Never Tell

Kapitel 58, Verzweiflung

Ein weiterer Pfiff folgt. Die Jungs fangen wie auf Kommando an, Harrys Ringnamen zu rufen und ihn so anzufeuern. Kurz darauf erfolgt ein lautes Durcheinander. Obwohl die Menge so laut ist, versteht man nicht genau was sie rufen. Die zwei Gegner schauen sich konzentriert an. So konzentriert ist Harry nicht einmal im Unterricht. Mit langsamen Schritten nähern sich die zwei Konkurrenten. Plötzlich hebt The Cracker seine rechte Hand und schlägt auf Harry zu, der jedoch kurzzeitig ausweicht. Er nutzt die Gelegenheit und trifft mit seiner Faust dessen Magen. Ich verziehe schmerzvoll mein Gesicht, als würde ich die Leiden des Mannes ertragen. Eine weitere Faust folgt und der Gegner stolpert zurück. Schnell kriegt er sich wieder ein und geht auf Harry zu.

...

Nachdem Harry in der ersten Runde gewonnen, und in der Zweiten aufgrund eines Fouls verloren hat, erfolgt die dritte und letzte Runde. Hätte er dummerweise seinen Fuß nicht benutzt, würde der Ringrichter es nicht als ein Foul auswerten. Obwohl Harry auch paar Schläge abbekommen hat, ist sein Gesicht immer noch makellos. Sein Gegner hingegen hat schon ein halb blutiges Gesicht. Der Ringrichter hat den Kampf nicht unterbrochen nachdem der Arzt mitgeteilt hat, dass es sich um keine schlimmen Verletzungen handelt. Die lauten Ausrufe haben meine Ohren schon halb betäubt. Sogar meine Freundinnen feuern Harry mittlerweile an. Hanna hat für Harry sogar gewettet und sie hat sich ziemlich aufgeregt, als er wegen seinem Foul die Runde verloren hat. Warum wettet man überhaupt bei sowas?

Beide Seiten haben eine kurze Pause bekommen. Sie sitzen auf den kleinen Hockern in den Ecken des Ringes. Hinter Harrys Gegner ist ein eher kleiner Mann, der ihm etwas zuflüstert. Dabei schaut er Harry genau an. Sicherlich erzählt er ihm irgendwelche Taktiken, wie er Harry besiegen kann. Er hat bestimmt gesehen, wo seine Stärke und seine Schwäche liegt - ich habe dabei keine Schwäche entdecken können. Harry sitzt währenddessen ganz alleine auf dem Hocker, hinter ihm steht auch kein Mann. Ich drehe mich zu meiner rechten Seite um, wo Louis sitzt.

"Warum steht hinter Harry kein Mann?" , frage ich neugierig.

"Das solltest du aber schon längst wissen." , murmelt Louis kopfschüttelnd. "Er mag es nicht, wenn man sich in seine Angelegenheiten einmischt. Keiner hat ihm etwas zu sagen, und erst Recht nicht beim Kämpfen."

"Auch wenn man versucht ihm dabei behilflich zu sein? Er könnte doch genau so Taktiken gebrauchen." , meine ich.

Ich löse meinen Blick während dem Gespräch nicht von Harry. Er trinkt gerade aus einer Wasserflasche, sein Blick auch auf den Gegner gerichtet. Obwohl er gerade total verschwitzt ist und seine Haare ihm schon auf der Stirn kleben, sieht er für mich attraktiv aus.

"Diese Halle, diese dreckigen Böden und dieser Ring." , er zeigt mit dem Finger auf den Ring. Fragend schaue ich ihn an und wende kurz daraufhin wieder Harry meinen Blick zu. "Dieser Ort ist Harrys Spielfeld. Keiner kennt das Spielfeld besser als den Spielmacher, stimmts?"

Ich drehe meinen Kopf wieder ihm zu und nicke zur Bestätigung. Die Worte sind so weise und sie sind verdammt nochmal richtig. Louis Mundwinkel zucken etwas erfreut über diese Aussage nach oben.

"Bevor Harrys Feind seinen ersten Schritt gesetzt hat, hat Harry schon den Nächsten gemacht."

Erneut würdige ich meinen Blick Louis. Seine Worte sind genau so präzise gewählt wie die von Harry, so kenne ich ihn gar nicht. Ich schaue ihn etwas hilflos an, weil ich nicht genau verstehe was sein Punkt bei dieser Sache ist. Dass Harry diesen Kampf gewinnen wird? Unsere Blicke treffen sich und ich schaue in seine blauen Augen.

"Harry hat immer einen Plan,Katherine. Er kommt nie zu einem Kampf ohne davor etwas über seinen Gegner erfahren zu haben. Er ist bei diesen Kämpfen so vertieft, als würde er gerade eine Bank ausrauben. Siehst du diesen Blick?" , er deutet auf Harry. Er hat seine Augenbrauen nachdenklich zusammen gezogen und und nickt langsam mit dem Kopf auf den Boden. Er schaut auf denselben Fleck und rührt sich dabei keinen Zentimeter.