~25~ Extra No.1 [3/8]

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~Zeitsprung in die Vergangenheit~

Riccardos POV:

Endlich wurde sie hergeschafft.

Ich war mir sicher, eine offene Zellentür zu entdecken, je näher ich kam. Und so war es auch. Doch zu meinem Erstaunen hing immer noch ein lebloses Stück Fleisch in der Mitte des Raumes an Ketten.

Nach wie vor.

Meine Finger wickelten sich um die Stangen und ich drückte den Kopf hindurch.

"Rebecca", sprach ich aus, als wäre es ein Fluch, so zu heißen.

Sie hob mühsam den Kopf, aber schaffte nur ein Auge zu öffnen. Ihre Lippen waren mittlerweile eingerissen und ihre Rippen standen stark hervor. Sie hatte abgenommen.

Ich ließ von den Stangen ab und bewegte mich zur Tür, in der Tür blieb ich stehen und verschaffte mir meine nötige Aufmerksamkeit.

"Ich habe keine Ahnung was hier gerade für ein Chaos herrscht, aber heute wird Julians Beerdigung stattfinden. Er ist hier, hier in Palermo, Rebecca."

Ihr Gesicht verzog sich schmerzhaft. Zu mehr Emotionen war sie nicht imstande. Ich bezweifelte, ob sie überhaupt genug Kraft aufbringen konnte, zu sprechen.

"Und ich habe ein wundervolles Buffet für dich vorbereitet. Bestehend aus verschiedenen Messern. Werkzeugen. Zangen und jeglichen anderen Scheiß", ich schritt zu ihr und zerdrückte ihren Oberarm mit einem festen Griff. Sie war gezwungen, mich anzusehen.

"Weil ich genug gewartet habe. Du wirst heute Abschied nehmen. Von ihm oder von dir", harsch ließ ich ihr Kinn los, ihr Gesicht schleuderte dabei zur Seite.

Dann hing ihr Kopf wieder runter und ich lief um sie herum.

"Ich gebe dir noch ein letztes Mal Bedenkzeit. Genauer gesagt eine einzige Minute. Denn genau so lange brauche ich, um mit der Vorspeise zu beginnen. Der Tisch steht bereit", ich stand vor der Tür und ging rückwärts hinaus, "Hast du mich verstanden, Miststück?!", knurrte ich und sie zuckte zusammen.

Sinneswahrnehmungen waren noch alle vorhanden.

Ich würde genießen, wie sie leiden würde. So viel war sicher.

Augenblicklich legte sich eine Hand auf meine Schulter.

Eine warme, eine männliche Hand, so schien mir.

Wer wagte es, mich in dem Moment meiner absoluten Machtdemonstration zu stören?

"Ich lasse nicht zu, dass du ihr auch nur einen Haar krümmst."

Wie pussyhaft es sich auch anhört, aber mein verdammter Herzschlag setzte aus.

Ich wollte mich umdrehen, aber der Händedruck auf meiner Schulter war so intensiv, dass dieser Mensch nicht erlaubte, überhaupt nur daran zu denken, mich umzudrehen.

Und ich war froh, dass er weitersprach, weil ich sonst wirklich dachte, ich hätte den Verstand verloren.

"Wenn jemand durch sie hindurch dringen kann, dann bin ich das, padrino."

Fuck! Niemals!

Ich wartete lange genug, bis die Hand von mir abließ, als ich mich hektisch zu ihm drehte.

Ich öffnete den Mund, aber meine Worte blieben mir in der Lunge stecken. Ich schloss den Mund einige Male und öffnete ihn wieder und wieder.

Er sah fertig aus. Erschöpft. Beinahe wie von den Toten auferstanden.

"Julian", flüsterte ich. Ich klang wie weggetreten, "Ju. Julian."

Seine Augen fokussierten mich schmunzelnd.

"Aber wie-"

"Glück. Einfach Glück", sprach er. Seine Stimme war ruhig, er klang kaputt.

"Sie hat dich getötet, Mann!", ich rüttelte ihn an dem Stoff an seinen Schultern.

"Sie hat mir auch beinahe ins Herz geschossen. Aber eben nur beinahe."

"Und dein Koma?"

"Daraus erwacht, als die Geräte abgeschaltet wurden. Gerade noch rechtzeitig."

Ich war verängstigt. Ich habe viele Killer in meinem Leben gesehen, die einiges in ihrem Leben geopfert hatten. Ich war vielleicht das beste Beispiel.

Aber verdammt, nicht einmal ich hatte diesen Kämpfergeist.

Und während ich Julian von einem zum anderen Auge sah, konnte er mir wahrscheinlich die Gedanken aus meinem Blick ablesen. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen und erschrocken zuckte ich zusammen. Im selben Moment brachten mich meine Füße automatisch nach vorne und im nächsten zog ich ihn an mich und zerdrückte ihn in meinen Armen.

"Scheiße, Julian!", ich lachte kontrolllos und auch er nickte einstimmend, "Scheiße, das ist-...das ist-"

"Der Wahnsinn. Ich weiß, padrino", ich ließ von ihm ab und er massierte sich mehrmals tief durchatmend die Brust. Ich merkte, dass dieser noch mit Verband besetzt war, "Ich will keine Zeit verlieren und ich bin nicht bereit, zuzusehen, wie ein ganzes Land aus Gründen deiner Rache untergeht."

"Was meinst du?"

Er nickte in Richtung der Zellentür und schränkte die Arme ein.

"Du willst doch Valencia finden, richtig?"

"Richtig", antwortete ich. Unbeabsichtigt beschämt. Andrès war zwar mein Cousin, aber Julian war von Beginn an an meiner Seite und wusste, wie verdammt rachsüchtig und nachtragend ich war. Er kannte meine kranken Seiten, wie kein anderer.

Ich schwor im selben Augenblick, ihm mehr Stimme zu verleihen. Ich vertraute ihm. Ich hatte diesen Kerl sicher nicht verdient. Und es wurde an der Zeit, ihn endlich wie eine richtige rechte Hand zu behandeln.

"Und was soll das dann dort?"

Ich schaute mir über die Schulter und sah zu Rebecca. Sie hing dort halb weggetreten und hatte nicht einmal die Kraft zu realisieren, dass Julian lebte. 

Er hatte recht.

"Das ist nicht die Lösung, padrino. Lass mich mit ihr reden, ich werde dir die Informationen liefern, die du brauchst."

Das war die erste Gelegenheit, die sich bot, um Julian mehr Vertrauen zu schenken.

Aber ich bangte mit dem Gedanken, die Antworten nicht selbst aus ihr ausquetschen zu können.

Julian machte einen Schritt auf mich zu.

"Du lässt es auf meine Weise machen und hältst Rebecca da raus. Dafür verspreche ich dir, die Wahrheit aus ihr zu entlocken. Ti do la mia parola [ital.: Du hast mein Wort]."

Ich wusste, warum mir Julian immer noch ergeben war.

Weil ich Valencia aus so vielen Gründen bluten sehen wollte. An erster Stelle, weil sie mich hintergangen hatte, aber auch, weil sie meine rechte Hand erschossen hatte. Auf Julian legte ich viel wert. 

Das wusste er.

Deshalb stand er hinter mir.

"Gut, meinetwegen."

Er ging in die Zelle, zog den Hocker aus einer Ecke, stieg aus und werkelte an ihren Fesseln.

"Was hast du vor, Julian?"

Ich bewunderte, wie gefasst er war.

"Als erstes befreie ich sie aus dieser Zelle. Dann kommt sie in mein Zimmer und sobald sie wieder bei Sinnen ist, werde ich meinen Verpflichtungen nachgehen."

R O M E R O II [Riccardo Mancini]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt