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Keyla

Ich wachte schlaftrunken und mit pochenden Kopfschmerzen am nächsten Morgen auf. Ich setzte mich langsam hin und wischte mir den Schlaf aus den Augen. Ich blinzelte und schaute mit zusammen gekniffenen Augen gegen die Sonne, die gerade auf ging.
Ich stank nach Rauch, Schweiß und  Alkohol. Ich zog angewidert die Nase hoch und holte mein Handy aus der Tasche.

Direkt ploppte eine Nachricht nach der anderen von Anna auf. „ Wo bist du?" „Gehts dir gut?" „Hallo ich mache mir sorgen" „Antworte mir mal".
Ich öffnete den Chat und tippte in mein Handy „ Ja, alles gut. Bin schon früher gegangen, mir ging es nicht gut" ein.
Ich steckte mein Handy zurück in die Hosentasche, packte meine Sachen zusammen und machte mich auf den Weg nach Hause.

Ich machte allerdings noch einen Umweg. Ich lief Richtung Apotheke und kaufte mir die Pille danach, denn ich war nicht bereit vielleicht ein Kind von einem Vergewaltiger zu bekommen. Sicher ist sicher. Ich fühlte mich unwohl beim Kauf der Pille, aber ich schluckte dieses Gefühl runter und zwang mich an etwas anderes zudenken. Ich war zu stark dafür, um an sowas zu zerbrechen. Hatte schon zu viel erlebt.

Es war ungefähr 6 Uhr morgens als ich die Tür von unserer Wohnung leise aufschloss. Ich schlich mich langsam in mein Zimmer, schmiss meine Schuhe in die Ecke und zog rasch mein Kleid aus. Welches ich ebenfalls in die Ecke pfefferte und schmiss mich auf mein Bett.
Unter meiner kalten, nackten Haut fühlte es sich warm, weich und gemütlich an. Ich kuschelte mich in die Decke ein und legte mich auf die Seite, mit dem Blick an die Wand und schloss meine Augen.
Nach der unruhigen Nacht auf der Parkbank, war mein Bett das Beste, was mir in den letzten zwölf Stunden passiert ist.

Man müsste meinen ich wäre direkt eingeschlafen, aber ich konnte einfach nicht. Es waren zu viele Gedanken, die in meinem Kopf herumschwirrten.
Die Sache mit Jonas konnte ich einfach nicht vergessen. Ich wollte so gerne. So gerne vergessen. Alles was gestern passiert ist, aber es gelang mir nicht.
Ich schlug meine Augen auf und wälzte mich in meinem Bett von der einen Seite zur andern. Ich wollte schreien, alles aus mir raus lassen. Ich spürte wie eine Träne über meine Wange lief. Ich wischte sie wütend mit meiner Hand von meiner Wange weg. Und langsam machte sich Hass breit, Hass auf Jonas und was er getan hatte.

Ich spürte kein Selbstmitleid mehr, ich spürte nur noch puren Hass. Und das war gut so.
Ich steckte meinem Kopf in das Kissen und schrie rein. Der Schrei klang wegen dem Kissen dumpf und leise in meinen Ohren. Aber er erfüllte seinen Zweck, ich fühlte mich schon etwas besser. Ein bisschen erleichterter.
Ja er hatte mich vergewaltigt, aber er konnte mich damit nicht zerstören, dass hatte ich schon vor langer Zeit selbst ganz gut hinbekommen.
Ich legte mich auf meinen Rücken, schloss meine Augen und zwang mich zu schlafen.

Ich wurde durch laute Stimmen geweckt, die aus der Küche in mein Zimmer drangen. Ich öffnete verschlafen meine müden Augen und setzte mich auf. Ein Blick auf mein Wecker verriet mir, dass wir kurz vor neun hatten. Ich sammelte mich und erkannte die streitenden und aufgebrachten Stimmen meiner Eltern. Es war immer so. Jeden Tag gab es Streit, dabei stritten sie sich über die belanglosesten Sachen. Ich versteh die beiden einfach nicht. Sie sollten sich einfach trennen, das würde das Leben von allen vereinfachen. Aber nein, stattdessen gingen sie sich so oft wie es ging aus dem Weg und redeten nur die nötigsten Dinge miteinander.

Ich hasste es. Aber vielleicht konnten sie es einfach nicht besser. Ich meine keiner hatte ihnen gesagt, dass es genau so belastend für Kinder ist, wie für sie selber, wenn sie sich stritten.

Heute nutzte ich die Gelegenheit, um mich unbemerkt ins Bad schleichen zu können und mir den ganzen Schmutz von meinem Körper zu schrubben. Dieses Gefühl von seinen Händen auf meinem Körper, ich wollte es abwaschen.
Ich schloss hinter mir die Tür ab und warf einen Blick in den Spiegel. Mein braunes Haar war zerzaust, ich hatte tiefe Augenringe und meine Mascara war verschmiert. Ich sah fertig aus und fühlte mich auch so. Schnell zog ich meine Unterwäsche aus und sprang unter die Dusche. Das warme Wasser prasselte auf meine nackte Haut und es fühlte sich einfach nur gut an. Ich schloss meine Augen und ließ das Wasser über mein Gesicht laufen. Das wohlige Gefühl der Entspannung überflutete mich und ich genoss es in vollen Zügen, zumindest für einen Augenblick.

Ich schrubbte meinen Körper so starke, dass er rot wurde, aber das Gefühl von ihm ging nicht weg. Ich gab es auf und ließ das Wasser noch einige Minuten laufen und stellte es dann ab.
Ich griff nach meinem Handtuch neben der Dusche, trocknete mich schnell ab und wickelte es um meinen Körper.
Meine Haare waren noch triefend nass und vereinzelte Tropfen fielen zu Boden.
Ich nahm aus dem Spiegelschrank eine Bürste und kämmte damit mein langes braunes Haar. Danach lief ich wieder in mein Zimmer, um mir frische Sachen anzuziehen.

Meine Eltern hatten sich in der Zwischenzeit anscheinend wieder beruhigt, denn ich hörte keine lauten, energischen Stimmen mehr aus der Küche dringen.
Ich nahm mir eine Hose, Unterwäsche und ein Shirt aus meinem Kleiderschrank und warf die Sachen auf mein Bett.
Mein Handtuch ließ ich auf den Boden fallen und streifte mir schnell die frischen Anziehsachen über. Auf Föhnen hatte ich heute absolut keine Lust.
Ich schlürfte langsam in die Küche und traf dort auf meine Mutter die am Tisch saß und einen Kaffee trank. Sie schaute mich fragend an „Schon wieder da?" „jap", entgegnete ich nur knapp und schnappte mir eine Schüssel und setzte mich zu ihr an den Tisch.
Wegen ihrer ganzen Streiterei hatte sie nicht mal mitbekommen, das ich schon die ganze Zeit hier war.
Mein Glück.

Ich nahm mir die Müsli Packung, die auf dem Tisch stand und schüttete mir ein bisschen Müsli in die Schüssel. Goss mir noch etwas Milch drüber und fing langsam an zu essen. Irgendwie fiel mir das Kauen heute besonders schwer und außerdem ging es mir echt noch nicht so gut, wegen dem ganzen Alkohol gestern.
Meine Mutter guckte mir nur stumm beim Essen zu. Sie sah fertig und müde aus. Ich wusste, dass es ihr nicht gut ging, aber sie versuchte es zu verbergen.
Vielleicht gelang das bei meinem kleinen Bruder, aber mir konnte sie nichts vor machen. „ Wo ist Dad?", fragte ich sie. „Weg." Ich schaute sie weiter an und sie wusste, dass mir das als Antwort nicht reichte. Sie verdrehte leicht die Augen und meinte „ Ist zum Sport gegangen." „Am Sonntag?", fragte ich misstrauisch und schüttelte meinen Kopf.

Meine Mutter zuckte nur mit ihren Schultern und anscheinend war für sie damit das Gespräch beendet.
Ich schlürfte mein Müsli noch schnell zu Ende, stellte die Schüssel in die Spüle und verschwand wieder in meinem Zimmer.

Ich holte tief Luft.

BreathtakingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt