Es war ein dunkler Tag für uns alle. Das Wetter hatte sich unseren Gemütern angepasst, denn es regnete bereits seit Stunden konsequent auf uns hinab. Der Boden unter unseren Füßen hatte sich in einen modrigen, matschigen Untergrund verwandelt, der meine Schuhe sicherlich bereits in ein unschönes Braun getaucht haben musste. Sehen konnte ich dies jedoch nicht, da mir das bodenlange schwarze Kleid welches ich trug, die Sicht dorthin verbarg. Die Temperaturen hätten für diese Jahreszeit kälter sein sollen, doch darüber machten wir uns im Augenblick am wenigsten Gedanken. Kiyans Hand in der Meinen, fühlte sich seltsam kalt an.
Schweigend standen wir seit einer halben Ewigkeit dort oben auf dem Hügel, unweit vom Schloss entfernt und blickten hinab auf die Stelle, die Phileas' letzte Ruhestätte darstellen sollte. Es war lediglich eine sanfte Erhöhung der Erde zu sehen. Phileas war jahrelang zu früher Stunde im Schloss umhergewandert und hatte es geliebt, die aufgehende Sonne dabei zu beobachten, wie diese hinter dem Horizont hervortrat. Trotz jeglicher Traditionen, hatte Kiyan daher beschlossen, ihn hier auf dem Hügel zu begraben. Von seiner Position aus, würde er nun an jedem weiteren Tag den Sonnenaufgang beobachten können.
Wir hielten das Grab unbeschriftet und ohne Dekoration, damit es zukünftig nicht verunstaltet werden würde. Es war untypisch, dass die Mitglieder der Königsfamilie außerhalb des Schlosses bestattet wurden. Kiyan wollte dennoch jede Möglichkeit umgehen, dass Phileas' Ruhe durch Grabschänder gestört werden konnte. Der Teddybär, den Kiyan von seinem Bruder hatte mitgehen lassen, befand sich nun bei ihm dort unten. Er war der Hoffnung, dass sich seine Geschwister somit leichter wiederfinden würden.
Ich drückte seine Hand sanft und drehte mich schließlich in seine Richtung. Die Kapuze seines schwarzes Mantels war ihm tief ins Gesicht gerutscht, weshalb ich seinen Gesichtsausdruck nicht klar erkennen konnte. „Wir sollten zurückkehren, ehe du dir noch eine Erkältung einfängst." Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Kaum hörbar, bei dem prasselnden Regen um uns herum. Mein eigener weißer Mantel wirkte in dieser Situation auffallend unpassend. „Nur noch ein paar Minuten."
Jurian würde an anderer Stelle bestattet werden. Kiyan hatte mir mitgeteilt, dass der Leichnam meines besten Freundes zurück in unser Dorf gebracht werden würde, um dort in der Nähe seiner Familie seine letzte Ruhe zu finden. Ich betrauerte, dass ich mich nie wirklich von ihm hatte verabschieden können. Obwohl es für mich unangenehm gewesen wäre, wäre ich gerne in dem Moment bei seiner Familie gewesen, als sie erfahren mussten, dass ihr Sohn gefallen war. Ich hätte ihnen beistehen sollen. All dies war mir nicht möglich und doch war ich dankbar, dass Kiyan sich ihm angenommen und sich Gedanken um seinen letzten Verbleib gemacht hatte. Obwohl sie sich nie sonderlich gemocht hatten.
Sollte ich irgendwann in das Dorf zurückkehren, würde ich Jurian dort besuchen und ihm eine Chrysantheme auf sein Grab legen, als Andenken an all das, was wir gemeinsam erlebt hatten. Ich würde ihm von allem erzählen, was in der Zwischenzeit passiert sein würde. Wenn er dies nicht sogar von oben beobachten und unbemerkt von mir über meine Handlungen den Kopf schütteln würde. Ich vermisste ihn sehr. Er war wie ein Bruder für mich gewesen, obwohl ich wusste, dass ich ihm mehr bedeutet hatte als das. Jurian würde auch in Zukunft immer in meinem Herzen sein und er würde von oben auf mich Acht geben, das wusste ich.
Kiyan setzte sich schließlich in Bewegung und ich trat gemeinsam mit ihm den Weg zurück zum Schloss an. Es war bereits früher Nachmittag, dennoch hatte ich an diesem Tag nur wenige Worte von ihm zu hören bekommen. Er musste tief in seine Gedanken versunken sein. Ich wollte ihn in seiner Ruhe nicht stören, daher beließ ich es bei unserem Schweigen. Einige Minuten später kamen wir am Schloss an und ich zog den triefend nassen Mantel von meinen Schultern. Auch mein Kleid musste bis auf den untersten Stoff durchnässt sein, denn es fühlte sich an, als würde ich eine tonnenschwere Last auf meinen Schultern tragen.
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Die Zofe
Teen FictionIn einer Welt einige Jahre vor unserer Zeit, im alten Mittelalter, kämpft ein Mädchen gegen ihr Schicksal. Dazu bestimmt, den Rest Ihres Lebens gemeinsam mit ihrer Mutter auf dem Land zu verbringen und von dem wenigen Geld zu leben, welches sie auf...