„Du zitterst bereits, Cami. Bitte leg dich wieder schlafen." Dass das Zittern meines Körpers von seinem gänzlichen Unverständnis meiner Sorge herrührte, sprach ich nicht aus. Kiyans Mantel spendete mir genug Wärme, sodass ich im Inneren des kühlen Gemäuers nicht erfrieren würde. Jurian öffnete die Tür von Kiyans Schlafgemach ein Stück weiter, welche hinter mir beinahe ins Schloss gefallen war. „Morgen wird es dir bestimmt besser gehen." Seine Stimme war angesichts unserer Situation seltsam ruhig.
Da ich nur ungerne weiter mit ihm diskutieren wollte und ohnehin nicht mit Sicherheit wusste, ob Kiyan noch im Garten war, stapfte ich mit schnellen Schritten an ihm vorbei, zurück in den Raum aus dem ich gekommen war, bevor Jurian mich aufgehalten hatte. Der blonde junge Mann, der seit Kindertagen an meiner Seite war und wohl jeden Augenblick meines bisherigen Lebens kannte, blieb im Türrahmen stehen und beobachtete mich eine Weile dabei, wie ich zurück zum Bett lief und mich wieder darauf niederließ. Kiyans schwarzen Mantel trug ich noch immer um die Schultern, doch ich wollte ihn nicht ablegen.
„Wäre es nicht gemütlicher, den Mantel.." fing Jurian an, doch ich funkelte ihn nur wutentbrannt an. Er mochte es bestimmt nur gut meinen, doch die Tatsache, dass er meinen Worten keinen Glauben schenkte, obwohl wir uns so gut kannten, fühlte sie an, als würde er mir einen Dolch in den Rücken rammen. Diese Wortwahl in meinen Gedanken, ließ mich erschaudern. „Du kannst gehen." Formulierte ich lediglich in seine Richtung, ehe ich meinem Blick dem Fenster zuwandte und versuchte, mich auf die funkelnden Sterne am Himmel zu konzentrieren.
„Camilla.." Darauf folgte eine Weile Schweigen und ich dachte, er wäre bereits verschwunden, als seine Stimme erneut erklang. Diesmal deutlich leiser und sanfter als zuvor. „Solltest du erneut von einem solchen Alptraum heimgesucht werden, ich bin die gesamte Nacht vor dieser Tür." Der bloße Gedanke daran erschütterte mich. Der König war tot. Warum spielte er sich noch immer als Wache auf, dessen Titel er vor Tagen verloren hatte und versuchte nicht zu schlafen, wie es sonst jeder tat?
Lediglich eine einzige Nacht hatte es gebraucht, um die Menschen, die sich näher standen als sonst jemand, gegeneinander zu richten. Ich hatte es für unmöglich gehalten, dass ich jemals so etwas wie Wut gegenüber Jurian empfinden konnte, doch es war geschehen. Mehr Enttäuschung als Wut, musste ich zugeben. Doch es war da. Dieses unscheinbare Gefühl, dass ich mein jahrelanges Vertrauen in ihn anzweifeln musste. „Sei vorsichtig, wenn du in seiner Nähe bist. Ich traue ihm noch immer nicht und ich weiß, dass du es auch nicht tust."
In diesem Augenblick hasste ich ihn so sehr für die Worte, die er aussprach. Ich antwortete ihm nicht darauf. Natürlich war ich den Prinzen gegenüber noch ein wenig skeptisch, besonders was Kiyan betraf. Doch nach Jurians eben gezeigten Taten, wäre es mir in diesem Moment sogar lieber, Kiyan an seiner Stelle in diesem Raum zu haben. Ich hörte, wie die Tür ins Schloss fiel und wurde förmlich von der Stille erschlagen, welche sich daraufhin über den Raum legte. Auch die Dunkelheit war zurückgekehrt, welche die leichten Lichter aus dem Gang kurzzeitig hatten verschwinden lassen.
Mir war nicht nach Schlafen zumute. Jurians Worte wiederholten sich unzählige Male in meinem Kopf und der langsam wieder aufkommende Schmerz in meiner Magengegend, ließ mich ohnehin unwohl fühlen. Wie sollte es mir unter diesen Umständen möglich sein, zurück in einen ruhigen und wohltuenden Schlaf zu finden? Plötzlich tauchten Amalias Worte in meiner Erinnerung auf, die erwähnt hatten, dass ich den Tee regelmäßig nehmen musste, um keine Schmerzen zu empfinden.
Vielleicht lag ich gänzlich falsch mit dieser Annahme. Wenn der Tee die Macht besaß, Schmerzen zu lindern, konnte er dann auch erneut die Gedanken in meinem Kopf zum Stehen bringen? So wie er es am vorigen Tage bereits getan hatte, als Kiyan bei mir gewesen war? Ich konnte mich lediglich an vereinzelte Fetzen unseres Gespräches erinnern und daran, wie wunderbar schimmernd seine grauen Augen ausgesehen hatte. Wenn dies die Wirkung des Tees gewesen war, musste es mir doch möglich sein, dies erneut zu bewirken.
Mein Blick fiel auf die Tasse auf dem angrenzenden Nachttisch, welche ich am vorigen Abend nicht hatte leeren können, da auch Kiyan es nicht für nötig gehalten hatte, die Dosis zu verstärken. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Tee meine Sinne bereits genug benebelt. Mit noch immer leicht zitternden Händen griff ich nach der Tasse und hielt sie für einen winzigen Sekundenbruchteil vor mir, bis ich sie an meine Lippen setzte und den Inhalt darin hinunterkippte. Bei dem seltsam kräuterartigen Geschmack verzog ich ein wenig das Gesicht. Zumal der Tee nach der langen Stehzeit bereits kalt geworden war.
Ich stellte die Tasse zurück auf ihren Platz und kuschelte mich schließlich wieder zurück in die aufgeschüttelten Kissen, welche mir das Gefühl gaben, zu fliegen. Ein leises Kichern entwich mir, als mir bewusst wurde, dass die Wirkung des Tees schneller einsetzte, als ich erwartet hatte. Es dauerte nur wenige Minuten, bis das unangenehme Gefühl in meiner Magengegend verstand und die unzähligen Gedankengänge in meinem Kopf zu verstummen begannen. Erleichtert gab ich ein Seufzen von mir und schloss nun doch die Augen.
Amalia hatte berichtet, dass sie das Rezept für diesen Tee in einem der Bücher aus der Bibliothek gefunden hatte. Da ich kein Buch in meiner unmittelbaren Umgebung entdeckt hatte, nahm ich an, dass sie sich das Rezept notiert und das Buch zurück in die Bibliothek gebracht haben musste. Ich würde mir dieses Rezept ebenfalls aufschreiben müssen. Dieser Tee war ein reines Wundermittel. Es beruhigte meine Nerven und ich verspürte nun wahrhaftig das Gefühl, auf Wolken zu schweben. Womöglich hätte ich nicht die gesamte Tasse in einem Zug leeren sollen, doch dieses Gefühl war zu berauschend, um mir noch länger Gedanken darüber zu machen.
Der Schlaf überfiel mich bereits kurz darauf. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, welche ein deutliches Zeichen dafür waren, dass mein Wohlbefinden sich besserte, beförderte mich die Kombination aus meiner Müdigkeit und den Kräutern des Tees, in die Dunkelheit des Schlafes hinein. Obwohl mir diese Schwärze eine Gänsehaut bereitete, streckte ich mich ihr innerlich mit Wohlwollen entgegen, um nur noch schneller von ihr empfangen zu werden.
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Die Zofe
Teen FictionIn einer Welt einige Jahre vor unserer Zeit, im alten Mittelalter, kämpft ein Mädchen gegen ihr Schicksal. Dazu bestimmt, den Rest Ihres Lebens gemeinsam mit ihrer Mutter auf dem Land zu verbringen und von dem wenigen Geld zu leben, welches sie auf...