Schicksal

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Lautes Hämmern riss mich schlagartig aus meinem recht ruhigen Schlaf und mein Blick flog automatisch zur Tür des Zimmers. Wenn ich mich nicht irrte, musste es noch früh am Morgen sein. Es fühlte sich jedenfalls so an, als hätte ich eindeutig noch nicht genug Schlaf bekommen. „Camilla?" Zusätzlich zu dem Hämmern an meiner Tür, welches ich beinahe verdrängt hatte, kam nun eine Stimme hinzu, die nach mir rief. Ich schaffte es nicht einmal darauf zu antworten, da wurde die Tür bereits aufgerissen und Keylam stand im Türrahmen.

Überrascht und zunehmend verwirrt, setzte ich mich in meinem Bett auf und beobachtete ihn dabei, wie er mit einem beinahe nervösen Gesichtsausdruck den Raum mit seinem Blick absuchte, bis dieser schließlich auf mir liegen blieb. „Der König ist auf dem Weg. Er wird in wenigen Minuten hier eintreffen." Diese Nachricht versetzte mich augenblicklich in Aufruhe. Es war kein Wunder, dass Keylam nervös wirkte. Den Gedanke, dass der König nun wieder tagtäglich in diesem Schloss umherwandern würde, empfand ich ebenfalls nicht als sonderlich angenehm.

„Dich aus diesem Grund zu wecken, tut mir wirklich leid. Es wäre jedoch nicht zu deinem Vorteil, wenn du seine Rückkehr verschläfst." So genervt ich auch davon war, so plötzlich aus dem Schlaf gerissen worden zu sein. Dies war mir um einiges lieber, als mir erneute Probleme mit dem König einzuhandeln. „Vielen Dank, Keylam. Ich werde mich sofort auf den Weg machen." Einen kleinen Vorteil hatte es, nicht mehr ein Teil der Zofen zu sein. Den Empfang des Königs vorzubereiten, oblag nun nicht mehr meiner Verantwortung. Meine Pflicht bestand ab sofort lediglich darin, kommentarlos in der Nähe zu stehen und alles andere seinen Lauf nehmen zu lassen, bis uns der König wieder an unsere Arbeit schicken würde.

Nach einem flüchtigen Nicken verschwand Keylam wieder aus dem Türrahmen und gab mir somit die Zeit, mich in Windeseile aus dem Bett zu schwingen, mir einen Schwung sauberer Kleidung überzuwerfen und anschließend den Raum zu verlassen. Ich hoffte inständig, dass meine Verspätung nicht auffallen würde. Mit dem König hatte ich es mir bereits einige Male verscherzt und ich wollte es nicht darauf anlegen, aufgrund eines weiteren Fehlers, endgültig hinausgeworfen zu werden. An die Prinzen und Jurian verschwand ich in diesem Moment keinen einzigen Gedanken. Ich wanderte lediglich mit eiligen Schritten durch die Gänge, bis ich schließlich an der Eingangshalle ankam, wo sich bereits einige der anderen Bediensteten versammelt hatten.

So wie ich es von der letzten Rückkehr des Königs in Erinnerung hatte, waren die großen Flügeltüren des Schlosses weit geöffnet und ließen eine kühle Briese durch das Schloss ziehen. Die drei neuen Zofen, eine von ihnen kannte ich nun ein wenig besser, standen in einer Reihe vor den Toren und schienen, genau wie alle anderen, gespannt und zugleich unsicher, auf die Rückkehr des Königs zu warten. Dank Keylam, war ich nicht zu spät erschienen, der König schien noch nicht angekommen zu sein. Ich blickte flüchtig über die Menschen, die um mich herum standen und entdeckte diesen hilfsbereiten Jungen nur wenige Meter von mir entfernt. Meine Beine trugen mich beinahe automatisch zu ihm.

„Du hast mir womöglich das Leben gerettet, Keylam." Sprach ich aus, sobald ich bei ihm ankam und er sich mir mit Erleichterung im Gesicht zuwandte. „Ich war mir nicht sicher, ob Phileas nach dir sehen würde. In solchen Momenten verlasse ich mich nur ungerne auf seine zeitliche Organisation." Das verstand ich nur zu gut. Phileas musste in diesem Augenblick bereits alle Hände voll zu tun haben. Von seinem Bruder einmal abgesehen. In diesem Moment jedoch, als ich zu einer Antwort ansetzen wollte, waren Geräusche von außerhalb des Schlosses zu vernehmen, die ich unweigerlich dem König zuordnete.

„Camilla?" Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder Keylam zu, der mich mit einem skeptischen Blick zu mustern schien. Ohne darauf reagieren zu können, hob er bereits eine Hand und richtete innerhalb weniger Sekunden ein paar Haarsträhnen auf meinem Kopf, die womöglich wirr umhergestanden haben mussten. „Minimales Risiko." Meinte er daraufhin nur, mit gedämpfter Stimme und richtete sich schließlich wieder den geöffneten Türen zu, in denen Bewegung zu entstehen schien. Keylam war wahrhaftig einer der freundlichsten Menschen in diesem Schloss. Ich wusste nicht viel über ihn, dennoch hatte er es aufs Spiel gesetzt, selbst zu spät zu kommen, nur um mich zu wecken. Es war eine kleine Geste, für die ich ihm allerdings äußerst dankbar war.

Das Geräusch von Schritten auf dem steinigen Schlossboden kam näher, der Klang der diesem zu folgen schien, irritierte mich jedoch. Es klang nicht nach nur einer einzelnen Person, die dort lief. Die Bediensteten des Schlosshofes, die sich um mich herum befanden, richteten sich augenblicklich auf, sobald die Schritte nahe genug waren. Erst dann konnte ich einen Blick auf den König erhaschen. Die Prinzen hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu Gesicht bekommen. Ich kam nicht einmal dazu, nach ihnen Ausschau zu halten, als ich den Grund für diese zusätzlichen Schritte entdeckte. Der König war nicht alleine von seiner Reise zurückgekehrt.

Zuerst erkannte ich nur einen weißen Stoff, der sich in gleicher Geschwindigkeit wie der König zu bewegen schien. Dazu ein paar Hände, die von weißen Handschuhen umschlossen waren. Die Königin konnte es nicht sein, das stand außer Frage. Der König schritt vollkommen desinteressiert an uns vorbei und ich war froh, dass er sich nicht, wie beim letzten Mal, genauer unter den Bediensteten umsah. So hätte er womöglich mitbekommen, wie sich mein Gesichtsausdruck in eine Form von Unsicherheit wandelte, als ich das Gesicht der Person erblickte, die von diesem hochwertigen, weißen Stoff regelrecht eingehüllt zu sein schien.

Es war eine junge Frau, welche nur wenige Jahre älter sein musste, als ich es war. Ihre braunen Haare waren auf eine äußerst streng wirkende Weise nach oben gesteckt worden und auf ihrem Gesicht lag beinahe der selbe gefühlskalte Gesichtsausdruck, wie der des Königs. Sie lief an uns vorbei, ohne uns auch nur eines winzigen Blickes zu würdigen. Wer auch immer diese junge Frau war, ich war mir vollkommen sicher, dass sie nur auf Wunsch des Königs, das Schloss betrat. „Gehen Sie, ihre Dienste sind nun nicht mehr von Nöten." Schallte die tiefe Stimme des Königs durch die Eingangshalle und versetzte mir damit eine Gänsehaut.

Ich wagte es nicht, mich zu rühren, bis sich die restlichen Bediensteten langsam in Bewegung setzten, um in Schweigen gehüllt, wieder die Eingangshalle zu verlassen und, trotz des frühen Tagesanbruches, mit ihrer Arbeit zu beginnen. Auch Keylam war in kürzester Zeit aus meinem Sichtfeld verschwunden, weshalb mein Blick suchend umherflog und in den Gesichtern der anderen eine bekannte Person zu finden erhoffte. „Ich bedauere, euch nicht bereits zuvor über unseren zeitweiligen Gast in Kenntnis gesetzt zu haben. Es war eine durchaus spontan getroffene Entscheidung."

Die Worte des Königs waren nun deutlicher zu verstehen, nachdem ein großer Teil der Belegschaft in den Gängen verschwunden war. So fiel mein Blick, nach rastlosem umherwandern, schließlich auf Phileas. Der seinem Vater gegenüber, in der Nähe der breiten Treppe stand. Das Gesicht der jungen Frau konnte ich nun nicht mehr sehen. Zu meinem Glück wandte sich der König mit leisen Worten, die ich nicht verstand, seinem ältesten Sohn zu, was Phileas die Möglichkeit gab, mir ein winziges aber aussagekräftiges Zeichen zu senden.

Ein beinahe unmerkliches Schütteln des Kopfes, während sein Blick starr auf mich gerichtet war. Ich verstand es als eindeutiges Zeichen dafür, dass er keinen blassen Schimmer davon hatte, was im Kopf seines Vaters vor sich ging und wer diese junge Frau war. Bedauerlicherweise würde ich nun nicht mehr die Möglichkeit haben, unbemerkt bei den Prinzen aufzutauchen, um mich darüber zu erkundigen. Wir standen womöglich alle vor einem Rätsel. Ich hoffte, dass meine tiefsten Befürchtungen sich nicht in die Tat umsetzen würden.

Um nicht aufzufallen, setzte ich mich schließlich ebenfalls in Bewegung. Dennoch hingen meine Gedanken an diese fremde Frau nach, die sich unangekündigt im Inneren dieser Mauern niederließ und nur der König genau zu wissen schien, was es mit ihrer Ankunft auf sich hatte. Es wäre ein leichtes gewesen, diese Gedanken weiterzuführen und darüber zu spekulieren, aus welchem Grund sie hier war. Der König war zurück. Dies war die einzige Tatsache, auf die ich mich im Augenblick konzentrieren musste. Alles was ich tat und alles was ich sagte, musste ich ab sofort wieder mit äußerster Vorsicht genauestens abwägen. Zumal ein Besuch bei den Prinzen und eine, wenn auch nur kurze, Unterhaltung mit Jurian, nun für längere Zeit nicht mehr möglich sein würde.

Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich in keiner Weise, welchen gravierenden Einfluss die Ankunft dieser fremden Frau auf meine Zukunft haben würde. Nicht einmal die Prinzen würden etwas daran ändern können, wie sich diese Geschichte entwickeln würde. Alles was geschah, lag in diesem Moment noch in meiner Hand. Mit der Ankunft dieser fremden Frau würde sich dies grundlegend ändern und ich würde mir selbst eingestehen müssen, dass ich keine andere Wahl hatte, als mich dieser plötzlichen Veränderung meines Schicksals hinzugeben.

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt