Konkurrenz

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„Juri, du musst doch nicht.." „Doch muss ich, Cami." Unterbrach er mich, während wir noch immer durch den Gang liefen und uns langsam der Eingangshalle näherten, die wir noch durchqueren mussten, um den Raum zu erreichen, in dem ich für die nächste Zeit unterkommen würde. „Ich bin nicht gerne hier. Das wäre das letzte, was ich aus freiem Willen machen würde. Allerdings kann ich dich hier nicht alleine lassen. Also bring mich nicht zum Verzweifeln, indem du direkt verschwindest, wenn ich nur für einen kurzen Moment nicht aufmerksam bin." Noch immer klang seine Stimme gereizt und ich fühlte mich in diesem Augenblick wie ein kleines Kind, was eine Lehre bekam.

Diese Worte gaben mir allerdings die Bestätigung, dass er wirklich nur meinetwegen hier blieb. Ich schien ihm zu viel zu bedeuten, als dass er mich an diesem Ort alleine lassen könnte. „Phileas wird eine Lösung finden, das hat er.." Jurian blieb schlagartig stehen und drehte sich zu mir um, was dafür sorgte, dass auch ich stehen bleiben musste, um nicht gegen ihn zu laufen. „Du denkst doch hoffentlich nicht, dass der König mir die Erlaubnis erteilt, weiterhin anwesend zu sein. Ich habe keinen Nutzen für ihn, Cami. Ich werde nicht hierbleiben können, ohne Probleme zu verursachen."

Damit hatte er womöglich recht, das würde der König nicht zulassen. Ich wusste, wie unbarmherzig er sein konnte. Das hatte ich bereits bei seinem Verhalten gegenüber Amalia erkannt. „Wir werden einen Weg finden, damit du.." Jurian schüttelte den Kopf und unterbrach mich dadurch erneut. „Ich habe über nichts Anderes als das nachgedacht. Es ist eine freundliche Geste von Phileas, dass er nach einer Lösung sucht, doch es wird nicht funktionieren. Es ist Irrsinn und es zerreißt mir förmlich das Herz, wenn ich nur daran denke, dich hier alleine lassen zu müssen."

Ich schwieg bei den Worten, die er mir entgegenbrachte. Er war schon immer ein sehr ehrlicher Mensch gewesen aber er hatte sich nie auf solch eine Weise mir gegenüber offenbart. Ich griff nach seiner noch freien Hand, mit der Hoffnung, ihn dadurch ein wenig beruhigen zu können. Jedoch löste er seine Hand direkt wieder aus meiner und wandte sich von mir ab, um den Weg zurück zum Raum fortzuführen. Ich war verwirrt, obwohl ich nachvollziehen konnte, dass er von diesen Gefühlen überwältigt war. Auch ich war hilflos, was unsere Situation betraf.

Wenn Jurian gehen müsste, würde er mich hier alleine lassen müssen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass ich mit ihm verschwinden würde. Dies war aus meiner Sicht allerdings keine Option. In unserem Dorf hatte ich regelrecht alles verloren. Ich würde von Grund auf neu anfangen müssen. Das würde ich Jurian nicht zumuten können, zumal ich langsam so etwas wie ein angenehmes Gefühl entwickelte, in diesem Schloss zu sein. Die vergangenen Geschehnisse einmal ausgeschlossen.

Ich folgte ihm weiter den Gang entlang, merkte jedoch selbst aus dieser Entfernung, ohne seinen Gesichtsausdruck zu sehen, wie angespannt er war. Es tat mir leid, ihn in diese Situation gebracht zu haben. Er hätte nicht herkommen sollen und doch hatte er dadurch einiges verändert. Er hatte mein Leben gerettet. Die Entscheidung, wie es nun mit uns weitergehen würde, lag allerdings weder bei ihm, noch bei mir. Es waren die Prinzen, von denen wir eine Lösung dieses Problems erhofften. Wir mussten geduldig sein. So wie ich Jurian allerdings kannte, war Geduld nicht unbedingt eine seiner Stärken.

„Versprich mir, dass du dich noch ein wenig ausruhst." Wandte er sich schließlich wieder an mich, sobald wir wieder die Tür zum Raum einer der anderen Bediensteten erreicht hatten. Ich bestätigte dies mit einem Nicken, gab jedoch kein weiteres Wort von mir. Ich wollte nicht weiter mit ihm über etwas diskutieren, dessen Entscheidung vorerst nicht bei uns lag. Es würde nichts bringen. Im schlimmsten Fall sagten wir beide nur Dinge, die den anderen verletzen würden.

Er öffnete mir die Tür und ließ mich hineintreten. Die Person die dort bereits auf mich wartete, half mir glücklicherweise dabei, nicht weiter über dieses Problem nachzudenken. „Bitte entschuldige, Camilla. Mir wurde mitgeteilt, dass du.. Mein Gott. Du siehst wirklich grauenvoll aus." Meine Mundwinkel hoben sich zu einem leichten Schmunzeln, als ich diese Worte von ihm hörte. Gefolgt von einem amüsierten Lachen seinerseits. Er sorgte dafür, dass meine sorgenvollen Gedanken für einen Moment der Erleichterung Platz machten.

„Verzeihung? So spricht man nicht mit.." warf Jurian ein, doch ich brachte ihn mit einer einzigen Handbewegung zum Schweigen. „Es ist schon in Ordnung, Juri." Erwähnte ich lediglich und trat dann näher an den Jungen heran, der mir daraufhin mit seinem schälmischen Grinsen entgegenblickte. Schon eine Weile hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Ich war erleichtert, dass ihm nichts geschehen war. „Wer ist das?" Keylam's Gesichtsausdruck wechselte zu Skepsis, als er Jurian ein wenig genauer betrachtete. Ich gab ihm darauf keine Antwort.

„Geht es dir gut? Was ist mit deinem Vater?" Augenblicklich wandte sich Keylam wieder mir zu und der freundliche Ausdruck auf seinem Gesicht kehrte zurück. „Wir konnten schnell genug reagieren. Sie hatten es nicht auf uns abgesehen, das war unser Glück." Erklärte er mir, wodurch die Erleichterung in mir nur noch größer wurde. Ich war froh, dass es ihm gut ging. „Wärst du so freundlich und würdest mir erklären, wer du bist?" warf sich Jurian erneut dazwischen und ich gab ein Seufzen von mir.

Keylam schien jedoch keine Schwierigkeiten damit zu haben, sich ihm gegenüber zu Wort zu melden. Das Lächeln auf seinen Lippen verschwand und sein Blick richtete sich durchdringend auf Jurian. „Wer bist du?" Ich musste gestehen, dass es mich ein wenig amüsierte, die beiden so zu sehen. „Keylam, das ist Jurian. Wir kennen uns bereits seit einer halben Ewigkeit, sei also bitte nett zu ihm." Gab ich von mir und wandte mich dann an Jurian „Er ist keine Bedrohung, Juri. Das.." begann ich, doch Keylam unterbrach mich sofort. „Keine Bedrohung? Ich sehe womöglich freundlich aus aber ich werde immer besser im Umgang mit dem Schwert."

Ich schwieg daraufhin, während Jurian's Blick sich erst zu einem irritierten und dann zu einem regelrecht entsetzten Ausdruck veränderte. „Cami, das ist ein Kind. Ein Kind mit einer beunruhigenden Vorliebe für Schwerter!" Ich schüttelte lediglich mit einem Seufzen den Kopf, Jurian fuhr mit seiner Ansprache fort: „Keylam.. es wäre wohl eine gute Idee, wenn du jetzt verschwindest, ehe ich dich noch eigenhändig hier herausschleifen muss." Mir war bewusst, dass Jurian Keylam's Anwesenheit zunehmend als störend empfand. Er stand grundlegend bereits unter Strom und es war absehbar, dass er seine Worte wirklich ernst meinte.

Keylam hingegen deutete nur auf den Stapel an neuer Kleidung, der nun auf dem Bett lag und mir vorher nicht aufgefallen war. Kiyan hatte erwähnt, dass er aus diesem Grund vorbeikommen würde. Nach der Diskussion mit Jurian hatte ich dies jedoch wieder aus meinen Gedanken verloren. „Hiermit übersende ich Grüße von Prinz Kiyan." Keylam's Blick war noch immer sturr auf Jurian gerichtet. „Sollte dir meine Anwesenheit nicht angenehm sein, wird er sicherlich sehr erfreut darüber sein, diese Thematik mit dir zu sprechen." Damit wandte er sich noch einmal kurz zu mir, schenkte mir noch ein kurzes nun deutlich selbstsichereres Lächeln, ehe er sich schließlich von uns abwandte und den Raum wieder verließ.

Ich hatte ihn ein wenig anders kennengelernt. Zurückhaltend, regelrecht schüchtern. Es amüsierte mich, dass er sich von Jurian nicht einschüchtern ließ, obwohl er einige Jahre älter war. Er würde seinen Weg noch finden und ich war noch immer neugierig darauf, aus welchem Grund er und sein Vater in diesem Schloss waren. So viele Dinge waren noch unergründet. „Seit wann ist es Kindern gestattet, sich auf diese Weise zu verhalten?" fragte mich Jurian, nachdem Keylam verschwunden war. Der entsetzte Ausdruck lag noch immer auf seinem Gesicht. Ich konnte mir ein kurzes Auflachen nicht verkneifen.

„Womöglich muss ich dich daran erinnern, dass er in diesem Moment eine höhere Stellung besitzt als du, Juri. Er mag ein paar Jahre jünger sein, doch darum geht es hier nicht. Du hast ihm gegenüber keine Befehlsgewalt." Jurian schien sich damit nicht gerne abfinden zu wollen, setzte bereits zu einem weiteren Satz an, jedoch blickte ich den Stapel an Kleidung einmal kurz durch und drückte ihm schließlich die Kleidungsstücke in die Hand, die für ihn gedacht waren, noch bevor er seinen Satz beginnen konnte. „Es wäre sicherlich keine schlechte Idee, wenn du dir ein wenig Zeit für dich nimmst, Juri. Schließlich war es doch deine Überzeugung, dass ich mich noch eine Weile ausruhen sollte."

Meine Worte enthielten einen amüsierten Unterton, dennoch erkannte ich an Jurian's Blick, dass er dies nicht auf die selbe amüsante Weise wahrnahm. Auch er musste sich daran gewöhnen, dass er nicht tagtäglich durchgehend in meiner Nähe sein konnte. Ich würde mein Leben hier weiterleben müssen, bis entschieden werden würde, was mit Jurian und eventuell auch mit mir geschah. „Womöglich hast du recht." Stimmte er mir zu, wobei seine Stimme nicht vollends überzeugt klang. Natürlich war es nicht leicht, auch ich vermisste die alten Zeiten. Doch nun waren wir hier, in einer gänzlich anderen Welt und so wie es damals war, konnte es hier nicht sein. Er musste verstehen, dass auch ich, so gerne ich ihn auch in meiner Nähe hatte, gelegentlich ein wenig Freiraum brauchte. Ein wenig Platz zum Atmen, zum Nachdenken und zum Trauern. 

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt