𝟓𝟔

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𝐚𝐥𝐞𝐱𝐢𝐬
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Der Tag vergeht schleppend, obwohl ich unglaublich viel Zeit mit Harry verbringe. Wir spielen zusammen auf der Play Station, gehen in den Garten und kochen sogar zusammen. Erst gegen acht Uhr lande ich endgültig wieder in meinem Zimmer. Ich kann aber noch lange nicht an Schlaf denken. Ich bin hellwach und kann kaum still sitzen. Harry meinte, er macht sich auf den Weg nach Hause und alleine mit González, dessen Vornamen ich entweder immer noch nicht kenne oder schon wieder vergessen habe, will ich ehrlich gesagt nicht unten sein. Er ist mir unsympathisch, dabei macht er wahrscheinlich einfach nur seinen Job. Harry hat mir heute sogar erzählt, wie lange er González schon kennt und das er damals in der Schule noch ein ganz anderes Gemüt hatte, das heute nur noch selten durschschimmert. Wenn es passiert, so meinte er, dann auch eher im privaten Bereich, zum Beispiel, wenn sie sich alleine treffen oder mit wenigen Leuten und ohne Vorgesetzten unterwegs sind. Ich habe aber das Gefühl, dass Harry etwas nostalgisch war, als er mir erzählt hat, wie sie damals in der Schule ihre Zeit verbracht haben. Vielleicht vermisst er die Art des anderen sogar.

Es ist gruselig still im ganzen Haus, als ich mich erhebe und einmal in den Flur lausche. Es ist mittlerweile halb zehn und noch immer ist nichts von Étienne zu hören. Nicht, dass es mich stört, es verwundert mich nur...

Ich schleiche wieder zurück, diesmal zu dem Hocker vor dem Klavier. Ich sollte mir ein einfaches Tutorial angucken, dann sollte es irgendwie klappen oder? Ich will wirklich Klavier spielen können. Jedes mal wenn ich dieses gute Stück ansehe, kribbelt es in meinen Fingern. Verrückt, dass ich selbst sowas durch dieses bescheuerte Gift vergessen und verlernen konnte. Wie ich Étienne dafür hasse! Hätte er mich nicht wie ein normaler Mensch ansprechen können? Wäre das so verwerflich in seiner Welt?

Hilfreich ist das zwanzig–minütige Video, welches ich auftreiben konnte tatsächlich. Ich bringe relativ schöne, sanfte Töne hervor, die in ihrer Reihenfolge sogar ganz harmonisch klingen. Nur meine Erinnerungen sind nicht angeregt.

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,,Alexis–", wird mit ins Ohr gesäuselt und sofort danach verspüre ich, wie mir die Decke etwas aus dem Gesicht gezogen wird. Die Matratze neben mir erhebt sich wieder und kurz darauf werden auch die leichten Vorgänge zur Seite gezogen, die dieses Mal als einziges Mittel zur Lichtblockade gedient haben. ,,Alexis, willst du frühstücken?", fragt – wie sich herausstellt – Harry leise und hockt sich diesmal auf die anderen Seite des Bettes. Murrend ziehe ich die Decke wieder höher und drücke meinen Kopf tiefer in das weiche Kissen. ,,Du bist aber ganz schön schläfrig heute.", schmunzelt der Ältere und tätschelt meinen Kopf ganz leicht. ,,Bonnet hat mir aufgetragen einkaufen zu gehen – ich könnte dich mitnehmen, aber nur, wenn keiner etwas davon erfährt. Ich will keinen Ärger.", versucht er mich dann zu locken, doch nicht mal davon werde ich wacher. ,,Er bringt dich um und mich auch.", schüttel ich ihm Halbschlaf meinen Kopf und ziehe auch meine Beine etwas näher an meinen Oberkörper ran. So weich und gemütlich. ,,Ich will dir einen Gefallen tun, warum akzeptierst du das nicht?", schmunzelt mein Gegenüber und fährt durch meine knotigen Haare, bevor er leicht gegen meine Wnage schlägt. ,,Zieh dir einfach eine Jogginghose an. Vielleicht noch einen Hoodie und eine Cap.", sagt er leise, ,,Und mach dir keine Gedanken wegen Étienne, ich werde schon mit ihm fertig." ,,Wenn du mich schon raus bringst, kannst du mich gleich in einem billigen Motel lassen, dann bin ich hier weg.", murmel ich geradewegs heraus und öffne zum ersten Mal richtig meine Augen. ,,Sag sowas nicht.", tadelt er mich seufzend und zieht die Decke wieder ein Stück zurück. Sein Blick ist eindeutig – er fordert mich zum Aufstehen auf. Schwerfällig seufze ich und drehe mich, die Decke von meinem Körper strampelnd, auf den Rücken.

Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis ich mich gewaschen und angezogen habe und einigermaßen frisch und fertig für dem Tag nach unten gehe. ,,Ich kann kaum glauben, dass du eine Möglichkeit abschlägst, die Welt zu sehen.", grinst Harry, der mal wieder in der Küche vorzufinden ist, und schiebt mir gleich ein mit Saft gefülltes Glas zu. ,,Mhh... Ich will einfach keinen Stress.", zucke ich mit den Schultern und setze mich auf einen Barhocker. ,,Warum willst du denn unbedingt, dass ich mitkomme?" ,,Ich dachte es würde dir gefallen und jetzt, wo Bonnet sowieso bis Abends weg ist–" ,,Ist er nicht gestern schon unfassbar spät nach Hause gekommen?", runzel ich die Stirn. ,,Ich weiß nicht mal, ob er geschlafen hat. Er hat mir schon heute morgen um fünf geschrieben und mich herbestellt.", zuckt er die Schultern und lehnt sich nach vorne. ,,Also, würdest du lieber jetzt essen oder wenn wir wieder da sind?" Unsicher beiße ich mir auf die Unterlippe. Ich kann doch nicht einfach das Haus verlassen oder? Ich will Étienne nicht in Rage bringen... Er soll niemandem etwas tun. Nicht, weil ich aufmüpfig bin. Ich würde gerne raus gehen, auch wenn ich nur mit Harry einkaufen gehen, aber ist es das wert? Kann ich Menschenleben aufs Spiel setzen, nur für einen Moment der Freiheit? Es ist derart absurd, dass ich solche Fragen aufwerfen muss, dass ich es nicht mal wirklich realisiere. Es fühlt sich komplett surreal an. Ich habe zwar unfassbare Panik bekommen, als er das erste mal drohte mir oder meiner Familie etwas anzutun, doch jetzt ist es anders. Ich habe immer noch Angst, fühle mich unter Druck gesetzt und so unheimlich verantwortlich, aber eben nicht direkt. Es fühlt sich eher wie ein Albtraum an, wenn ich das alles in Erwägung ziehe.

,,Alex, entspann dich.", bittet Harry leise, der sich während meinen Gedankengangs wohl hinter mich gestellt hat. Seine Hände legen sich an meine Schultern. ,,Ich weiß, dass Bonnet alles unverschämt komplex und riskant macht, aber ich versichere dir, dass er weder dir noch sonst wem etwas antun wird.", erklärt er und quetscht meine Wangen mit einem Grinsen zusammen. ,,Ich weiß nicht...", seufze ich unsicher und lehne mich frustriert an den Älteren. ,,Ich weiß aber, dass es dir gut tun würde.", spricht er mir zu und drückt mir das Glas in die Hand. ,,Und mir auch.", ergänzt er leise, ,,Ich will, dass wir uns gut verstehen. Ich mag dich gerne und könnte einen Freund sehr gut gebrauchen. Einen normalen Freund, der nicht in dieser ganzen Scheiße mit drin steckt."

Nicht mit drin stecken? Tue ich das nicht schon längst?

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i love you, remember? ❦Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt