Ein Blumentraum

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Die nächsten Tage im Schloss verliefen ruhig. Zu ruhig, wenn es nach mir ging. Ich erwartete förmlich, dass in jedem nächsten Augenblick plötzlich etwas Unheilvolles geschehen würde und das Königshaus zu Grunde ging. Diese Gedanken quälten mich, hielten mich wach und verfolgten mich bis in den Schlaf. Wenn ich schlief, dann weder gut, noch lange. Es war kalt an diesem frühen Herbstmorgen, als ich mit leisen Schritten durch den Gang des oberen Stockwerks wanderte und schließlich die breite Treppe in der Eingangshalle hinunterschritt.

Anders, als in den vielen Tagen, Wochen und Monaten, vermutlich sogar Jahren zuvor, wirkte das Schloss seltsam lebendig. Mir begegneten Bedienstete, die ich in meiner gesamten Zeit in diesem Schloss noch kein einziges Mal gesehen hatte. Ich kannte sie nicht und dennoch warfen sie mir beim Vorübergehen ein freundliches Lächeln zu. Vasen wurden umhergetragen und ich konnte sehen, wie Sträuße aus Blumen und allerlei anderes Gewächs im Schloss verteilt wurde. Das triste dunkle Gemäuer wirkte innerhalb weniger Minuten, in denen ich mich aufmerksam umsah, plötzlich freundlich und sogar ein wenig gemütlich. Eindeutig einladender als zuvor.

Mit einem verwirrten Kopfschütteln begab ich mich daraufhin auf die Suche nach dem jüngsten Prinzen der Königsfamilie. Er musste etwas damit zu tun haben, da war ich mir sicher. Womöglich stand eine Feierlichkeit an, von der mir niemand berichtet hatte. Während ich lief, blickte ich kurz an mir herunter und verzog leicht das Gesicht, als ich das cremeweiße Kleid betrachtete, welches mir bis zu den Knöcheln hinabfiel. Sollte im Schloss eine Feierlichkeit abgehalten werden, war ich für diesen Anlass womöglich eindeutig zu schlicht gekleidet.

„Camilla! Ich habe dich bereits überall gesucht." Ich atmete erleichtert auf, als ich Phileas Stimme vernahm und drehte mich augenblicklich zu ihm um. Seine dunkelbraunen Haare hingen ihm ein wenig wirr im Gesicht, doch seine Augen strahlten eine wahre Freude aus, die mich mit sich riss. Bevor ich jedoch etwas sagen konnte, griff er nach meiner Hand und zog mich kommentarlos mit sich. Beinahe stolperte ich über meine eigenen Füße, schaffte es dann aber doch, mit ihm Schritt zu halten. „Ist etwas passiert, Phileas? Was ist hier los?"

Er ignorierte meine Frage. Ich konnte allerdings das leise Lachen hören, welches ihm entwich. Wir hielten vor einer breiten Flügeltür, die ich bis zu diesem Zeitpunkt nur wenige Male durchschritten hatte. Die Wachen, welche bei den vorigen Malen neben der Tür gestanden hatten, waren verschwunden. Stattdessen öffnete Phileas nun selbst die Tür zum Thronsaal und zog mich hinter sich hinein. Das goldene Licht der aufgehenden Sonne strahlte durch die wenigen Fenster hinein und blendete mich für einen Augenblick, weshalb ich erst nicht genau erkennen konnte, was vor mir lag.

Der zuvor noch so kalt wirkende Thronsaal, war nun farbenfroher und heller, als er jemals hätte sein können. Mit langsamen Schritten trat ich weiter in den Raum hinein und sah mich schweigend darin um. Ich war sprachlos. Es gab keinen Begriff, um das Gefühl zu beschreiben, welches ich in diesem Augenblick verspürte. Pflanzen, die ich bereits auf der Suche nach Phileas hatte entdecken können, häuften sich an diesem Ort noch um einiges mehr zusammen.

An einigen Wänden hingen dunkelgrüne Ranken hinunter und mündeten in den großen Kübeln aus Erde, welche einen Untergrund für eine unbeschreibliche Anzahl an Blumen und Gewächsen darstellte, die sich den gesamten Saal entlang, an den Wänden sammelten. Wir waren wortwörtlich umgeben von diesen Pflanzen. Blumen in den schillerndsten bunten Farben, wie ich sie nur aus meiner Kindheit kannte und Gewächsen, die ich in dieser Gegend noch nie zu Gesicht bekommen hatte.

Sprachlos bewunderte ich das zahlreiche Blumenmeer und konnte mich kaum von diesem Anblick lösen. Der gesamte Thronsaal wirkte verzaubert. Nicht nur die hereinfallende Sonne, die den Saal in ein träumerisches Meer aus Gold verwandelte, war der Grund dafür. Dieser Saal hatte sich verändert und löste etwas in mir aus, was ich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr verspürt hatte. Vorsichtig näherte ich mich einer der Wände, an denen die Blumen in gemischten Reihen aufgestellt waren und betrachtete diese schließlich genauer.

Chrysanthemen.

Sie standen überall um uns herum. In Farben, die ich noch nie mit eigenen Augen gesehen hatte. „Was hat das zu bedeuten, Phileas?" fragte ich regelrecht wortlos, denn meine Stimme war nicht mehr als ein zaghaftes Flüstern. Die Chrysanthemen waren ein wichtiger Teil meiner Vergangenheit. Sie verbanden mich mit jemandem, der seither immer an meiner Seite gewesen war. Diese Blumen nun nach all dieser Zeit wieder zu sehen, ließ meine tiefsten dunklen Gedanken für einen Augenblick verschwinden und ich konnte ein Gefühl in mir spüren, welches sich wahrhaftig nach 'Zuhause' anfühlte.

„Leider werde ich dich enttäuschen müssen, Camilla. Ich habe absolut keinen blassen Schimmer, wer dafür verantwortlich ist." Ein Lächeln trat auf meine Lippen, als ich genauer darüber nachdachte. Natürlich. Warum war er mir nicht sofort in den Sinn gekommen, als ich diese Blumen erkannt hatte? „Es muss Jurian gewesen sein." Ich entfernte mich wieder von den Pflanzen und näherte mich daraufhin Phileas, der mir mit einer Mischung aus einem Nicken sowie einem Kopfschütteln antwortete.

„Ich denke nicht, dass er die Möglichkeit hat, hier alles umzudekorieren." Gab er von sich, was jedoch dazu führte, dass ich nur skeptisch den Kopf ein wenig zur Seite legte. „Natürlich hätte er das. Mit deiner Hilfe." Phileas begann zu lachen und hob abwehrend die Hände. „Das würde ich mich nicht wagen. Ich habe bereits genug zu erledigen. Dieser bunte Blumentraum liegt definitiv nicht in meiner Verantwortung." Ich konnte seinen Worten nicht vollends Glauben schenken, doch mir blieb keine andere Wahl.

Ich musste wohl selbst herausfinden, wessen Idee das war. „Sollte Jurian dir begegnen, teile ihm bitte mit, dass ich ihn sprechen möchte." Nach diesen Worten setzte ich mich bereits wieder in Bewegung und verließ kurz darauf den Thronsaal. „Ich denke nicht, dass das notwendig sein wird." Antwortete Phileas mir noch leise darauf, doch dies hörte ich schon nicht mehr. Anders, als er ausgesprochen hatte, wusste Phileas nämlich sehr wohl, welcher Person diese Idee entsprungen war. Jedoch bemühte er sich, dies vorerst zu verheimlichen.

Meine Beine führten mich wie automatisch zurück durch die große Eingangshalle und in das obere Stockwerk hinauf. Gerade, als ich mich dem ehemaligen Schlafgemach der Königin widmen wollte, vor dem Jurian in den letzten Tagen positioniert worden war, wurde ich beinahe von einer Person umgerannt, die in diesem Augenblick eines der anderen Zimmer verließ. Nur einen Sekundenbruchteil später erkannte ich, dass es genau die Person war, nach der ich gesucht hatte. „Juri. Kannst du mir erklären, was dort unten.." Ich verstummte, als meine Augen auf die Tür des Raumes fielen, welchen Jurian soeben verlassen hatte.

Seine Hand lag noch immer auf dem Türknauf. Sein Blick jedoch, war aufmerksam auf mich hinabgerichtet. Ich runzelte die Stirn und trat einen kleinen Schritt zurück. „Warum warst du bei Kiyan?" Meine Stimme war leise und klang plötzlich unsicherer, als ich beabsichtigt hatte. Das Lächeln auf seinen Lippen, wandelte sich zu einem sanften Schmunzeln. „Als Leibwächter trage ich eine besondere Verantwortung, Cami. Ich halte Kiyan lediglich auf dem Laufenden."

Als ich daraufhin einen Schritt auf ihn zulief und nach dem Knauf der Tür greifen wollte, legte er eine Hand an meine Schulter und schob mich von dort zurück. „Er ist ziemlich beschäftigt. Du solltest ihn wohl eine Weile in Ruhe lassen, bis er alles Wichtige erledigt hat." Eine Weile in Ruhe lassen? Wenn ich die vergangenen Tage zusammenfasste, hatte ich ihn seit meiner ersten Nacht im Schlafgemach der Königin, kein einziges Mal mehr zu Gesicht bekommen. Ich könnte Jurian ohne Zweifel mein Leben anvertrauen, doch in diesem Augenblick lösten seine Worte Unruhe in mir aus, die zeitgleich meine Schmerzen im Bauch wieder aufkommen ließen, obwohl diese schon so gut wie vollkommen verklungen waren.

Mit einer schnellen Bewegung löste ich mich aus seinem Griff und riss ohne zu zögern die Tür des Raumes auf, bevor Jurian mich erneut hätte zurückhalten können. Ich würde mich noch eine Weile daran gewöhnen müssen, dass Kiyan ab sofort des Schlafgemach des ehemaligen Königs bewohnte. Der Raum war jedoch hell erleuchtet, da die Sonne durch die weit geöffneten Vorhänge bis in jeden kleinsten Winkel hineinfiel. Ich blieb stehen, als mir Kiyans Statur auffiel, welche an dem Schreibtisch am anderen Ende des Raumes saß. Mit dem Rücken in die Richtung der Tür gewandt.

Er hob lediglich den Kopf ein wenig an, als ich den Raum betrat. „Bitte entschuldige Kiyan, ich habe versucht es ihr auszureden." Auch darauf reagierte Kiyan kaum. Lediglich ein leichtes Nicken konnte ich wahrnehmen. „Es ist in Ordnung. Sie darf bleiben." Ich wechselte einen irritierten Blick zwischen den beiden jungen Männern, bis Jurian mir noch ein aufmunterndes Lächeln zuwarf und schließlich die Tür hinter sich schloss und mich mit Kiyan alleine ließ. 

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt