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"Warte", atmete ich gebrochen aus und hechelte vor mir hin, "Ist ihm was passiert?"

Julian suchte nach den richtigen Worten.

"Julian", ich griff nach seinem Kragen und zog ihn näher an mich heran, "Wenn du nicht antwortest, schwöre ich dir bei Gott, hole ich die Knarre und puste dir den Kopf weg. Und diesmal verfehle ich ganz sicher nicht."

Er schwieg.

"Ein Mensch wird geboren, der andere stirbt - glaub mir, das macht mir überhaupt nix. Und jetzt antworte-", ich schrie die nächste Wehe weg.

"Ich war gestern die ganze Nacht am suchen. Ich weiß nicht wo er ist."

Rebeccas kaute auf ihren Nägeln herum.

"Der Spaziergang also, Rebecca?"

Sie schluckte nur.

"Ich habe Rebecca gezwungen es dir zu sagen, solange er verschollen bleibt."

"Wie lange ist er weg?"

"3 Tage."

Endlich kam mein Lachgas.

Ich atmete tief ein, mir wurde übel und schlecht zugleich.

"Sie gewöhnen sich gleich an das Lachgas, dann tut es Ihnen mehr als gut", versprach mir die Hebamme und maß meine Öffnung.

Ihn quält schon was seit Wochen. Dabei hat er beim Antrag sein Herz massiert. Das hängt alles zusammen.

"10 cm, sehr gut. Machen Sie weiter, ich fühle die Haare schon. Gleich geht das Pressen los."

"Ich kann das nicht ohne Riccardo", flennte ich und zog bei der nächsten Wehe wieder das Lachgas in die Lungen ein.

"Vergiss Riccardo, ich bin jetzt hier", Julian nahm ein Handtuch und drückte es Rebecca in die Hände, "Stell dich hinter ihr. Dann siehst du nichts. Sorge dafür dass du ihr Gesicht abtupfst wenn sie schwitzt."

Sie huschte rüber und legte mir den Lappen auf die Stirn.

Julian umschloss mit festem Druck meine Hand und hatte diesen bestimmenden Blick in den Augen, "Konzentrier dich auf mich, Valencia. Du bist stark. Du kannst das."

"Ich kann das nicht, ich kann das nicht", weinte ich leidvoll.

"Und wie du kannst. Gleich hast du es geschafft, dann hat sich der ganze Schmerz gelohnt. Nicht aufhören."

Ich griff hektisch zum Lachgas.

"Sehr gut, entspann dich. Du machst das alles ganz ausgezeichnet", lobte er mich.

Und obwohl ich in dem Moment nichts hören wollte, ein kleiner Teil in meinem Unbewusstsein fand seinen Frieden in diesen Sätzen.

"Mein Körper will", stöhnte ich heraus, "Ich muss einfach pressen, ich kann es nicht aufhalt-"

Und schon ließ ich es zu.

"Tu es. Hör auf deinen Körper. Vertrau ihm."

Die Hebamme eilte wieder zu uns und sah ihn mit erhobenen Augenbrauen an.

"Was?", fragte Julian.

"Berufserfahrung?"

Rebecca lachte sich einen weg.

"Juju war im früheren Leben eine Heeeebamme."

Ich drehte den Kopf zu ihr: "Du offensichtlich nicht."

Und dann musste auch Julian lachen.

Ich presste aus dem Bauch heraus. Ich presste gefühlt meine Seele aus mir heraus.

Julian umschloss nun mit beiden Händen meine Faust: "Weiter, Valencia. Ich schwöre es bei Sizilien und Spanien zusammen, ich sehe den verdammten Kopf!"

Ein letztes Pressen und ich fühlte mich leichter.

Das Baby flutschte heraus und lag mir vor dem Bauch auf der Liege.

Mein Körper pulsierte vor Anstrengung, Rebecca stoß einen kurzen Schrei auf.

Dann hörte ich das babyhafte Weinen.

"Gebt ihn mir, bitte....gebt ihn mir", flüsterte ich.

Die Tatsache, dass ich drei Mal gestorben bin und gefühlt fünf Tage durchschlafen könnte war plötzlich irrelevant.

Man legte mir einen kleinen, leicht mit Blut bedeckten und verwirrten Menschen auf die Brust und das erste Mal begegneten sich unsere Augen.

Es war Liebe.

Es war Sehnsucht.

Sehnsucht nach etwas was ich nicht vorher im geringsten kannte.

Jegliche Definition von Liebe war nichtig.

Liebe war, was ich gerade ansah.

"Hi", flüsterte ich und eine Träne entrann meinem Auge.

Julian hatte den Arm um Rebecca gelegt und stützte sie, während beide stumm mit weinten.

Der Kleine war hellwach und aufmerksam. Seine kugelrunden, überdimensional großen Augen begutachtete mich aufmerksam.

Der Moment war einzigartig und wunderschön.

"Hi", wiederholte ich mich. Ich hatte sonst keine anderen Worte.

Dafür gab es keine Worte.

"Möchte jemand von Ihnen die Nabelschnur durchschneiden?", fragte die Hebamme und ich schluckte schwer.

In der Regel machte es meistens der Vater.

"Ich tue es", schaltete sich Julian ein.

Er zögerte nicht lange und nahm die Schere in die Hand.

Und dann durschnitt er die Verbindung zwischen meinem Sohn und mir, die ihn zehn Monate versorgt hatte.

Ich wusste, dass ich für ihn da sein werde.

Bis zum Rest meines Lebens.

Ich würde für ihn da sein.

Für ihn eine Mutter sein.

Und für ihn ein Vater sein.

"Wie soll der Kleine heißen?", fragte die Hebamme mich.

Und ich zögerte nicht lange.

"Dario."

"Was bedeutet der Name?", fragte mich Rebecca.

"Er bedeutet Der, der Gutes besitzt."

"Für all die verkorksten Vergangenheiten die wir mit uns tragen. Dass er die Welt verbessert und die Geschichte verändert", fügte Julian hinzu.

Ich würde für ihn alles sein.

Für Dario.

Und das war ich schließlich.

Bis er sage und schreibe zwei Jahre alt wurde.





Fortsetzung folgt.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 26 ⏰

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R O M E R O II [Riccardo Mancini]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt