Eure Hoheit

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Den restlichen Tag hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, wie meine Einstellung gegenüber der Tatsache war, dass ich mich im Haus der Königsfamilie befand. Es war ein äußerst seltsames und beklemmendes Gefühl. Die notwendigste Arbeit die zu erledigen war, hatte ich hinter mich gebracht und mich schließlich in den Schlafsaal zurückgezogen, der in dieser Zeit glücklicherweise leer war. Wenn ich gehen würde, war meine Zukunft ein offenes Buch, denn ich wusste nicht, wo mein Weg mich hinführe sollte. Ich zog den Gedanken vor, vorerst hier zu bleiben und mein Bestes zu tun. Sollte dies nicht ausreichen, würde ich wohl hinausgeworfen werden.

All die Gerüchte, die ich bisher gehört hatte, mussten schließlich nicht zwangsläufig der Wahrheit entsprechen. Phileas war kein Mensch, der anderen aus purem Gefallen ein Leid zufügen konnte. Ganz entgegen der Annahme, welche die Menschen im Dorf allesamt teilten. Wie hatte Phileas es formuliert? Laut ihm war ich nicht hier, um seiner Mutter zur Seite zu stehen, sondern um seinem Bruder zu helfen. Ich wusste nur nicht, wobei. Wenn ich also bleiben würde, musste ich mich gezwungenermaßen damit auseinandersetzen.

Ich ließ meinen Blick durch das große Fenster hinausschweifen und stellte fest, dass der Regen bereits aufgehört hatte, den Boden in ein regelrechtes Matschloch zu verwandeln. Lediglich die grauen Wolken und die verbliebenen Regentropfen auf der Fensterscheibe erinnerten an diese vorigen Regenschauer. Nach meinem kleinen Zusammenbruch hatte ich nun wieder eine klare Sicht auf die Dinge, die um mich herum passierten. Ich konnte meine Gedanken wieder kontrolliert von A nach B laufen lassen.

Ein durchdringendes Klopfen riss mich aus meinen Gedanken und lenkte meine Aufmerksamkeit auf die geschlossene Tür des Schlafsaals. Bevor ich darauf antworten konnte, wurde diese bereits geöffnet und der Kopf eines blondhaarigen, noch recht jung wirkenden Jungen blickte durch den offenen Spalt zu mir. „Bist du Camilla?" fragte er mich, woraufhin ich zustimmend nickte. Ich hatte diesen Jungen bisher noch nie gesehen. An der Art wie er mich ansah, erkannte ich bereits, dass er kein Teil der Königsfamilie war. Er wirkte schüchtern, beinahe schon unterwürfig.

„Phileas möchte dich sprechen, er erwartet dich in der Bibliothek." Gab mir der Junge diese Mitteilung weiter und ich erhob mich von meinem Platz am Fenster. „Wärst du so freundlich und würdest mir den Weg dorthin zeigen?" fragte ich ihn, woraufhin sich seine Mundwinkel ein klein wenig anhoben und er zu Nicken begann. Einen Augenblick später waren wir bereits auf dem Weg zur Bibliothek, wobei ich mich von dem Jungen führen ließ. Er musste höchstens dreizehn sein. Warum war er hier?

Ich musste nicht einmal fragen, da bekam ich bereits eine Antwort von ihm. „Meine Name ist übrigens Keylam. Ich helfe ab und zu in der Küche aus, wenn Gäste erwartet werden." Leicht hob ich eine Augenbraue, und blickte mit einem irritiertem Blick zu ihm hinunter. „Erwartet die Königsfamilie etwa Besuch? Möchte Phileas deshalb mit mir sprechen?" Auch darauf hatte er direkt eine Antwort. „Oh nein, normalerweise arbeite ich im Stall zusammen mit meinem Vater. Ich war auf dem Weg dorthin zurück, als Phileas mich abgefangen hat."

Dies erklärte mir zwar nicht den Grund, weshalb Phileas nun mit mir sprechen wollte, aber immerhin schien dieser Junge freundlich zu sein. Kein Vergleich zu Kiyan, an den ich in diesem Augenblick eigentlich gar nicht hatte denken wollen. Schweigen legte sich wieder über uns. Nicht beklemmend, sondern eher wie eine sanfte Hülle. Die Anwesenheit dieses Jungen beruhigte mich ein wenig. Er schien selbst ein wenig verwundert darüber zu sein, für solch einen Botengang höchstpersönlich erfragt worden zu sein.

Wir stiegen die breiten Treppen in der Eingangshalle hinauf, wobei ich noch immer wie verzaubert von dieser majestätischen Einrichtung war. Wie hatte ich nicht schon zu Beginn bemerken können, dass dies nur einer Königsfamilie würdig sein konnte? Noch während ich verträumt meinen Gedanken freien Lauf ließ, merkte ich nicht, wie wir nach nur wenigen Metern in der nächsthöheren Etage bereits vor einer einfachen, fast schon zu schlicht für dieses Gebäude, wirkende Tür stehen blieben.

„Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten." Meinte Keylam mit einem zuversichtlichen Lächeln und öffnete schließlich nach einem zaghaften Klopfen die Tür, ohne auf eine Reaktion von innen zu warten. Er musste die Skepsis in meinen Augen erkannt haben. Wirklich wohl war mir nicht dabei, Phileas nun begegnen zu müssen, da mir der Grund dafür noch immer unschlüssig war. Etwas zögerlich setzte ich also einen Schritt vor den anderen und betrat somit die geräumige Bibliothek, die sich vor meinen Augen eröffnete.

Keylam schloss die Tür wieder nachdem ich das Zimmer betreten hatte und ließ mich somit in einer Stille zurück, die sich nun doch etwas beklemmend anfühlte. Die Bibliothek wurde von einigen Kerzen in ein dämmriges Licht gehüllt. Während der Mittagszeit eines sonnigen Sommertages würde hier jeder kleinste Winkel von strahlendem Sonnenschein erhellt werden. Dies war mir durch die großen Fenster fast schon bildlich vorstellbar. Mit zwei Etagen wirkte der Raum noch größer, voll mit Regalen, die bis zur Decke mit Büchern gefüllt waren. Mir lief ein Schauer den Rücken hinunter.

Es wirkte gemütlich, aufgrund des schummrigen Lichts, welches den Raum nur schwach beleuchtete. Es erzeugte eine fast schon schaurige Stimmung. Mein Herz setzte für einen Sekundenbruchteil aus, als ein lauter Schlag die Stille zerriss und dadurch jede Faser meines Körpers für einen kurzen Moment zu Stein werden ließ. „Verdammt.." hörte ich ein Grummeln an einer Stelle irgendwo über meinem Kopf. Nur langsam löste sich meine Anspannung wieder und ich trat mit unsicheren Schritten ein wenig weiter in den Raum hinein, um einen Blick in die obere Etage werfen zu können, die sich an der gesamten Wand und somit auch über der Tür entlang zog.

„Es war nicht meine Absicht, dich zu erschrecken, Camilla." Erklang die Stimme erneut und kurz darauf entdeckte ich Phileas, der sich dem Geländer auf der zweiten Etage näherte und somit zu mir herunterblickte. Meine Anwesenheit war also nicht unbemerkt geblieben. Ein leichtes Schmunzeln zierte seine Lippen, was mich für eine kurzen Moment aufatmen ließ. „Für eine Sekunde habe ich geglaubt, das Gebäude fällt zusammen." „Ich bitte um Verzeihung." Gab er nach einem kurzen Auflachen von sich, setzte sich dann aber wieder in Bewegung, nur um kurz darauf aus meinem Blickfeld zu verschwinden.

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis ich Schritte in meiner Nähe hören könnte, ich mich in dessen Richtung drehte und sehen konnte, wie Phileas die Treppe herunterlief, die wohl in die Etage führte, wo er eben noch gestanden hatte. Erst jetzt erkannte ich, dass er ein Buch in den Händen hielt, was wohl der Grund für diesen durchdringenden Schlag gewesen sein musste. Womöglich hatte er es versehentlich fallen gelassen. Durch diesen großen Raum wirkte jedes Geräusch förmlich doppelt so laut.

„Du wolltest mich sprechen?" begann ich, sobald er mich erreicht hatte und mich für einen kurzen Augenblick prüfend musterte. „Ich hatte bereits die Befürchtung, du hättest dich verlaufen und Keylam könnte dich nicht finden. Doch wie ich sehe.." Das anfängliche Schmunzeln auf seinen Lippen entwickelte sich zu einem leichten Lächeln. „Ich wollte nur sichergehen, dass alles in Ordnung ist. Kiyan war vor Kurzem bei mir und hat beiläufig erwähnt, dass du mitten im strömenden Regen im Garten gelegen hast."

Kiyan hatte seinem Bruder davon erzählt? Ein Gefühl von Scham überkam mich. Phileas setzte sich mit ruhigen Schritten in Bewegung, weiter in den Raum hinein und warf mir dabei einen undefinierbaren Blick zu. Ich folgte ihm fast schon automatisch. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Worten meines Bruders jederzeit Glauben schenken kann, allerdings.." wieder blickte er prüfend in meine Richtung und verstummte für einen kurzen Moment. „Ist etwas vorgefallen, wovon ich wissen sollte, Camilla?" Seine Stimme nahm einen ungewohnt ernsten Unterton an, weshalb ich erst nicht klar festlegen konnte, wie ich darauf reagieren sollte.

„Ich brauchte nur ein wenig frische Luft. Es ist nicht ganz so leicht, sich daran zu gewöhnen, den ganzen Tag im Inneren eines Gebäudes zu verbringen." Dies entsprach zwar nicht vollkommen der Wahrheit, weshalb ich wirklich dort draußen gewesen war, klang jedoch nach einer durchaus plausiblen Begründung und das sollte ausreichen. Vorerst antwortete Phileas nicht darauf, sondern deutete auf eine kleine Sitzmöglichkeit mit zwei Sesseln. Kommentarlos ließen wir uns auf diesen nieder, wobei ich Phileas' undefinierbaren Blick versuchte auszuweichen.

„Solltest du das Verlangen verspüren, hinausgehen zu wollen, kannst du das tun. Das ist dir jederzeit gestattet, Camilla. Es würde mein Gewissen allerdings ein wenig beruhigen, wenn dich dabei zukünftig ein Wachmann begleiten könnte. Nur zu deiner Sicherheit." Mein Blick kreuzte sich automatisch mit dem Seinen und ich brauchte einen Moment um zu verstehen, was er damit meinte. Das sanft wirkende Grün in seinen Augen machte mir deutlich, dass er auf eine Antwort zu warten schien. Weshalb ich schließlich zustimmend nickte und somit diese Forderung akzeptierte. „Natürlich, eure Hoheit."

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt