Ein Hauch von Verzweiflung

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Die nächsten Tage glichen einer trüben Masse, die in regelrechter Zeitlupe an mir vorüberzog. Stunde um Stunde, Tag um Tag, ohne das ich mich im Nachhinein genau daran erinnern konnte, was ich in der vergangenen Zeit getan hatte. Der Schmerz über Jurians und Phileas' Tod lag schwer in meinem Magen. Er benebelte meine Sinne und ließ mich lediglich einen Moment durchatmen, wenn Kiyan in meiner Nähe war. In diesen Tagen war dies jedoch zunehmend seltener der Fall. Der amtierende König verschrieb sich voll und ganz der Aufgabe, die Beerdigung seines Bruders und Jurian zu organisieren.

Ich hielt mich von dieser Organisation so weit es mir möglich war, fern. Womöglich sollte ich Kiyan Beistand leisten und ihm einige seiner Aufgaben abnehmen. Doch sowohl ich, als auch er selbst wussten, dass er mir diese Entscheidungen niemals in die Hände legen würde. Nicht, weil er in meine Auswahl kein Vertrauen legte. Eher aus dem Grund, dass ich mich nicht noch näher mit dem Tod meines besten Freundes beschäftigen musste. Zu meinem Schutz, würde er wohl zu erklären versuchen.

„Möchtest du noch eine Tee?" hörte ich Noras leise Stimme nur wenige Schritte hinter mir. Ich war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass ich nicht einmal hatte hören können, dass sie den Raum betreten hatte. Ich ließ den samtigen Stoff in meinen Händen langsam sinken und drehte meinen Kopf in ihre Richtung. Das Nähzimmer der Zofen, hatte sich in den vergangenen Tagen zu meinem Zufluchtsort entwickelt. Die Näharbeiten erinnerten mich an mein altes Leben im Dorf und hier hatte ich endlich die Möglichkeit, mich meiner Trauer hinzugeben, ohne gestört zu werden. Bis zu diesem Zeitpunkt jedenfalls.

„Ich könnte dir einen Tee mit Kamille empfehlen. Er entspannt und beruhigt die Nerven." Sprach Nora weiter, da ich auf ihre ersten Worte keine Antwort gegeben hatte. „Das wäre sehr freundlich, vielen Dank." Murmelte ich in die Richtung der Person hinter mir. Ich konnte sie aus meiner Position nicht vollständig sehen, spürte jedoch ihren unsicheren Blick auf mir. Nach dem erneuten Anschlag auf das Schloss, war Nora nicht mehr dieselbe. Ihr Blick wanderte stetig umher, als würde sie jederzeit erwarten, dass erneut etwas Grausames im Schloss geschehen würde.

Die Zofe verließ daraufhin wieder den Raum und ich ließ meinen Blick über die vielen Kleider und Gewänder gleiten, welche in vielerlei Farben und Varianten in diesem Zimmer untergebracht waren. Halbfertige Stücke, vereinzelte Muster und Ideen der Zofen, simple Stoffe, die unverarbeitet hier gelagert wurden. Alles, was ich mir damals im Dorf erhofft hatte, war hier zu finden. Ich widmete mich wieder dem Stoff in meinen Händen zu, der mich seit Beginn des Tages auf andere Gedanken hatte bringen sollen. Ohne großen Erfolg.

Anstatt mich auf mein Handwerk zu konzentrieren, versank ich immer wieder in Gedanken. Die Naht, welche ich mit einzelnen Stichen gestochen hatte, um diesem Stück Stoff langsam Leben einzuhauchen, ergab sich als schief und der Faden, der sich durch dessen Nähte zog, hatte sich an einzelnen Stellen in sich selbst verfangen. Als mir dies auffiel, ließ ich den Stoff und die Nadel mit dem anhängenden Faden frustriert auf dem Tisch vor mir fallen. Ich versuchte es, wirklich. Doch nichts konnte mich von dem grauenvollen Gedanken ablenken, dass ich Jurian niemals wieder würde sehen können. Auch seine Stimme, die mich so oft zum Lachen gebracht hatte, war für immer verstummt.

Mein Blick flog augenblicklich in die Richtung der Tür, als ich ein untypisches Knacken von dort wahrnahm. Nach den vielen Tagen, die ich beinahe durchgehend in diesem Nähzimmer verbrachte, erkannte ich jedes Geräusch, welches nicht auf natürliche Weise um mich herum entstand. Und ich hatte Recht. Mit der Schulter an den Rahmen der Tür gelehnt, lag Kiyans Blick auf mir, während er mich schweigend beobachtete. Sobald sich unsere Blicke trafen und ich ihn somit auf frischer Tat ertappte, stahl sich der Hauch eines Lächelns auf seine Lippen.

Ein Ausdruck, den ich seit Phileas Tod nur äußerst selten zu sehen bekam. „Bitte verzeih mir, Camilla. Ich hätte nicht.." fing er murmelnd an, doch ich unterbrach ihn, indem ich ihm meine Hand entgegenstreckte. „Wenn es jemandem gestattet ist, mich in meiner Ruhe zu stören, dann dir." Ich erwiderte das Lächeln, als er sich in Bewegung setzte und schließlich meine Hand umfasste. Seine fühlte sich kühl an. Ein wenig rauer als sonst, wenn ich mich nicht täuschte.

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt