P.o.V. Jurian
Kälte umgab mich wie ein eisiger Umhang. Ich würde nicht aufgeben, das hatte ich mir an diesem Morgen fest vorgenommen. Die Wahrscheinlichkeit war zum Scheitern gering, sie jemals finden zu können. Wenn ich mit meiner Vorahnung allerdings recht behielt, hatte ich wenigstens eine, wenn auch nur winzige Chance. Ich zog den Mantel etwas enger um meine Schultern, obwohl ich wusste, dass dies die Kälte kaum abhalten konnte. Ich war den Weg zu Fuß angetreten, vielleicht war es so einfacher, Camillas Schritte nachzuvollziehen, da sie wohl nicht lange mit Leno unterwegs gewesen war. Nun stapfte ich bereits seit zwei Tagen in dieser Gegend herum und hatte sie noch nicht finden können. Weder sie selbst, noch einen Hinweis darauf, wo sie sich im Augenblick befinden könnte.
Es war kalt. Eiskalt. Dass sie bei diesen Temperaturen hier draußen überlebt hatte, war unwahrscheinlich. Sie musste irgendwo einen Unterschlupf gefunden haben. Einfach hinzunehmen, dass sie vermutlich nicht mehr leben würde, konnte ich nicht. Ich besaß noch die Hoffnung, dass sie irgendwo einen warmen Platz gefunden hatte. Tage hatte ich damit verbracht, abzuschließen. Zu akzeptieren, dass sie ohne ein Wort gegangen war. Doch ich schaffte es nicht. Wir hatten unser gesamtes Leben zusammen verbracht. Wenn sie also ging, dann ging ich auch. Es war mir gänzlich egal, wie lange ich suchen musste, ich würde sie irgendwann finden. Wenn nicht, hatte ich es wenigstens versucht und sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.
Meine Finger spürte ich kaum noch, als ich die Dunkelheit des Waldes verließ und mir einen Weg über die angrenzenden Felder bahnte. Der Proviant den ich mitgenommen hatte, war bereits verbraucht und die Kälte fraß sich auch durch den Mantel sowie die dicken Schuhe bis in meine Knochen. Mir war bewusst, dass auch ich hier draußen erfrieren konnte, nur die Hoffnung, Camilla wiederzufinden und sicherstellen zu können, dass es ihr gut ging, trieb mich weiter voran. Meine Familie wusste wo ich war, sie nahmen mir dies nicht übel. Durch mein Fehlen gab es eine Person weniger, die versorgt werden musste und sie konnten meine Entscheidung nachvollziehen.
Sie hatten Camilla gemocht aber seit der erneuten Ausbreitung der Pest in unserem Dorf, vermieden meine Eltern jeglichen Kontakt mit anderen Bewohnern. Ich stolperte über ein Loch in der Erde, was mich für einen Moment aus den Gedanken riss. Dieser Moment sorgte dafür, dass ich das langsame Aufgehen der Sonne bemerkte, was mir ein leichtes Lächeln auf die Lippen zauberte. Camilla hatte die Sonne geliebt. Sie spiegelte all ihre Facetten wieder und es war nicht schwer, daran ihre Stimmungen abzulesen.
War es regnerisch und trüb, blieb auch die gute Laune von Camilla zu Wünschen übrig, selbst wenn sie ihr Lächeln dabei nur selten verlor. Sobald die Sonne zu sehen war und die Welt mit ihren leuchtenden Strahlen in all die bunten Farben tauchte, blühte sie gänzlich auf und strahlte ebenso stark wie die Sonne selbst. Nun während ich die Sonne hinter den Bergen hervortreten sah, vermisste ich sie noch mehr. Es war still geworden ohne sie. Sie fehlte mir, besonders in den Momenten, wenn sich wieder eine trübe Stimmung über alles legte. Ich suchte nach ihr, weil ich keinen blassen Schimmer hatte, wie ich ohne dieses besondere Leuchten in ihren Augen noch weitermachen sollte.
Genau in diesem Moment, in dem mir dieser Gedanke kam, entdeckte ich in dem ein Stück von mir entfernten Wald, ein zaghaftes Leuchten. Ich wusste nicht was es war, doch es fühlte sich an, als würde es mir den Weg weisen wollen. Mit der aufsteigenden Sonne und diesem sonderbaren Leuchten stieg nun wieder die Hoffnung, Camilla vielleicht doch noch lebend zu finden. Denn so musste es sein. Lieber erfror ihr hier draußen, als sie aufzugeben.
Einen quälenden Schritt auf den nächsten folgend bahnte ich mir einen Weg in die Richtung dieses Waldes und dem Leuchten, welches mich auf wundersame Weise zu sich hin zog. Es war ein anstrengender Weg, an den ich mich nur ungerne zurückerinnerte. Die meiste Zeit lief ich wie in Trance und hing meinen Gedanken hinterher. Der wohl einzige Weg, auf dieser Reise die Kälte um mich herum ignorieren zu können. Nach einigen Stunden erreichte ich das Waldstück, welches sich aus näherer Betrachtung als kleiner herausstellte, als anfangs angenommen.
Das Leuchten war ebenfalls verschwunden und die nun etwas höhere Sonne tauchte den Wald in ein schummriges Licht, wodurch ich wenigstens einen groben Waldboden unter mir erkennen konnte und nicht ständig über Äste stolpern musste, die im Weg herumlagen. Kurz darauf löste sich der Wald schlagartig vor mir auf, wie eine Wand die ich durchtrat und gab den Blick auf eine weite Lichtung frei, bei dessen Anblick ich regelrecht gezwungen war, stehen zu bleiben und mir ein genaueres Bild davon zu machen.
Es war nicht nur eine Lichtung. Nur wenige Meter vor mir erstreckte sich ein See, der den strahlend blauen Himmel in sich spiegelte. Ich war froh, dass es nicht geregnet hatte, womöglich hätte ich diesen Ort niemals gefunden, hätte dieser See die Strahlen der Sonne nicht gespiegelt. Ich war mir nicht sicher, ob Camilla es ebenfalls bis hierher geschafft hatte, doch mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich hier richtig war. Also atmete ich einmal durch und trat die Zielgrade an, indem ich mich mit jedem Schritt dem fast schon Angst einflößenden Schloss näherte, welches sich am anderen Ende des Sees in den Himmel erhob.
Mir war nicht klar, was mich dort erwartete und es bestand auch die Wahrscheinlichkeit, dass Camilla nicht hier war. Wenn sie es wirklich bisher geschafft hatte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie es vermieden hätte, dort nach einer Unterkunft zu fragen. Ich hatte kein gutes Bauchgefühl dabei, mich diesem Schloss zu näheren, obwohl ich wusste, dass ich nicht ohne Grund hier gelandet war. Ich kannte diese Familie nur von Gerüchten und sonderlich positiv waren diese nicht. En Teil in mir hoffte, dass sie nicht dort war. Eben weil ich genau wusste, dass es dort nicht mit rechten Dingen zugehen konnte.
Der See war größer als gedacht, weshalb ich auch deutlich länger brauchte, um das Schloss zu erreichen. Erst beim Näherkommen erkannte ich die Wachen, die vor dem Schloss positioniert waren und zögerte für einen Augenblick. Sollte sich meine Vermutung als falsch herausstellen, könnte es ein schlimmer Fehler sein, mich diesem Schloss noch weiter zu nähern. Ein Teil von mir wusste, dass dies mein Ende sein konnte. Womöglich sogar noch grausamer, als in der Kälte im Wald zu erfrieren.
Ehe ich mir genauere Gedanken darüber machen konnte, entdeckte mich einer der Wachmänner und trat mit schnellen Schritten in meine Richtung. Mir blieb nun nichts anderes mehr übrig, als mich darauf einzulassen. Würde ich davonrennen, wäre es nur ein deutlicheres Zeichen dafür, dass ich mit bösen Absichten gekommen war und provozieren wollte ich dies natürlich nicht. „Wer sind Sie und was ist ihr Anliegen?" wurde ich augenblicklich gefragt, noch bevor mich der Wachmann endgültig erreicht hatte.
Erst wusste ich nicht recht, was ich darauf antworten sollte, doch der kühle Gesichtsausdruck des Wachmanns und seine Hand, die sich griffbereit in der Nähe seines Schwertes befand, welches unweigerlich zu sehen war, zwangen mich förmlich zu einer schnellen Antwort. „Ich suche eine Freundin. Womöglich ist sie hier vorbeigekommen und ich .." der Wachmann griff plötzlich nach meinem Arm und schob mich ohne ein Kommentar in die Richtung des Schlosses. Beinahe hätte ich dabei das Gleichgewicht verloren, fing mich aber irgendwie wieder und blickte nur ein wenig irritiert zwischen dem Wachmann und dem Schloss hin und her.
Dieser Mann musste etwas wissen, sonst würde er mich wohl nicht augenblich hineinbringen wollen. Dennoch versetzte es mir eine Gänsehaut, dass ich nicht lediglich eine Antwort darauf bekam. Ich war nicht sonderlich erfreut darüber, dieses Schloss selbst betreten zu müssen, auch wenn mich die Kälte außerhalb regelrecht in die Knie zwang. Ich konnte nur darauf hoffen, dass Camilla wirklich hier war und ich damit nicht mein Todesurteil unterschirieben hatte. Als ein zweiter Wachmann schließlich meinen anderen Arm ergriff und sich die breiten Tore öffneten, was dies gar nicht mehr so einfach.
Es folgte ein weiteres Tor, was mir die Aussicht auf eine spontane Flucht zunichtemachte. Von jeglicher Bewegung abgehalten, brachten mich diese Wachmänner bis in eine große Eingangshalle, die trotz der wenigen Sonnenstrahlen die hereintraten, nicht mehr ganz so bedrohlich wirkte. Womöglich verband ich diese Sonnenstrahlen nur erneut mit Camilla. Denn nach Betreten der Eingangshalle blieben wir nicht stehen. Es wurde niemand benachrichtigt, zudem befand sich niemand, abgesehen von den Wachmännern, in der Nähe, den ich nach Camilla hätte fragen können. Ich wurde recht unsanft in einen Gang geschoben, der mir nicht danach aussah, als würde er in die Richtung von den hier herrschenden Persönlichkeiten führen. Meine Vorahnung führte in eine gänzlich andere Richtung.
Als mir dies bewusst wurde, versuchte ich mich konsequent gegen diese Männer zu wehen. Versuchte mich aus ihrem Griff zu lösen, doch sie waren unerbittlich. „Camilla? Ich werde dich hier rausholen, das verspreche ich dir." Nur leise gesprochene Worte, dann schloss sich die Tür des Kerkers hinter mir.
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Die Zofe
Roman pour AdolescentsIn einer Welt einige Jahre vor unserer Zeit, im alten Mittelalter, kämpft ein Mädchen gegen ihr Schicksal. Dazu bestimmt, den Rest Ihres Lebens gemeinsam mit ihrer Mutter auf dem Land zu verbringen und von dem wenigen Geld zu leben, welches sie auf...