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Auch die Wochen danach zeigte sich Riccardo kaum. Öfter als gewollt betrachtete ich wie jetzt meinen Ring.

Es zog in meinem Unterleib und strahlte leicht in die Leisten aus.

Übungswehe.

Ich griff nach dem Zettel der vor mir lag, saß auf dem holzigen Stuhl neben den weit geöffneten Fenster meines Schlafzimmers. Die Gardine wehte mit dem Wind, ich hatte den Blick auf das weite Feld gerichtet.

1. Wehe 17:42 Uhr notierte ich mir.

Ich atmete mit der Wehe mit. Etwa dreißig Sekunden dauerte sie an, durchaus erträglich. Die Übungswehen realisierte ich bereits seit Wochen, dabei war ich bereits in der siebenunddreißigsten Woche, eine Frühgeburt würde es wohl nicht mehr werden, wenn das Baby bald kam.

Ich erinnerte mich an gestern Abend zurück.

Ich entschied mich, mit Riccardo zu sprechen.

Eine lange Zeit lehnte ich an seiner Tür, bis ich mich dazu entschloss mutig zu sein und ihn auf sein komisches Verhalten anzusprechen.

Ich klopfte.

Nichts.

Wieder hatte ich geklopft.

Stille.

"Riccardo?", fragte ich.

Ich seufzte und machte kehrt. Er schien seit Wochen so müde zu sein, sicher schlief er.

In meinen Gedanken schwelgte ich als ich ein erneutes Ziehen wahrnahm.

Übungswehe.

Wieder griff ich zu Zettel und Stift.

2. Wehe 17:40 Uhr.

Mit einem Abstand von 8 Minuten und einer Dauer von nur zwanzig Sekunden.

Eine Gehilfin kam herein und stellte ein Strauß Blumen auf mein Nachttisch.

"Wann handelt es sich um echte Wehen und nicht mehr um Übungswehen?", fragte ich.

Sie kratzte sich an den Kopf: "Ich weiß nicht, ich kann mal die Hebamme im Haus fragen."

"Danke", lächelte ich. 

Wieso mied mich Riccardo? Es war so widersprüchlich zu dem, dass er mir diesen Antrag gemacht hatte.

Wieder starrte ich auf den fetten Klunker an meinem Finger.

Und es war kein einfach-so-Antrag. Diesmal hatte ich wirklich das Gefühl, dass er nichts mehr wollte als das.

Mich an seiner Seite.

Ein unheimlich großer Entzug machte sich im Sinne eines großen, saugenden Loches in meinem Herzen bemerkbar.

Am liebsten würde ich gerade seine Arme um mich herum spüren wollen.

Das einzige an körperlichen Kontakt den wir miteinander hatten, waren vermehrt seine Hände auf meinem Bauch. Bei Tritten und Stößen, die nicht unbedingt schmerzlos waren. Aber seine weit aufgerissenen Augen, so müde sie auch aussahen, gaben mir einfach alles.

Hatte ich ihm gesagt, dass es doch kein Mädchen wird?

Nein.

Wollte ich ihn damit überraschen, wenn das Baby kam?

Ziemlich genau ja.

Erneut erinnerte ich mich an gestern Abend zurück.

Nachdem ich erfolglos Riccardo aufgesucht hatte, verschlug ich es mich direkt weiter zu Julian. Ich dachte mir wenn ich Antworten bekommen würde, dann sicher von ihm.

Als ich aber an seiner Tür klopfen wollte, riss Rebecca diese auf.

Sie sah nicht ganz entspannt aus.

"Komme ich...ungelegen?", druckste ich herum.

"N-Nein, komm rein. Setz dich!", sie zog mich herein und ich nahm Platz.

"Wo ist Julian?"

"Er", sie ging sich durch die Haare, "Ist spazieren. Mal abschalten in der nächtlichen Kühle."

"Oh."

"Ja", sie spielte mit ihren Haaren.

"Wie laufen die Hochzeitsvorbereitungen?"

"Gut, die stressen ihn sehr."

"Deswegen der Spaziergang", kicherte ich und verabschiedete mich.

Übungswehe.

Huch?

Drei Übungswehen hintereinander hatte ich noch nie.

3. Wehe 17:57 Uhr .tgz

Diese dauerte beinahe fünfundvierzig Sekunden.

Im Schnitt dauerten alle drei ähnlich lange an.

Die Hebamme spazierte herein.

"Señora Valencia, Sie haben wieder Übungswehen?"

"Ja", stöhnte ich und wusch mir den Schweiß vom Gesicht ab. Mir war warm.

Zu warm. 

"Zeigen Sie mir Ihre Notizen."

Ob Julians Verschwinden was mit Riccardo zu tun hat? schoss es mir intuitiv durch den Kopf.

"Señora Valencia", setzte die Hebamme an, "In Anbetracht dessen, dass alle ihre Wehen in regelmäßigen Abständen von 7-8 Minuten kommen und etwa 30-60 Sekunden andauern, glaube ich nicht, dass es einfach Übungswehen sind."

.          .          .

"Wo ist Riccardo?!", schrie ich gleichzeitig als die Wehe ihren Höhenpunkt erreichte und klammerte mich an Rebecca, die kaum hinschauen konnte.

Ich wurde in einen sterilen Raum innerhalb meines Anwesens verlagert, während sie grad die Decke anstarrte und leise vor sich hin "Ich kann das...Ich schaffe das...", flüsterte.

"Verflucht, ich habe hier das Baby auszutragen, nicht du!", schrie ich und schnappte nach Luft, nachdem die nächste Wehenspitze geschafft war.

"Okay, ich muss kurz", Rebecca machte Würggeräusche und schritt zurück.

"Wo. Ist. Riccardo?!", presste ich hervor, "Gebt mir mein scheiß Lachgas endlich!", schrie ich alle zur Sau.

Und im letzten Moment kam jemand durch die Tür herein.

Der Schmerz nahm mich so sehr mit, dass ich verschwommen sah. Erst erkannte ich die Abrisse eines Mannes, aber als er näher kam, eine Hand an meine Wange legte und die Stimme sprach, wusste ich wer es war.

"Ab hier übernehme ich."

"Julian", stöhnte ich und pustete mir dabei eine Strähne aus dem Gesicht, "Wo zur Hölle ist der verdammte Wichser?"

Aber als ich in seine Augen sah und er nur traurig den Kopf schüttelte, war ich mir sogar sicher, dass meine nächste Wehe auf sich warten ließ.

Rebecca versteckte sich hinter ihm, scheinbar konnte sie sich meine Szene nicht ansehen.

"Er ist-"

"Nein, Julian! Jetzt ist wirklich der falsche Zeitpunkt, es ihr zu sagen!", sprach Rebeccas sorgenvolle Stimme.



R O M E R O II [Riccardo Mancini]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt