Eine neue Ära

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Nachdem dieses eher einseitige Gespräch mit dem König ein Ende gefunden hatte, drehte ich mich auf der Stelle um und setzte meinen Weg mit schnellen Schritten fort. Noch immer lagen Tränen in meinen Augen, die ich mit großer Anstrengung zurückhielt. Ich wusste, was für ein grausamer Mensch er war. Warum nahm ich mir seine Worte dennoch so zu Herzen, wenn ich wusste, dass er niemals ein einziges nettes Wort über seine Lippen brachte. Nicht einmal bei seinen eigenen Söhnen.

Obwohl Jurian und ich uns eine ganze Weile nicht mehr begegnen würden, hatte ich durch die Worte des König erst wahrlich realisiert, dass wir noch immer miteinander in Verbindung standen. Sollte einer von uns einen Fehler begehen, würden wir beide darunter leiden müssen. Dieser Gedanke gefiel mir ganz und gar nicht. Ich hoffte nur inständig, dass Jurian dem König deutlich seltener unter die Augen kam und er diese Worte nicht auch regelrecht täglich über sich ergehen lassen musste.

An der Tür zum Garten angekommen, hielt ich einen Moment inne und versuchte mich mit dem Wissen zu beruhigen, dass ich dort draußen eine kurze Auszeit von alldem nehmen konnte. Der Garten war in den letzten Monaten einer meiner kleinen Zufluchtsorte geworden. Als Zofe war ich nicht oft hinausgegangen, dazu hatte mir die Zeit gefehlt. Doch nun stand es mir jederzeit offen, ein paar Runden in der frischen Luft zu drehen und mir dieses winzige Gefühl von Freiheit zurückzuerlangen.

Als ich die Tür öffnete, sah ich im ersten Moment nichts, außer eines grauen Wasserschwalls direkt vor mir, der eine Sicht von nur wenigen Metern zuließ. Innerhalb weniger Sekunden, in denen das Wasser vor meinen Füßen auf den Boden prasselte, war der untere Teil meines Kleides vollkommen durchnässt. Der Regen schien förmlich in Strömen aus den Wolken zu fallen. Zögernd trat ich einen Schritt zurück und warf einen Blick auf den Korb in meiner Hand. Ich erinnerte mich an einen meiner ersten Tage an diesem Ort, als ich realisierte, dass dies hier wahrhaftig das Schloss war und ich daraufhin in diesem Garten Zuflucht gesucht hatte.

Auch damals hatte es geregnet, allerdings nicht so stark wie in diesem Moment. Nun passte das Wetter schon deutlich besser zu der aktuellen Stimmung im Schloss. Mit einem bedauernden Seufzen, schloss ich die Tür zum Garten wieder und setzte mich erneut in Bewegung. Diesmal ohne ein bestimmtes Ziel. Auf dem Hinweg hatte ich es gedankenverloren kaum wahrgenommen, doch nun fiel mir die Tür zum Schlafsaal der Zofen wie ein Leuchtfeuer ins Auge. Ich erinnerte mich daran, was der König mir aufgetragen hatte und ich verzog ein wenig das Gesicht.

Er wusste voll und ganz, dass mir nach den Geschehnissen ein Aufenthalt in diesem Raum mehr als unangenehm war. Dennoch hatte er mich damit beauftragt, viel Zeit damit zu verbringen, mich genau dort aufzuhalten und alles für die Mädchen vorzubereiten, die mich offiziell ersetzen würden. Es war ein bösartiges Machtspiel, welches er hier trieb und er schien jedes einzelne Mal zu gewinnen. Ich würde daher seiner Aufforderung nachkommen müssen, ehe er noch weitere Dinge fand, an denen er etwas auszusetzen hatte und er Jurian und mich womöglich wirklich noch vor die Tore setzte.

Ohne jegliche Art der Freude auf die kommenden Stunden zu verspüren, öffnete ich schließlich die Tür zum Schlafsaal der Zofen und betrat den Raum, von dem ich mir zuvor schwer erhofft hatte, ihn nie wieder betreten zu müssen. Alles sah noch genauso aus wie zuvor. Lediglich die Betten wirkten ein wenig unordentlich, dies war bereits zu meiner Zeit als Zofe der Fall gewesen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass bereits ein kleiner Mangel an Ordentlichkeit, ein Dorn im Auge des Königs sein konnte. Auch wenn er diesen Raum seit meiner Ankunft kein einziges Mal betreten hatte und dies womöglich auch niemals tun würde, wollte ich dieses Risiko dennoch nicht eingehen.

Also schloss ich die Tür wieder hinter mir, stellte den Korb direkt daneben ab und ließ meinen Blick einen Moment genauer durch den Raum gleiten. Das Bett, in dem zuvor Layana gelegen hatte, versuchte ich wissentlich nicht einmal anzusehen. Ich wollte mich diesen schrecklichen Erinnerungen nicht erneut hingeben. Erst würde ich die beauftragte Arbeit erledigen, danach würde ich noch genügend Zeit zur Verfügung haben, um meinen Gedanken freien Lauf zu lassen und an diese Augenblicke zurückzudenken.

