An diesem Abend lag ich schlaflos in meinem Bett, während ich der Stille um mich herum lauschte, da alle anderen Zofen bereits schliefen. Sie hatten Glück. Ich war auch nur ein Teil dieser langwierigen Monarchie, geführt von einem äußerst tyrannischen König und dennoch sammelten sich an diesem Ort mehr Probleme, als ich anfangs für möglich gehalten hätte. Nachdem ich alle meine Pflichten erledigt hatte und dem König erfolgreich aus dem Weg gegangen war, um ihn nicht noch weiter mit meinem Anblick zu provozieren, hatte ich die Vermutung aufgestellt, dass mir ein wenig Schlaf sicherlich wieder einen freien Kopf bescheren würde.
Damit lag ich falsch. Der Schlaf ließ sich nicht einmal mit einem warmen Tee und stundenlangem Herumwälzen in dem kleinen Bett herbeilocken. Ich war hellwach. Die Sonne war bereits vor Stunden hinter dem Horizont verschwunden, zu diesem Zeitpunkt hatte ich meine Arbeiten noch nicht einmal vollständig erledigt. Nun fühlte es sich so an, als könnte sie in nur wenigen Minuten bereits wieder dort erscheinen und diese noch immer weiße Welt in goldenes Licht tauchen. Kiyan ließ mir in dieser Nacht keine Ruhe. Oder besser gesagt, das, was er zu verbergen versuchte.
Ich setzte mich aufrecht in dem Bett auf, als mir ein Gedanke durch den Kopf schoss. Jeder in diesem Schloss würde schlafen. Was sprach demnach dagegen, in diesem Gang nach dem Grund für Kiyans Aufenthalt zu suchen? Einen Moment lang, ließ ich mir dies durch den Kopf gehen. Ich würde ein wenig Schlaf opfern müssen. Ein weiteres Mal. Doch meine Neugierde war zu groß. Ich würde wohl die gesamte Nacht nicht schlafen können, solange ich dies nicht herausgefunden hatte.
Also stieg ich vorsichtig aus dem Bett, darauf bedacht die anderen nicht zu wecken und lief auf nackten Füßen mit langsamen Schritten in Richtung Tür des Schlafsaals. In solchen Momenten vermisste ich es ein wenig, ein Zimmer ganz für mich allein zu haben. Dies würde solche heimlichen Unternehmungen deutlich einfacher machen. Ich öffnete und schloss die Tür wieder hinter mir, ohne eine der anderen Zofen zu wecken, was ich insgeheim als einen kleinen Erfolg betrachtete.
So leise wie möglich, tappte ich den Gang entlang bis zur großen Eingangshalle, wo ich für einen kurzen Augenblick die Luft anhielt, als ich plötzlich ein Geräusch vernahm. Ein mir bereits bekanntes Geräusch. Die regelmäßigen, dumpfen Schläge, die ich bereits am Tag zuvor hatte hören können. Kiyan hatte diese Geräusche verursacht und ich war mir sicher, dass er auch diesmal der Grund dafür war. Jedoch dachte ich diesmal nicht daran, mir dies genauer anzusehen, obwohl sich auch hier meine Neugierde meldete.
Daher beachtete ich diese dumpfen Schläge nicht weiter, sondern atmete einen Moment durch, ehe ich mit schnellen Schritten durch die Eingangshalle lief und den gegenüberliegenden Gang betrat. Dort angekommen, war ich mir nicht ganz sicher, welchen Weg Kiyan wohl eingeschlagen hatte. Noch während ich dort stand und darüber nachdachte, welcher Weg wohl wahrscheinlicher wäre, erklang ein weiteres Geräusch, welches den dumpfen Schlägen aus Kiyan*s Schlafgemach in keiner Weise glich.
Es hörte sich eisern an. Kalt. Ein Geräusch, welches mir einen Schauer über den Rücken jagte und zugleich meine volle Aufmerksamkeit auf sich zog. Es kam aus der Richtung, in welcher sich der Kerker befand. Es hätte mir direkt in den Sinn kommen können, dass Kiyan dort gewesen sein musste. Jemand musste dort unten in einer Zelle sitzen, dies würde wenigstens ansatzweise das Blut an seinen Händen erklären. Vorsichtig schlich ich weiter den Gang entlang, blieb jedoch an der Biegung stehen, die zur Tür des Kerkers führte. Sollte dort unten wirklich jemand sein, war es nicht unwahrscheinlich, dass an der Tür Wachen positioniert sein würden.
Ich lag richtig mit meiner Vermutung. Bei einem kurzen, flüchtigen Blick stellte ich fest, dass sich wirklich ein Wachmann vor dem Eingang befand. Zu meiner Erleichterung, schien er sich nicht gänzlich an seine Pflichten zu halten, sondern eher dem Schicksal die Verantwortung zu überlassen. Der Wachmann saß auf einem recht klapprig wirkenden Stuhl und.. schlief. Nicht unbedingt das, was man von einem motivierten Wachmann erwarten würde. Dies war mein Vorteil. Somit hatte ich die Möglichkeit, mich langsam an ihm vorbei zu schleichen und leise die Tür des Kerkers zu öffnen, um hindurchschlüpfen zu können.
Hineinzukommen, war einfacher als ich erwartet hatte, dank des äußerst unaufmerksamen Wachmannes. Wieder herauszukommen, würde schwieriger werden, wenn ich nicht sehen konnte, was hinter dieser Tür geschah. Dies waren Sorgen, um die ich mir auch später würde Gedanken machen können. Nun lag meine Aufmerksamkeit darauf, herauszufinden, wo und was hier unten gefangen gehalten wurde. Das eiserne Geräusch war verklungen und gab nun keinen Hinweis mehr zu dessen Ursprung. Der eisige Boden unter meinen nackten Füßen, ließ die Kälte regelrecht bis in meine Knochen wandern, doch ich lief weiter. Für einen kurzen Moment würde ich wohl frieren müssen.
Ich blickte in jede einzelne Zelle, während ich an diesen vorbeilief. Keine von ihnen gab mir einen neuen Hinweis darauf, warum Kiyan hier unten gewesen sein musste. Bereits eine dünne weiße Wolke war zu sehen, wenn ich in die kalte Luft hinausatmete. Es war unglaublich kalt in diesen Gängen. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie es sein musste, dauerhaft hier sitzen geschweige denn schlafen zu müssen. Nach so vielen Gängen, dass ich bereits aufgehört hatte, mir zu merken wie weit ich gelaufen war, kam ich schließlich in einer Gegend an, die mir ein wenig bekannt vorkam.
In diesem Gang hatte ich die Zelle entdeckt, in der dieser seltsame, alte Teddybär gesessen und mich mit seinen dunkeln Augen angestarrt hatte. Die Erinnerung daran, verschaffte mir nun eine Gänsehaut. Mitten in der Nacht, in solch einer Kälte, war die Erinnerung daran noch deutlich unheimlicher. „Ist da jemand?" Mein Herz schien förmlich für einen Moment stillzustehen. Die Stimme kam wie aus dem Nichts, klang jedoch selbst in diesen hallenden Gängen äußerst leise und zaghaft. Zudem kam sie mir bekannt vor. Sehr bekannt sogar.
Sobald ich mich von dem Schreck erholt hatte, trat ich vorsichtig weiter den Gang entlang, bis zu der Zelle, in der ich den Ursprung dieser Stimme vermutete. Darin war es dunkel. So dunkel, dass ich mehr einen dunklen Schatten als eine Person darin erkennen konnte. Doch im Gegensatz zu dieser Person, war ich und der Gang in dem ich mich befand, ein wenig besser ausgeleuchtet. „Camilla?" Die Stimme klang nun ein wenig heller, freudiger. Begleitet von einem unangenehmen Kratzen.
Aus den Tiefen meines Unterbewusstseins kamen plötzlich die Erinnerungen an meine Vergangenheit wieder hervor. Ich hatte sie allesamt so gut es mir irgendwie möglich war, verdrängt. Sie hatten mich nur bei der Ausführung meiner Arbeit gehindert. Obwohl diese Zeit nur wenige Wochen hinter mir lag, fühlte es sich dennoch wie eine Ewigkeit an. „Jurian?" Ungläubig und regelrecht sprachlos starrte ich zwischen den Eisenstäben hindurch in das Innere der Zelle. Dass er wirklich hier war, musste eine Täuschung meiner Wahrnehmung sein.
Ich beobachtete den Schatten dabei, wie er sich aus seiner sitzenden Position erhob und näher an die Gitterstäbe herantrat. Dadurch bekam ich die Möglichkeit, erkennen zu können, ob es wirklich Jurian war, der sich in dieser Zelle befand. Seine braunen Augen fielen mir unter dem dämmrigen Licht der Fackel zuerst ins Auge, auch seine blonden Haare, die nun ein wenig zerzaust wirkten, bis meine Aufmerksamkeit auf den Rest seines Gesichtes gelenkt wurde. Ein Teil seines Gesichtes war mit Blut verschmiert. Bereits getrocknet aber dennoch sichtbar.
„Juri.. was ist mit deinem Gesicht passiert? Hast du-.." fragte ich ihn, sobald er nahe genug war, um ihn gänzlich betrachten zu können. „Es geht mir gut, Camilla." Unterbrach er mich und seine Lippen hoben sich sogar zu einem leichten Lächeln. Zusammen mit seinem blutverschmierten Gesicht, wirkte dies schon regelrecht unheimlich. Gut, bedeutete für mich eindeutig etwas anderes, als verletzt inmitten eines eiskalten Kerkers zu sitzen. Ich schüttelte bei seiner Aussage den Kopf „War das Kiyan? Ich habe ihn zufällig gesehen, als .." begann ich wieder, doch ein Schmunzeln seinerseits brachte mich erneut zum Schweigen.
Durch die Gitterstäbe hindurch griff er nach meinen Händen und ich spürte sofort, wie eine eisige Kälte von diesen ausging. Er musste bereits seit einigen Stunden in dieser Zelle sitzen. Womöglich sogar noch länger. „Camilla, hör mir zu." Begann er, woraufhin ich ihm aufmerksam und zugleich besorgt entgegenblickte. „Wir werden hier verschwinden. Wir beide. Das hier ist ein grauenvoller Ort, wir gehören nicht hierher."
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Heyy meine lieben Leserinnen und Leser,
ich hoffe, ihr habt aktuell Zuhause angenehmere Nächte als Jurian in diesem Kapitel.
Was denkt ihr: Werden Camilla und Jurian einen Weg finden aus dem Schloss zu verschwinden oder wird sich ihnen etwas in den Weg stellen?
Und nun eine Frage an all die aktiven Leser unter euch, die sich direkt selbst eine Meinung zu dem sonderbaren Brüderpaar gebildet haben:
Wem würdet ihr mehr Vertrauen schenken? Kiyan oder Phileas? Und warum?
Ich bin gespannt, eure Antworten darauf zu lesen! ;)
LG eure Angel
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Die Zofe
Teen FictionIn einer Welt einige Jahre vor unserer Zeit, im alten Mittelalter, kämpft ein Mädchen gegen ihr Schicksal. Dazu bestimmt, den Rest Ihres Lebens gemeinsam mit ihrer Mutter auf dem Land zu verbringen und von dem wenigen Geld zu leben, welches sie auf...