P.o.V. Phileas
Es war mir unangenehm, dass Camilla so plötzlich in unsere Diskussion hineingeraten war. Ich fragte mich, was sie nun darüber denken würde. Zumal wir uns bereits eine Weile nicht begegnet waren und sie den Grund dafür sicherlich nicht verstand. „Hör auf zu träumen, Phileas und denk einmal darüber nach, was du hier von mir verlangst!" riss mich mein Vater mit seiner durchdringenden Stimme aus meinen Gedanken und ich richtete meinen Blick automatisch wieder auf ihn.
„Besteht keine Möglichkeit, ihn vorerst in der Küche zu beschäftigen? Wir haben nicht mehr genug Personal im Schloss, wäre dies denn nicht.." „Wann bist du nur so leichtgläubig geworden?" fragte er mich und unterbrach mich somit. Ich hasste es, wenn er dies tat. Er gab mir nie die Möglichkeit, etwas ausführlich zu erklären. Ich hatte Camilla versichert, dass ich mein Bestes tun würde, damit Jurian im Schloss bleiben durfte. Doch im Augenblick sah es für ihn ziemlich schlecht aus.
„Du weißt nicht woher er kommt und wozu er imstande ist, Phileas. Es ist gut möglich, dass er ebenso hinterhältig ist wie diese Zofe, über die du bisher ebenfalls nur Gutes zu erzählen hattest." In einem Punkt hatte er Unrecht. Ich wusste ganz genau, woher er kam. Dass Jurian und Camilla sich kannten, hielten wir jedoch vorerst vor ihm verborgen. Sollte Vater dies erfahren, würde er Jurian ohne weitere Diskussion hinauswerfen und dies wollte ich durchaus verhindern. Auch Kiyan hatte mir diesbezüglich zugestimmt und kein Wort über die beiden verloren.
„Es genügt nur ein einziger Tag in der Küche und er versetzt unser Essen mit Gift. Er ist eine Sicherheitslücke, das könnt ihr nicht abstreiten." So wie Vater es formulierte, war dies nicht abwegig. Das Risiko, dass Jurian uns vergiften konnte, war somit sehr hoch. Obwohl ich wusste, dass er so etwas niemals umsetzen würde. Die Möglichkeit dazu, war jedoch gegeben. Ich blickte einmal kurz zu Kiyan, hoffte auf ein wenig Unterstützung seinerseits, doch er saß noch immer genauso nachdenklich dort, wie zu Beginn dieser langwierigen Diskussion. Es enttäuschte mich ein wenig, dass er mir nicht zu Seite stand.
„Hätte er ebenfalls die Absicht, dann hätte er Thekla helfen können und das.." „Es reicht, Phileas!" Die Stimme meines Vater wurde lauter und mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich verstummte sofort. Keiner von uns mochte es, wenn er lauter wurde. Dann reichte nur ein einziges, falsches Wort ehe er zu unschönen Dingen imstande war. Das wollten wir nicht mehr erleben. „Er hat nicht unrecht, Erich." Brachte sich nun auch Mutter mit ihrer ruhigen Stimme in das Gespräch mit ein, was ich nicht erwartet hatte. Meist saß sie bei solchen Diskussionen nur hier und lauschte aufmerksam unseren Worten.
„Womöglich haben wir ihm unser Leben zu verdanken. Wir können nur erahnen was geschehen wäre, hätte er Thekla nicht unschädlich gemacht hätte." Vater schüttelte jedoch nur den Kopf und erhob sich von seinem Platz. „Es wäre NICHTS geschehen. Rein gar nichts, wenn ihr diese Zofe nur bei ihr im Gang gelassen hättet!" Aus einem Impuls heraus, griff er nach einem der Gläser die auf dem Tisch standen und ließ dieses auf dem Boden in tausend Teile zerschellen. Nicht nur ich zuckte dabei zusammen. Selbst Kiyan schien nun aus seinem gedankenvollen Zustand erwacht zu sein.
„Wann seid ihr nur so rührselig geworden? Ich dachte, ich hätte euch anders erzogen." Ich wagte es nicht, auch nur ein einziges Wort von mir zu geben. Ein Blick in die Runde verdeutlichte mir, dass es meiner Mutter und Kiyan ebenso erging. „Wärst du so freundlich und würdest deinem Bruder noch einmal vor Augen führen, warum es nichts Gutes bedeuten kann, wenn ihr Gefühle für die Menschen in diesem Schloss entwickelt? Wenn es euch nicht mehr egal ist, was mit ihnen geschieht?"
„Gefühle zerschlagen uns, sie machen uns schwach." Zitierte er die Worte unseres Vaters, die wir bereits in jungen Jahren sehr häufig von ihm zu hören bekommen hatten. Es war wie ein Mantra, welches er uns stetig einzuprägen versuchte. Die Überzeugung, mit der Kiyan diese Worte jedoch aussprach, würde aus Sicht unseres Vater deutlich zu wünschen übrig lassen. „Regelrecht hunderte Vorträge habe ich euch bereits darüber gehalten und ihr scheint es dennoch nicht zu begreifen." Worte wie diese hatten wir in den vergangenen Tagen des Öfteren von ihm gehört.
Er war nicht stolz auf uns, nicht einmal ansatzweise zufrieden. Es ähnelte mittlerweile einer lästigen Dauerschleife. Wir hatten uns an seinen Tonfall gewöhnt und auch daran, dass wir niemals seinem Ideal entsprechen würden. "Es gäbe noch eine andere Möglichkeit, Jurian im Schloss unterzubringen, Vater." Wandte sich Kiyan nun an ihn, wobei seine Stimme seltsam gefasst und ruhig wirkte. Genau wie Vater hatte er oft Schwierigkeiten sich selbst unter Kontrolle zu halten.
„Ich dachte, ich hätte mich deutlich genug ausgedrückt, Kiyan. Wir können ihn hier nicht gebrauchen, er wird gehen." Mein Bruder ließ sich von seinem bestimmenden Tonfall jedoch nicht klein reden. „ Wir haben auch einige Wachen verloren. Wenn es Jurian so wichtig ist, dass er uns schützen will, warum sollten wir ihm dann nicht die Möglichkeit dazu geben?" Dieser Vorschlag brachte Vater für einen Moment zum Nachdenken. Kiyan sah dies wohl als Zeichen, seinen Vorschlag weiter zu erläutern. „Er ist entbehrlich. Sollte ihm an den Toren etwas zustoßen, wäre es kein großer Verlust, den wir zu tragen hätten."
Es irritierte mich, dass mein Bruder Jurian nun als so wertlos betrachtete. Camilla wäre am Boden zerstört, sollte Jurian dort draußen etwas zustoßen. Zudem war es keine angenehme Position als Wache. In den kalten Jahreszeiten waren Unterkühlung und Erfrierungen nicht unüblich, wenn man sich den ganzen Tag vor den Toren aufhalten musste. „Ich stimme dir zu, Kiyan. Seit dem Übergriff fehlen uns dort einige Männer." Ein wenig Erleichterung packte mich, als sich Vater für diesen Vorschlag einzuvernehmen schien. „Er sollte eine Bezahlung dafür erhalten, so wie all die anderen auch." Gab ich von mir, um für Jurian noch ein wenig mehr herauszuholen.
Zu meinem Glück, teilte Mutter diesen Gedanken. „Phileas hat recht. Es ist nur gerecht, dass er eine Entlohnung für seine Arbeit bekommt." Es schien Vater zu stören, dass wir drei uns anscheinend gegen ihn verbündet hatten. Letztendlich ließ er sich wieder auf seinem Platz am Ende der langen Tafel nieder. „In Ordnung, unter diesen Bedingungen gestatte ich ihm seinen Aufenthalt. Sollte er sich jedoch nur ein einziges Mal zuwider meiner Anweisungen verhalten, werde ich höchstpersönlich dafür sorgen, dass er hier nie wieder gesehen wird."
Trotz des recht scharfen Untertons meines Vaters, war ich unheimlich dankbar, dass wir ihn überzeugen konnten. Obwohl Kiyan für die Wendung verantwortlich gewesen war. Nur war ich mir nicht gänzlich sicher, ob er die zuvor gesagten Worte ernst meinte oder er sich nur so verhielt, damit er Vater auf diese Weise von seiner Überlegung überzeugen konnte. Solange wir seinen Wünschen entsprachen, hatten wir mit ihm keine Probleme. Dies war auch der Grund, warum wir uns in den letzten Tagen von den Bediensteten fernhalten mussten.
Laut Vater war es uns nicht gestattet, ihnen dabei zu helfen, mit dem vergangenen Ereignis zurechtzukommen. Zu gerne hätte ich mit Camilla gesprochen, um nachzusehen, wie es ihr ging. Ihr kurzes Auftauchen hier im Saal hatte mir gezeigt, dass auch sie von den vergangenen Tagen sehr mitgenommen war. Sie wirkte erschöpft. Ich wollte verhindern, dass sie auf dumme Gedanken kam und womöglich doch dieses Schloss verließ. Erfreut wäre ich darüber eher weniger.
„Ein weiteres Mal gestatte ich eine solch ausführliche Diskussion bezüglich des Personals allerdings nicht. Habt ihr das verstanden?" fragte er in die Runde, woraufhin sowohl meine Mutter, als auch Kiyan und ich lediglich mit einem Nicken antworteten. Wir hatten ihn soweit gebracht, dass Jurian bleiben durfte. Ob dieser mit der Position als Wache zufrieden sein würde, stand dabei außer Frage. Er musste es sein. Dies war seine einzige Möglichkeit, weiterhin hier bei Camilla zu bleiben.
Die restliche Zeit im Speisesaal verbrachten wir schweigend. Meiner Mutter war dies sicherlich ganz recht. Normalerweise warf sie nie Kommentare in solche Diskussionen hinein. Wir konnten froh darüber sein, dass sie Vater dadurch nicht noch mehr gereizt hatte. Für uns alle schien sich etwas verändert zu haben, seit Camilla dieses Schloss betreten hatte. Der einzige, der noch immer so uneinsichtig war wie zuvor, war unser Vater. Er ließ sich von nichts beirren. In diesem Schloss und in der Region um dieses herum, bis in die kleinsten Dörfer hinein, war sein Wort Gesetz und jeder, der sich dagegen zu wehren versuchte, würde dafür leiden müssen. So war eben seine Art und ich schämte mich zutiefst für ihn und sein Verhalten.
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Die Zofe
Teen FictionIn einer Welt einige Jahre vor unserer Zeit, im alten Mittelalter, kämpft ein Mädchen gegen ihr Schicksal. Dazu bestimmt, den Rest Ihres Lebens gemeinsam mit ihrer Mutter auf dem Land zu verbringen und von dem wenigen Geld zu leben, welches sie auf...