Ein einfacher Staubbesen reichte bereits aus, um mich für einige Minuten zu beschäftigen. Ich gab mir Mühe, sogar ein wenig mehr als sonst. Womöglich lag dies an den Worten, die ich zuvor gehört hatte. Ein Teil von mir schien beweisen zu wollen, dass ich eindeutig mehr war, als eine unbedeutende Dienstmagd. Nachdem dieser Teil der Arbeit erledigt war und ich auf den Kommoden kein einziges Staubkorn mehr entdecken konnte, wandte ich mich den Betten zu. Dies dauerte noch länger, als das Entfernen des Staubes. Denn hier musste jedes Bett neu bezogen und ordentlich aufgeschlagen werden. Bei den vielen Decken, Kissen und Matratzen eine Aufgabe, die sich eindeutig in die Länge zog.

Bei Layanas Bett angekommen, schien mein Körper automatisch zu zögern. Als würde er diesen Teil des Raumes nicht berühren wollen, da ich dies mit zu vielen Erinnerungen verband. Doch ich überwand mich selbst und versuchte nicht daran zu denken, dass ich mit meinem jetzigen Handeln, alle Erinnerungen, auch an die der anderen Zofen, vollständig aus diesem Raum löschen würde. Sobald ich fertig wäre, würde nichts mehr daran erinnern, dass wir jemals hier gewesen waren. War dies der Plan des Königs gewesen? Mich noch mehr leiden zu lassen, indem ich all diese Erinnerungen, sowie auch die Meinen, endgültig aus diesem Raum entfernte und mich hier somit nichts mehr hielt?

Als ich realisierte, dass meine Gedanken wieder die Oberhand zu gewinnen schienen, schüttelte ich kurz den Kopf um diese zu vertreiben und konzentrierte mich wieder auf die Betten, die noch bearbeitet werden musste. Nachdem ich auch damit geendet hatte, griff ich nach einem Besen aus dem nebenanliegenden Waschraum und sorgte dafür, dass auch der Boden keinen einzigen Flecken Dreck mehr aufzuweisen schien. Letztendlich blickte ich erneut im Raum umher und stellte mit leichtem Bedauern fest, dass es sich nun wahrhaftig leichter anfühlte, darin zu atmen. Ich fühlte mich ohne diese erdrückenden Erinnerungen nicht mehr so eingesperrt wie zuvor und doch signalisierte mir mein Kopf, dass etwas an diesem Ort fehlte. Etwas, was mein Körper nicht mehr fühlen konnte, dessen Erinnerungen mein Kopf allerdings noch immer in sich trug.

Nach Beendigung meiner Arbeit räumte ich alle verwendeten Utensilien zurück an ihren Platz und konnte durch die Fenster am Ende des Raumes noch immer den bedeckten grauen Schleier entdecken, der mir deutlich machte, dass sich der starke Regen am Morgen nicht gemildert hatte. Ein kleiner Ausflug in den Garten, war daher noch immer nicht möglich. Unwissend, womit ich mich nun beschäftigen sollte, verließ ich den Schlafsaal der Zofen wieder und war froh, den Auftrag des Königs ausgeführt zu haben, ohne mich erneut in unendlichen Gedanken zu verlieren. Ich konnte nur hoffen, dass Phileas und Kiyan es damit ein wenig leichter hatten. Das Privileg der Privatsphäre, hatten die Bediensteten des Schlosses nur in seltenen Fällen.

Mit dem Korb in den Händen schlenderte ich regelrecht planlos durch die Gänge und hoffte.. nein, betete beinahe darum, dass im nächsten Moment jemand um die Ecke gelaufen käme und mir Arbeit zuteilen würde. Sei es nur bloß nicht erneut der König. Meine Bitte wurde bedauerlicherweise nicht erhört. Auf dem Weg zurück in Richtung Küche, quer durch das Schloss hindurch, begegnete mir niemand. Ganz und gar niemand, nicht einmal der König war erneut zu sehen. Als hätte das Schloss seit meinem letzten Durchgehen der Gänge, wieder jegliche menschliche Wesen verschwinden lassen. Es war totenstill. Ich sagte mir selbst, dass ich mich mittlerweile eigentlich hätte daran gewöhnen müssen.

Ohne die Anwesenheit des König erwachte das Schloss jedes einzelne Mal aus einem regelrechten Winterschlaf. So war es jedenfalls gewesen, als die Königin noch am Leben war. Ich wusste nicht, was geschehen war, nachdem ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Womöglich hatten sie Althea aus dem Schloss gebracht, an einen mir unbekannten Ort und sie dort begraben. Das sagte mir meine Hoffnung. Mit dem Gedanken an den König jedoch, kamen mir darin Zweifel. In Bezug zu der Königin kam er mir nie unmenschlich vor, nicht wie bei seiner Tochter oder den Prinzen. Ich konnte mir allerdings nicht recht vorstellen, dass er das Schloss verlassen würde, um seine verstorbene Frau mit Würde an einem besonderen Ort beizulegen.

Dass ich mit den Gedanken wieder zurück zu Althea gewandert war, wurde mir erst jetzt bewusst und ich gab ein leises Seufzen von mir. Womöglich würde ich noch ziemlich oft an sie zurückdenken. Mit jedem Tag der verstreichen würde, wurden die Tage länger, an denen der König die alleinige Macht hatte. War es daher sonderbar, dass ich mich an die frühere Zeit zurückerinnerte, obwohl ich wusste, dass es nie wieder so sein würde wie zuvor? Dutzende Fragen irrten in meinem Kopf umher. Fragen, die ich Althea nur all zu gerne hatte stellen wollen, doch nun war ihre Zeit vorbei und ich würde niemals eine Antwort auf all diese Fragen erhalten. 

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt