Sobald ich erfuhr, dass der König das Schloss aufgrund von geschäftlichen Umständen verlassen würde, hellte sich meine Stimmung natürlich deutlich auf. Es fühlte sich förmlich so an, als würde ich durch seine Abwesenheit wieder ein wenig besser atmen können. Dieses Schloss wirkte nicht mehr ganz so bedrückend wie zuvor. Es war immer wieder erstaunlich, welche Wirkung sein Verschwinden auf das Schloss hatte. In den Gängen wurde es lauter. Gelegentlich konnte ich sogar Keylam umherirren sehen. Ich fand bedauerlicherweise keinen Moment, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Auch er schien sich über die Abwesenheit des Königs zu freuen, das erkannte ich mehr als deutlich an dem Lächeln auf seinen Lippen, trotz unserer Entfernung voneinander.
Das einzige, was meine Freude ein wenig trübte, waren die Wachen, die stets auf der Seite des Königs standen und besonders an den Eingängen des Schlosses, sowie auch dem Garten ihre Augen und Ohren überall zu haben schienen. Dort musste ich noch immer darauf achten, kein falsches Wort von mir zugeben, welches den Wachen einen Grund geben könnte, dem König Bericht über mich zu erstatten. Zwei Tage, nachdem der König das Schloss verlassen hatte, war ich bereits am frühen Morgen im Garten unterwegs und wanderte im warmen Schein der Frühlingssonne in den bunten Blumen und duftenden Sträuchern umher. Ich hatte es wahrlich vermisst, so viel Zeit außerhalb der kalten Mauern zu verbringen und ich nutzte jeden kleinsten Moment aus, der mir gegeben wurde.
Mit flinken Fingern pflückte ich ein paar bereits reife Erdbeeren aus einem der Sträucher, mit dem Gedanken, dass in der Küche sicherlich eine gute Verwendung dafür gefunden werden konnte. Ich hatte die Erdbeeren bei uns im Dorf bereits als Kind geliebt. Diese kleinen roten Beeren, gaben mir ein winziges Gefühl von Heimat in diesem großen goldenen Käfig und sorgten dafür, dass sich ein leichtes Lächeln auf meine Lippen schlich. Es war lange her, dass ich eine solche Form der Zufriedenheit in diesem Schloss verspürte. Natürlich wusste ich, dass es nicht ewig so seelenruhig sein wurde, doch in diesem Moment versuchte ich einmal nicht an die Zukunft zu denken, sondern mich lediglich auf diese Zeit der Ruhe zu konzentrieren, die mein Körper sehnlichst herbeigesehnt hatte.
„Psst." Ich hob den Kopf ein wenig, als ich plötzlich ein ungewöhnliches Geräusch vernahm und blickte mich mit einem etwas verwirrten Gesichtsausdruck in der Gegend um. Auf dem ersten Blick konnte ich jedoch nicht erkennen, was dieses Geräusch verursacht hatte und nahm daher an, dass es womöglich nur ein kleines Tier in einem der Büsche gewesen sein musste. „Camilla." Diese Stimme war nun klarer, weshalb ich meinen Blick direkt in die Richtung lenkte, aus der die Stimme gekommen sein musste. Eindeutig war dies kein Tier gewesen. Ich erhob mich langsam und trat mit vorsichtigen Schritten näher an das Gebüsch heran, aus dem diese Stimme meinen Namen gerufen hatte. Den zur Hälfte mit Erdbeeren gefüllten Korb, hielt ich fest mit meinen Händen umklammert. Ich musste aufpassen was ich tat. Die Wachen konnten jederzeit vorbeikommen und sich fragen, was ich hier tat.
„Ich möchte nur einen kurzen Augenblick mit dir sprechen, Cami." Nun kam mir die Stimme bekannter vor und sobald ich wenige Meter von dem Gebüsch entfernt stehen blieb, erkannte ich auch die Person, zu der diese Stimme gehörte. „..Jurian?" meine Stimme wurde automatisch leiser, in der Hoffnung, dass keine der Wachen etwas von unserem Gespräch mitbekam. Wenn der König herausfand, dass wir miteinander sprachen, würde er sicherlich nicht sehr erfreut darüber sein. „Wir haben uns seit einer Ewigkeit nicht gesehen.. du fehlst mir." Gab er mir zu verstehen und ich blickte mich einmal unsicher im Garten um. Wir waren vorerst alleine, dies konnte sich allerdings jederzeit ändern.
„Du solltest nicht hier sein, Juri. Es ist mir nicht gestattet, mit dir zu sprechen." Um den Schein zu wahren, weiterhin mit meiner Arbeit beschäftigt zu sein, widmete ich meine Aufmerksamkeit den Sträuchern neben mir, an dem sich noch vereinzelt ein paar reife Erdbeeren befanden. „Die Regelungen des Königs sind irrsinnig, Cami. Ich habe vor Kurzem von dem Tod der Königin erfahren, das tut mir sehr leid. Du kanntest sie womöglich ein wenig besser als ich." Ich nickte langsam, blickte allerdings nicht in seine Richtung. „Wir standen uns nahe, sie war wahrlich eine wundervolle Frau." „Geht es dir gut, Cami? Da ich so lange kein Wort von dir gehört habe, dachte ich, dass.." „Es geht mir gut, Juri. Jetzt, da der König für ein paar Tage verreist ist.." begann ich, ehe ein kurzer Windstoß mich erfasste und Jurians Stimme mich unterbrach. „Und wie kannst du mir diese Narbe an deiner Schläfe erklären?"
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Die Zofe
Genç KurguIn einer Welt einige Jahre vor unserer Zeit, im alten Mittelalter, kämpft ein Mädchen gegen ihr Schicksal. Dazu bestimmt, den Rest Ihres Lebens gemeinsam mit ihrer Mutter auf dem Land zu verbringen und von dem wenigen Geld zu leben, welches sie auf...