Wenige Worte

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Den eisernen Griff von Jurian um meinen Arm, konnte ich noch immer bis in meine Knochen spüren. Er war mir gegenüber niemals aufdringlich gewesen und hatte sich stets verständnisvoll zurückgezogen, sobald ich ein Thema umgehen und nicht darüber sprechen wollte. Sein so unnatürlich aufdringliches Verhalten, hatte mir wahrhaftig Angst eingejagt. „Ist alles in Ordnung?" hörte ich Phileas erneut fragen, da er wohl mitbekommen haben musste, wie ich beim Gehen meine zitternden Hände betrachtete. Diese Angst fühlte sich falsch an, ich kannte Jurian doch bereits seit vielen Jahren, dennoch war sie durchaus real.

Ich hob meinen Kopf, um ihm ein leichtes Lächeln zuzuwerfen, welches meine Unsicherheit verschleiern sollte. „Es geht mir gut." Er wirkte skeptisch, akzeptierte meine Antwort jedoch ohne Gegenworte. „Jurian hätte sich nicht in deiner Nähe aufhalten dürfen. Er kann froh sein, dass nur ich davon mitbekommen habe. Sollte Vater davon erfahren, würde er.." „Du hast uns beobachtet?" fragte ich ihn mit hochgezogener Augenbraue, da ich mir keinen anderen Grund dafür vorstellen konnte, warum er in den Garten gehen würde.

„Oh, nein." Er fuhr sich einmal kurz durch seine dunkelbraunen Haare. Seinem beinahe schuldbewussten Lächeln zu urteilen, lag ich mit meiner Vermutung allerdings nicht vollkommen falsch. „Ich war bis vor wenigen Minuten noch bei Kiyan. Er wollte mit dir sprechen, daher habe ich nach dir gesucht und dich zufällig hier entdeckt." Ich runzelte fragend die Stirn. „Er möchte mit mir sprechen? Warum?" Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen. Hatte der König von unserem Ausflug erfahren und er wollte mich nun selbst darüber informieren, ehe sein Vater zurückkehren würde und mich höchstpersönlich hinauswarf? Dieser Gedanke lenkte mich kurzzeitig von dem eher unangenehmen Gespräch mit Jurian ab.

„Das hat er mir nicht gesagt." Ein kurzes Schulterzucken seinerseits, machte seine Unwissenheit noch deutlicher. Hätte Kiyan nicht auch mit seinem Bruder darüber sprechen wollen? Warum wusste er nichts darüber? „Ich sollte nur noch schnell die Himbeeren in die.." weiter kam ich nicht, da Phileas mir bereits den spärlich gefüllten Korb mit den Himbeeren aus der Hand nahm und mir ein beinahe verschwörerisches Grinsen zuwarf. „Ich wollte ohnehin mit Keylam sprechen. Wenn ich mich nicht täusche, sollte er heute in der Küche aushelfen."

Ich betrachtete den Korb in seinen Händen für einen kurzen Augenblick skeptisch, nickte dann jedoch langsam. Normalerweise nahm ich meine Pflichten in diesem Schloss sehr ernst. Der König war nicht anwesend und Phileas machte mir deutlich, dass es Kiyan nicht gefallen würde, wenn man ihn warten ließ. „In Ordnung, Phileas. Das bleibt allerdings eine Ausnahme." Sein Blick hellte sich noch ein wenig mehr auf und er richtete seinen Blick wieder auf den Gang vor uns. Nach wenigen Minuten erreichten wir die große Eingangshalle, aber anstatt an der breiten Treppe abzubiegen und in das obere Stockwerk hinaufzugehen, folgte ich Phileas noch ein paar Meter weiter den Gang entlang.

„Ich habe noch etwas in meinem Zimmer vergessen." Gab ich als Erklärung von mir, als er sich mir mit einem irritierten Gesichtsausdruck zuwandte. „Beinahe hätte ich geglaubt, du hättest nach all der Zeit deinen Orientierungssinn verloren." Mit einem Schmunzeln auf den Lippen schüttelte ich den Kopf. „Meine Orientierung funktioniert hervorragend." Im nächsten Augenblick blieb ich bereits an meiner Zimmertür stehen und warf Phileas noch ein leichtes Lächeln zu. „Richte Keylam liebe Grüße von mir aus."

Bevor er noch etwas darauf antworten konnte, war ich bereits in dem angrenzenden Raum verschwunden und hatte die Tür hinter mir geschlossen. Dass ich etwas vergessen hatte, war unter keinen Umständen gelogen. Als Phileas mir angeboten hatte, die Himbeeren in die Küche zu bringen, hatte er mich daran erinnert, dass auch ich noch etwas zurückzugeben hatte. Ich blickte nur einmal kurz in dem kleinen Raum umher, bis ich fand, wonach ich suchte. Der Mantel, den Kiyan mir bei unserem kleinen Ausflug überlassen hatte, lag zusammengefaltet auf einem Stuhl in der Ecke des Raumes. Er gehörte schließlich ihm, ich hatte nicht das Recht, ihn kommentarlos zu behalten.

Ich griff nach dem Mantel und verließ daraufhin bereits wieder den Raum. Dies war der einzige Grund gewesen, weshalb ich diesen kleinen Umweg eingeplant hatte. Nun würde Kiyan im oberen Stockwerk auf mich warten. Das ungute Gefühl in meinem Magen, welches mir einzureden versuchte, dass etwas nicht in Ordnung war, trat wieder hervor und ich spürte, wie ich mit jeder einzelnen Treppenstufe die ich nahm, zunehmend nervöser wurde. Phileas schien entspannt gewesen zu sein, doch die Tatsache, dass er nicht wusste, worüber Kiyan mit mir sprechen wollte, machte es nicht sonderlich angenehmer.

Die Tür von Kiyans Schlafgemach stand einen Spalt weit geöffnet, als ich das Ende der Treppe erreicht hatte und mich nach einigen Metern diesem Raum näherte. Bevor ich meine Hand an die Tür legte, um diese noch ein Stück weiter zu öffnen, atmete ich einmal tief durch. Womöglich waren meine Sorgen berechtigt. Es gab einige Dinge, die Kiyan vor seinem Bruder verschwieg und diese waren meist von unschöner Natur. Daher war es durchaus möglich, dass er mich aufgrund schlechter Nachrichten zu sich zitiert hatte, ohne Phileas über den Inhalt des Gesprächs zu informieren.

Im Raum war es dunkler, als zuvor im langen Gang des Schlosses. Doch es war nicht gänzlich so dunkel, wie ich es in Erinnerung hatte. Während ich den Raum mit langsamen Schritten betrat, betrachtete ich die Vorhänge an den Fenstern, die nun zu Teilen einen Blick auf das Leben außerhalb dieser Mauern zuließen und somit ein wenig Sonnenlicht hineinfiel. Erst als ich meine Aufmerksamkeit von den Fenstern löste, entdeckte ich Kiyan, der auf einem Stuhl vor seinem Schreibtisch saß. Mit einem Arm auf dem Schreibtisch abgestützt, schien er so fokussiert auf die Dokumente vor sich zu sein, dass er mein Hereinkommen wohl nicht einmal ansatzweise wahrgenommen hatte.

„Kiyan?" Meine Stimme durchbrach die Stille und schien ihn ruckartig aus seinem Fokus zu reißen. Schlagartig drehte er seinen Kopf in meine Richtung, schien sich dann allerdings wieder etwas zu entspannen, als er mich erkannte. Hatte er jemand anderen erwartet? „Dein Bruder teilte mir mit, dass du mich sprechen willst." Erklärte ich ihm mein plötzliches Auftauchen. Mich nicht zuvor bemerkbar zu machen, war bereits einmal nicht sonderlich gut ausgegangen. Die dünne Narbe an meiner Hand, erinnerte mich täglich daran, mich in seiner Nähe vorsichtiger zu verhalten. Der Ausdruck in seinem Gesicht, wirkte nun allerdings umso irritierter.

Er hob eine Hand und deutete mir mit einer kurzen Handbewegung an, näherzutreten, wandte sich dabei jedoch wieder den Dokumenten vor sich zu. Noch war meine Unsicherheit nicht verflogen, schließlich hatte Kiyan bisher kein einziges Wort gesagt, was mir noch keinen Grund dazu gab, anzunehmen, dass alles in Ordnung sei. Mit zögernden Schritten trat ich näher an ihn heran und erkannte mit jedem weiteren, um welche Dokumente es sich auf seinem Schreibtisch handelte. Einige Schriftstücke, dessen Inhalt ich nicht entziffern konnte, doch auch Landkarten waren darunter zu finden.

Meine Gedanken drifteten ein wenig ab, als ich über Kiyans Schulter hinweg diese Landkarten betrachtete und mir vorzustellen versuchte, wie es sein musste, all diese Orte bereits bereist zu haben. Ich hatte nie zu Gesicht bekommen, wie die Welt außerhalb meiner unmittelbaren Umgebung aussah. Alles, was ich nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, existierte in meiner Welt nicht. Nicht einmal die Namen der Orte auf diese Karten, kamen mir bekannt vor. Das, was dort zu sehen war, war mir vollends unbekannt und dennoch konnte ich all diese Dörfer betrachten, ohne direkt selbst dort sein zu müssen.

Diese Landkarten erinnerten mich allerdings auch daran, weshalb ich zuvor einen kleinen Umweg gewählt hatte. „Außerdem wollte ich dir noch etwas zurückgeben." Erwähnte ich, während sein Blick weiterhin auf den Dokumenten lag und er über etwas nachzudenken schien. Seinen Mantel, den ich noch immer zusammengefaltet in meinen Händen hielt, legte ich schließlich auf einer nahegelegenen Kommode ab, um das Durcheinander auf seinem Schreibtisch nicht noch schlimmer zu machen. „Das wäre nicht notwendig gewesen, Camilla."

Die ersten Worte, die er von sich gab, seitdem ich den Raum betreten hatte. Sein Blick lag weiterhin auf den Dokumenten vor ihm. „Er gehört dir, es steht mir nicht zu, ihn zu behalten." Gab ich daraufhin die Worte von mir, die ich mir bereits zuvor gedacht hatte. Im Vergleich zu unserem Ausflug jedoch, wirkte Kiyan nun deutlich abgelenkter und ich begann bereits daran zu zweifeln, ob er wirklich mit mir hatte sprechen wollen. Schließlich schien es nicht so, als gäbe es ein Problem, mit welchem ich in Verbindung stand. Es war erleichternd und beunruhigend zugleich.

Denn auch, wenn ich Probleme verursacht hatte, nahmen diese Dokumente vor ihm, seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch, was mich unangenehm verwirrte. Ich wusste nicht, worum es sich dabei handelte, doch ich hatte bereits zuvor erfahren, dass die andauernden Unruhen im Westen zunehmend Schwierigkeiten verursachten. Ich stand dort, auf eine winzige Reaktion von ihm wartend, um endlich herauszufinden, warum er mit mir sprechen wollte. Dieses beunruhigende Schweigen glich der puren Hölle.

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt