Die Macht der Angst

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Es geschah ungefähr eine Woche, nachdem wir von dem plötzlichen Auftauchen der Pest erfahren hatten. Bereits am frühen Morgen weckte mich ein Geräusch, welches mir vertrauter vorkam, als ich mir eingestehen wollte. Zu Beginn tat ich es als ein Geräusch ab, welches wohl von außerhalb unseres Hauses kommen musste. Womöglich schlich sich dort irgendein Tier herum. Doch als dieses Geräusch ein weiteres Mal auftrat und sich dabei eher wie ein vor Schmerz verzerrtes Stöhnen anhörte, wurde mir bewusst, dass dies nicht von außerhalb kam, sondern direkt in unserem Haus entstanden war. Bisher konnte ich nur nicht genau erfassen, was es war.

Also erhob ich mich langsam von meinem Bett, welches dabei ein paar knarzende Laute von sich gab und verließ mit vorsichtigen Schritten mein Zimmer. Dabei lauschte ich nach diesem Geräusch und versuchte dessen Ursprung zu finden. Bis ich schließlich mit einer ansteigenden Besorgnis vor dem Zimmer meiner Mutter stehen blieb. Das Geräusch schien von dort drinnen zu kommen und unterbewusst erahnte ich sogar den Grund dafür. Ich legte eine Hand an die Tür und öffnete diese einen Spalt weit. Das Geräusch wurde etwas lauter und nahm nun sogar einen fast schon unangenehmen Unterton an. Es gab keinen Zweifel mehr daran, dass es direkt von meiner Mutter kommen musste.

Mit aufsteigender Nervosität öffnete ich die Tür noch ein wenig weiter und betrat mit zögernden Schritten das Zimmer. Nach dem Tod meines Vaters, hatte ich es nicht ein einziges Mal betreten. Es war merkwürdig, nach all den Jahren nun wieder hier zu stehen und dabei zu wissen, dass nichts mehr so war, wie damals. „Mutter?" Meine Stimme war ein wenig kratzig und es fühlte sich an, als hätte ich einen Kloß im Hals. Sie antwortete mir nicht. Ich konnte lediglich erkennen, wie sie in ihrem Bett lag und ihr Haar einen Großteil ihres Gesichts vor mir verbarg. Das Geräusch kam unweigerlich von ihr, also schien etwas ganz und gar nicht in Ordnung zu sein.

Noch ein paar weitere Schritte lief ich näher heran, bis ich fast direkt neben dem Bett stand. Unter den umherliegenden blonden Strähnen konnte ich nun die Konturen ihres Gesichts erkennen, zudem auch ihre Augen, die mir fast schon gequält entgegenblickten. „Camilla.. Liebes.." Sie schien diese Worte nur schwerfällig von sich geben zu können. „Geht es dir nicht gut?" fragte ich sie, mit einer leisen, fast schon unsicheren Stimme. Darauf gab sie mir jedoch keine Antwort, sondern richtete ihren Blick nur stumm an mir vorbei.

Nur selten hatte ich sie in solch einem Zustand erlebt. Meistens in der tiefen Winterzeit, wenn sie sich eine schwere Erkältung eingefangen hatte und einfach nicht genug Kraft sammeln konnte, um in irgendeiner Weise zu kommunizieren. Diesmal schien es wohl genauso zu sein, doch aktuell waren die Temperaturen nicht niedrig genug, als dass dies hätte möglich sein können. Um ihr die Sicht ein wenig zu erleichtern, schob ich mit einer Hand ein Paar der lose im Gesicht herumliegenden Haare zur Seite. Genau in dem Moment als ich dies tat, entdeckte ich einen kleinen schwarz-blauen Fleck, der mir fast schon ins Gesicht schrie, was hier vor sich ging. Diese Erkenntnis ließ mich augenblicklich ein paar Schritte zurück stolpern.

Mein Puls beschleunigte sich und für eine Weile konnte ich nichts anderes tun, als meine Mutter zu beobachten, wie sie dort auf dem Bett lag und diese gequälten Geräusche von sich gab. Ihr Blick war nun wieder auf mich gerichtet. Ihre Augen strahlten nicht mehr diese Zufriedenheit aus, wie es sonst der Fall gewesen war. Sie wirkten eher glasig. „Geh fort, Camilla... geh.." Bei dem erneuten Klang ihrer Stimme zuckte ich leicht zusammen. So sehr erschreckte es mich, sie in diesem Zustand zu sehen.

Mein Körper wusste was es war. Angst hatte sich in ihm ausgebreitet und meinen Puls in die Höhe getrieben. Doch mein Kopf schien sich nicht eingestehen zu wollen, dass das was hier passierte, meinem schlimmsten Albtraum glich. Nur dass es kein Traum war. Das hier war real und geschah in genau diesem Augenblick. „Lass mich nicht allein.." hauchte ich leise, ohne den Blick von meiner Mutter abzuwenden. Fast wie in Trance wandte ich mich dann doch von ihr ab und trat mit schnellen Schritten aus dem Haus. Die mittlerweile kalten Temperaturen am frühen Morgen, spürte ich weder an meinen Füßen, noch an meiner Haut. Dies schien nun alles unwichtig zu sein.

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt