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Ich dachte ich hätte die Übelkeit hinter mir. Aber sie traf mich mit voller Wucht. Ich legte eine Hand auf meinen Bauch.

Hat das Baby in meinem Bauch grad gezuckt?

Alles in mir drin zog sich zusammen. Mein Bauch fühlte sich urplötzlich hart an, hart wie Stein.

Ich atmete auf.

"Wiederhole dich."

Riccardo sagte nichts.

"Wiederhole, was du gesagt hast."

"Ich finde-"

"Nein, sieh mich dabei an."

...Weil ich es sonst nicht ernst nehmen kann.

Riccardo's ernster Blick bewies mir, dass es kein Scherz sein sollte.

"Wir sollten heiraten."

Jemand riss mir in diesem Moment den Boden unter den Füßen weg.

"Sollten?", ich hob die Braue, meine Stimme brach in ein entsetztes Flüstern, "Was faselst du da?"

Nein.

Nein.

Nein!

Mein Herz raste unfassbar schnell und schmerzte in meiner Brust. Gleichzeitig wusste ich nicht, was ich fühlen sollte.

Auch Riccardo schnappte heimlich nach Luft, aber sein Blick hielt stand.

"Ja, Sonnenschein. Heirate mich."

"Nenn mir einen nachvollziehbaren Grund."

"Vereinigung."

"Ver-Vereinigung?"

Ich glaube er verarscht mich...

"Betrachte das Baby als ein...Friedenszeichen. Nutzen wir die Möglichkeit weise. Vereinen wir unsere Länder. Ich bin dir schon seit langer Zeit ergeben."

"Seit langer Zeit?", prustete ich los.

Wut. Es kam so viel Wut auf.

Ungebändigte, nicht kontrollierbare und potenziell zerstörerische Wut.

"Ich war bereit, dir meine Ländereien zu überschreiben. Erinnere dich."

Ich sprang halb auf: "Willst du mit mir ernsthaft über die Vergangenheit reden?"

"Valencia, per favore, fermati [Valencia, bitte, hör auf]. Du gehst gleich an die Decke."

Beäugt er mich jetzt ernsthaft so, als würde er nicht nachvollziehen, warum ich gleich ausraste?!

"Deshalb willst du heiraten, ja? Diese außerordentliche romantische Aufmachung also dafür, ja? Damit wir heiraten für...für eine beschissene Vereinigung - nein, Riccardo. In diesem Leben nicht!"

"Was macht dir an Heiraten so Sorge?"

Ich knallte mein Glas auf die Liegefläche: "Erstens macht mir Sorge, dass man aus solchen Gründen heiratet", Riccardo wollte mich an den Arm fassen, um mich aufzuhalten, "Nein, komm mir jetzt nicht so! Und zweitens macht mir Sorge, dass du heiraten willst."

Ich stapfte zur anderen Seite des Bootes und fluchte noch vor mich her: "Der erhabene, mächtige Mafiose will heiraten...Also das ist doch lächerlich..."

Er lief mir hinterher: "Valencia..."

Ohne ihm eines Blickes zu würdigen, starrte ich auf die wilden Wellen, die kurze Zeit hörbar ans Boot plätscherten.

"Nein, Riccardo. Fahr uns zurück. Ich will wieder zurück. Nach Paris."

Er seufzte und dann hörte ich, wie er sich entfernte und meiner Bitte nachging.

.         .         .

Vier Stunden später saßen wir zu viert in einer Karaokebar. Julian war wieder dicht und Rebecca vergötterte seine italienischen Lieder. Wir hatten einen Raum für uns, an allen Wänden reflektierten die Lyrics. Es war ein Meer an fliegenden Lichtern.

Julians Gesang war grauenhaft.

Aber irgendwie war es unterhaltsam.

Und lenkte mich von meinem Gedankenstrom weg.

Es war so grauenhaft, dass ich gar keinem vernünftigen Gedanken nachgehen konnte.

Ich spürte den ständigen Blick von Riccardo auf mir und ignorierte ihn gekonnt. Trotzdem kribbelte es in mir, wenn ich daran dachte, was er mir auf dem Boot sagte.

So unromantisch es auch war, es war für mich realitätsfern, dass diese Worte aus seinem Mund kamen.

Wie lange musste er darüber eigentlich nachgedacht haben?

Nachts um halb drei betraten wir die kühle Luft Paris' und genossen, dass es leer auf den Straßen war. 

Wir erreichten bald die pyramidenförmige Kuppel vom Louvre. Sie beleuchtete den Platz, es war, wie sonst auch, romantisch wie weiß ich nicht was. Eine kalte Brise erfasste mich, als ich mir die Jacke zuzog und das halbe Gesicht verbarg. Riccardo stellte sich vor mich:

"Ist dir kalt?"

Ich wollte den Kopf schütteln, als ich hörte, wie Rebecca laut die Luft einzog. Sofort machte Riccardo einen Schritt zur Seite und drehte seinen Kopf ebenfalls in diese Richtung, aus der ihr Geräusch kam.

Ich starrte dahin.

Und zwar geradewegs zu Julian, der eine kleine Schachtel in die Hand hielt und sie öffnete.

Rebecca hielt sich vor Schock die Hand vor dem Mund. 

Und bevor Julian auf die Knie gehen wollte, fiel sie ihm in die Arme und beide kippten zur Seite.

Und was ich fühlte war pure Freude für sie.

Freude.

Und Schmerz.

Jetzt konnte ich nicht anders und schaute zu Riccardo. Auch er blickte mich an. Unsere Worte sprachen Bände, aber was sie genau bedeuteten, das wusste keiner von uns so genau.

Riccardos Augen waren voller Gefühle, in meinem Blick lag so viel Angst. Und Unsicherheit.

Rebecca überfiel mich und schaffte es, dass wir beide lachen musste. Als sie vorging mit Julian, fing ich mit dem Finger eine Träne von der Wimper auf. Heimlich. Dann verbarrikadierte ich meine Hände in den Taschen und lief ihnen hinterher.

Rebecca und Julian waren ab heute verlobt.




R O M E R O II [Riccardo Mancini]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt