Der Anfang vom Ende

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Ich hatte mich in den Schlafsaal der Zofen zurückgezogen. Völlig allein saß ich hier inmitten der warmen Sonnenstrahlen, die durch die Fenster hineinschienen. Wie paradox sich das Leben manchmal entwickeln konnte. Die Königin würde bald ihren letzten Atemzug nehmen und die Sonne strahlte dabei hell und freundlich, als wäre an diesem Tag nichts Böses geschehen. Wie der König befohlen hatte, hielt ich mich nun von dem oberen Stockwerk fern. Er hatte mir deutlich zu verstehen gegeben, dass er mich in der Nähe seiner Familie nicht mehr sehen wollte. Ich konnte mit Glück sagen, dass er mich nicht sofort aus dem Schloss warf, sondern lediglich meine Stellung als Zofe zunichte machte.

Die Arbeit war anstrengend gewesen, keine Frage. Besonders, da ich im Augenblick so gut wie jede Tätigkeit alleine erledigen musste. Nun musste ich mich mit simpleren Arbeiten in der Küche oder im Garten zufriedengeben. Ich hob eine Hand und tastete vorsichtig die kleine Platzwunde an meiner Augenbraue ab. Bei der direkten Berührung der Wunde, zog sich der Schmerz förmlich über mein ganzes Gesicht. Die Blutung hatte aufgehört, ich hatte jedoch noch keine Zeit gefunden, die blutigen Streifen an meiner Wange mit etwas Wasser zu entfernen. Bis diese Wunde verheilt war, würde sie mich jederzeit an diesen grauenhaften Tag erinnern.

Nachdem Kiyan seinem Bruder gefolgt war, um somit dem Wunsch seiner Mutter nachzukommen, hatte ich den Raum wieder verlassen und mich so weit wie möglich von dort entfernt. Als erstes war mir der Schlafsaal der Zofen in den Sinn gekommen. Aus diesem Grund war ich nun hier. An der Wand in der Ecke des Raumes sitzend, während ich mit den Armen meine angewinkelten Beine umschloss. Seit ich das erste Mal hier angekommen war, wusste ich, dass Althea nicht mehr viel Zeit blieb. Ich erinnerte mich an den sorgenfreien Moment zusammen mit ihr im Schnee außerhalb des Schlosses, wo sich ihr inneres Kind gezeigt hatte. Ihr solche Erinnerungen ermöglicht zu haben, sollte mich eigentlich freudig stimmen. Die Tatsache, dass nichts davon ihr im Endeffekt das Leben hatte retten können, stimmte mich zeitgleich zutiefst traurig.

Sie war eine herzliche Frau gewesen, auch an diesem Morgen, obwohl sie wusste, dass ihr die Zeit davonlief. Es war absehbar, dass sich der Alltag im Schloss nun verändern würde. Der König hatte ab sofort die alleinige Macht, was kein gutes Zeichen sein konnte. Ich machte mir allerdings auch Gedanken um Phileas und Kiyan. Für sie beide musste es ein schwerer Schlag sein, ihre Mutter zu verlieren. Ich musste diese Erfahrung bereits selbst durchleben und konnte mir daher gut vorstellen, dass es für sie nicht leicht werden würde, damit zurechtzukommen. Aus gutem Grund hatte ich Kiyan die Platzwunde verheimlichen wollen. Phileas würde solch ein Problem womöglich in einem Gespräch mit seinem Vater klären, doch ich konnte nicht erahnen, wie Kiyan damit umgehen würde, sobald er die Details dazu erfuhr.

Es war keine schöne Erinnerung, die ich damit verband. Dem König würde ich vorerst aus dem Weg gehen. Dies war der einzige Vorteil, nicht mehr als Zofe zu arbeiten. Ich war nicht mehr gezwungen, mich in seinem Blickfeld aufzuhalten. In der Küche oder im Garten, wurde ich von seinen prüfenden Blicken vorerst verschont. In diesem Moment tauchte Jurian in meinen Gedanken auf und ich gab ein leises Seufzen von mir. Natürlich sprachen die Wachen miteinander. Er würde allerdings nicht sofort von dem Ableben der Königin erfahren und erst recht nicht von meiner Herabstufung. Zudem durfte er auch nichts von dem Vorfall mit dem König mitbekommen, sonst würde er seine Stellung als Wachposten ebenfalls riskieren. 

Ich konnte also nicht anderes tun als warten. Warten und hoffen, dass sich diese Stimmung im Laufe der kommenden Wochen wieder ein wenig legen würde und der König nicht vollkommen den Verstand verlor. Heute hatte ich noch Glück gehabt, aber wer wusste schon, wie es die anderen Male ausgehen würde? Erneut dort draußen auf der Suche nach einer Unterkunft umherirren zu müssen, war keine sonderlich schöne Vorstellung. Einige Minuten saß ich noch dort, halb versteckt zwischen den Betten der anderen Zofen, die bereits verschwunden waren. Auch ich würde diesen Raum nun verlassen und erstmal nicht hierher zurückkehren.

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt