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Keyla

Kennt ihr diese Momente im Leben, wo ihr nicht mehr wisst wo vorne und hinten ist. Wo nichts mehr Sinn macht? Wo ihr euch fragt, was ihr überhaupt auf dieser Welt macht. Wozu das ganze, wenn man am Ende nur Schmerz verspürt. Am liebsten würde ich schreien. Mein ganzen Schmerz aus der Seele schreien. Weglaufen und alles hinter mir lassen. Aber ich bin nun mal kein Mensch, der vor Problemen oder Schmerz davonläuft. Ich bleibe Stark, um jeden Preis. Eigentlich. Aber ich glaube heute ist der der Punkt gekommen, an dem ich dies nicht einhalten kann und will...

Manchmal tut es gut den Schmerz rauszuschreien. Manchmal muss man Menschen um Hilfe bitten, weil man es selber einfach nicht mehr schafft. Weil es zu viel für einen selbst ist. Zu viel Last, zu viel scheiße, die auf der Seele lastet. Ich wollte nie als das zerbrechliche Mädchen angesehen werden, was ich tief im inneren eigentlich bin. Aber heute ließ ich es zu, dass man meine Tränen in der Öffentlichkeit sah. Mir war es scheißegal.

Mir lief eine Träne über die Wange. Meine Nase war rot vom Weinen und meine Augen brannten. Ich saß wie betäubt auf dem Stuhl im Wartebereich des Krankenhauses. Unter mir spürte ich den harten Sitz und meine Finger verkrampften sich in die Armlehne. Meine Sicht war verschwommen und ich nahm nur die Umrisse der Leute wahr. Die Stimmen tragen nur gedämpft in mein Ohr. Mein ganzer Körper regte sich kein Stück. Ich starrte einfach nur in die Leere. Meine Gedanken überschlugen sich in meinem Kopf und am liebsten würde ich sie raus schreien, damit es endlich leise ist. Aber stattdessen versuchte ich ruhig und still dazusitzen.

Zwei Stunden waren schon vergangenen und noch immer war Jacob nicht aus dem OP. Keine Ahnung ob er es schaffen würde. Aber ich wusste, dass er bis zum Ende kämpfen würde, um jeden Preis. Diese Ungewissheit machte mich verrückt.

Wie als würde mich wer anders führen stand ich langsam auf. „Keyla wo willst du hin?", fragte mich Milo. „Raus. Ich muss hier raus", antworte ich ihm. „Bleib hier und setzt dich hin", er wollte nach meinem Arm greifen, aber ich zog ihn weg. „Ich muss hier verdammt noch mal raus", schrie ich ihn hysterisch an. „Ich krieg hier keine Luft mehr", sagte ich panisch und fing an mach Luft zu schnappen. Mein Herz fing wie wild an zu schlagen und mir wurde heiß.

„Keyla beruhig dich", fing Milo an. „Lass sie", schritt Camilla ein, „ sie hat eine Panikattacke." Sie nahm behutsam meine verschwitzte Hand „komm." Sie zog mich auf den Gang und lief mit mir zum Ausgang. „Versuch ruhig ein und aus zu Atmen." „Ich kann nicht", schluchzte ich auf. „Doch du kannst", ermutigte sie mich weiter. Camilla drückte mich sachte auf eine Bank und hockte sich vor mich. „Und jetzt tief einatmen", sagte sie und machte es vor. Ich konzentrierte mich auf meine Atmung und sog die Luft langsam ein. Ich hielt meinen Atem für einen Moment und Atmete dann wieder langsam aus.

„Guck es klappt doch", lächelte sie mich an. Ich nickte schwach und atmete ruhig weiter. Mein Herzschlag wurde wieder langsamer und auch das schwitzen hatte aufgehört. Langsam wurde auch meine Sicht wieder klarer und ich nahm alles nicht mehr so gedämpft wahr. „Hier trinkt einen Schluck", sagte Camilla und reichte mir eine Wasserflasche. Ich nahm sie dankend an und trank einen großen Schluck daraus.

„Das wird schon wieder", sagte sie und drückte meine Hand. „ Du hast ihn nicht gesehen", schüttelte ich meinen Kopf. „Das stimmt, aber ich kenne ihn und er ist stark. Er wird das schaffen." Ich schaute sie von der Seite an. Ich konnte ihre plötzliche Freundlichkeit nicht wirklich einordnen. Sorgte sie sich wirklich um mich oder freute sie sich mich leiden zu sehen?

„Was geht dir durch den Kopf?", schaute sie mich fragend an. „Warum hilfst du mir? Warum bist du plötzlich so nett? Ich dachte dich interessiert die Familie nicht", sprach ich meine Gedanken aus. „Ich hab nie gesagt, dass mich die Familie nicht interessiert. Es sind in der Vergangenheit nur ein paar unschöne Dinge vorgefallen. Aber Jacob ist trotz alle dem mein Cousin und ich sorge mich um ihn. Und was dich betrifft, ich weiß ganz genau wie du dich fühlst", antwortete sie mir und schaute auf ihre Hände.

„Hast du auch Panikattacke ?", fragte ich behutsam. Sie schaute auf „seit ein paar Jahren", nickte sie. „Das tut mir leid", flüsterte ich. „Schon gut. Manchmal wünschte ich mir, dass es damals anders gelaufen wäre-", sie stockte und schaute mich fragend an. „ Erzähl weiter, es tut gut auf andere Gedanken zu kommen", nickte ich ihr zu. Sie räusperte sich kurz und fing an weiter zu reden „Es war eine schwere für mich. Ich hab mich von allen verraten gefühlt. Mein Vater wurde vor ein paar Jahren brutal ermordet-", sie stockte kurz. „-und ich bin nur knapp dem Tod entkommen. Danach war irgendwie alles anderes. Meine Familie hat sich von allen angewandt und dadurch ging der Kontakt verloren. Und keiner konnte mich mehr leiden", sie schaute auf ihre Füße. „Es war auch irgendwie meine Schuld, ich wurde kalt und anweisend zu allen, gab allen die Schuld an dem Tod meines Vaters. Sie hätten helfen können, habe ich immer gedacht. Mittlerweile bin ich älter geworden und weiß, dass es unmöglich gewesen wäre. Aber ich spielte meine Rolle weiter, denn irgendwie fand ich gefallen daran und es war leichter eine Rolle zu spielen, als mein wahres ich zu zeigen", sie schaute mich wieder an.

„Glaub mir das kann ich besser verstehen als du denkst", sagte ich. „Tja, dann sind wir uns wohl doch ähnlicher als ich dachte", lachte Camilla leise auf. Ich lehnte mich zurück und starrte in den Himmel. Es tat gut, mal auf andere Gedanken zu kommen. Keine Ahnung ob ich Camilla trauen sollte, aber im Moment war ich froh, dass sie diejenige ist, die bei mir war.

„Kommt schnell", kam Avina aus der Tür gerannt und winkte uns zu sich her. Wir sprangen auf und liefen hinter Avina her. Während wir Avina herliefen, hoffte ich die ganze Zeit, dass es Jacob gut geht. „Was ist denn los?", fragte Camilla. „Jacob ist aus dem OP", antwortete Avina und lief mit schnellen Schritten weiter. Wenn sie geweint hatte, dann hatte sie es sehr gut versteckt. Ihr Gesicht zeigte keine Miene. Sie sah zwar Müde aus, aber das war's. Sie war wohl stärker als ich und hatte ihre Gefühle bessere unter Kontrolle.

Vor dem Krankenzimmer stand Milo. Er nickte Avina zu, die daraufhin die Tür leise öffnete. Sie betrat den Raum, dichtgefolgt von Camilla. Ich wollte ihnen ebenfalls folgen, aber Milo hielt mich zurück. „Ey was soll das?", fragte ich ihn. „Nur die Familie", antwortete er mir. „Aber das ist nicht fair", protestierte ich. „Das sind nun mal die Regeln, da kann ich auch nichts machen. Du darfst ja später auch zu ihm." „das glaub ich ja jetzt nicht", sah ich ihn wütend an. 

„Ich weiß, es ist schwer, aber ich muss eh noch was mit dir besprechen", sagte er und deutete mir an, ihm zu folgen. Etwas widerwillig lief ich ihm hinterher.

BreathtakingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt