bleiben konnte, wie es mir möglich war. Es tat mir im Herzen weh, dass ich dabei keine Rücksicht auf Jurian würde nehmen können.

Wir legten den Weg zum Speisesaal schweigend zurück. Es war eine angenehme Ruhe, die uns dabei umgab. Alles was erzählt werden musste, war gesagt und ich fühlte mich in der Gegenwart der Königin nun um Einiges wohler, als zuvor. Ich verstand mittlerweile, aus welchem Grund ich hier war und welchen Wert ich für sie hatte. Meine Mutter wäre unheimlich glücklich darüber, wie weit ich an diesem Ort bereits gekommen war. Aus unserem Dorf war niemals jemand zu der Ehre gekommen, dieses Schloss leibhaftig zu sehen und nun lebte ich hier, was ich vor wenigen Monaten noch als einfachen Scherz abgetan hatte.

Vor der Tür des Speisesaals blieben wir stehen, ehe sich die Königin noch einmal mir zuwandte. „Bitte seien Sie geduldig. Im Augenblick geht es hier ein wenig ungemütlich zu. Geben Sie meinen Söhnen die Zeit, die sie brauchen." Noch bevor ich darauf etwas antworten konnte, öffnete sie schließlich die Tür, woraufhin direkt laute Stimmen zu uns hinüber drangen. Im Gang hatte alles so ruhig geklungen, doch nun verstand ich, worauf sie damit ansprechen wollte.

„Das ist kein gerechtfertigtes Argument, Vater!" konnte ich Phileas noch aufgebracht sagen hören, ehe unsere Anwesenheit wahrgenommen wurde. Phileas, der von seinem Platz an dem Tisch aufgestanden war, richtete seinen Blick auf uns, blieb dabei kurz an mir hängen und ließ sich schließlich wieder zögernd auf seinem Platz nieder. Meine Anwesenheit war in diesem Augenblick wohl eher weniger erwünscht. Ich führte die Königin dennoch bis zu ihrem Platz an der langen Tafel. Während sie sich dort niederließ, bemerkte ich den Blick von Kiyan, der nicht weit von ihr entfernt saß und seinen Blick stetig auf mich gerichtet hielt. Er schien mit seinen Gedanken allerdings gänzlich woanders zu sein.

„Sollten Sie noch etwas benötigen, lassen Sie nach mir rufen." Gab ich noch leise von mir und bekam als Antwort ein zuversichtliches Lächeln der Königin. Einen Blick zum König, wagte ich diesmal nicht. Sie schienen alle ein wenig gereizt zu sein, von Althea einmal abgesehen. Ich wollte nicht noch weiter Salz in die Wunde streuen, weshalb ich mich schließlich wieder der Tür des Speisesaals zuwandte und nach nur wenigen, nicht zu eiligen Schritten den Saal wieder verließ. Dort blieb es weiterhin still, was mir eine Gänsehaut bereitete. Es gab mir regelrecht das Gefühl, im Mittelpunkt zu stehen.

Noch wusste ich nicht, dass dies wirklich der Fall war. Denn das, was in diesem Raum zu solchen Ungereimtheiten führte, war weder etwas Familiäres, noch eine politische Entscheidung die getroffen werden musste. Dass diese Unstimmigkeit der einzige Grund dafür war, dass sich die Prinzen so seltsam verhielten und im Allgemeinen in den vergangenen Tagen diese angespannte Atmosphäre im Schloss herrschte, hätte ich nicht für möglich gehalten.

In diesem Moment jedoch, war ich lediglich erleichtert darüber, diesen Saal verlassen zu können. Nun würde ich mir während der anderen Arbeiten ein wenig Zeit nehmen, um all die neuen Informationen zu verarbeiten, die ich nun von der Königin erhalten hatte. Womöglich würden dadurch nur neue Fragen entstehen, aber ich war mir sicher, dass ich mit der Zeit auch auf diese eine Antwort erhalten würde. 

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt