Kapitel 99, letzter Rachezug

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Am nächsten Morgen ging es mir schon deutlich besser. Harry hatte mir sogar überraschenderweise Frühstück vorbereitet, obwohl er ein Langschläfer ist. Ich bin ihm dankbar, dass er das Gespräch von gestern, beziehungsweise heute, nicht anspricht. Er hat mich zum Lachen gebracht, als ich auf meinem Teller das lachende Gesicht zu sehen bekommen habe. Harry hat aus Tomaten, Gurken und Käse einen Smiley geschaffen. Er hat sich sogar gemerkt, dass mein Lieblingstee der Fencheltee ist. 

"Bist du bereit für die große Konfrontation?" , fragt er belustigt, doch ich kann die Nervosität an seiner Stimme deutlich raushören.

"Ich weiß es nicht." 

Ich öffne meinen Kleiderschrank und ziehe gleich die erste Jeans und T-Shirt heraus, die mir vor die Augen kommen. Harry liegt auf meinem Bett und starrt die Decke seufzend an, während ich in die Klamotten schlüpfe. Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit, als ich an den Ausmaß denke, den seine Rache haben wird. Ich hoffe, dass er es nicht zu weit getrieben hat. Doch sein Gesichtsausdruck lässt mich zweifeln. Er stellt sich auf die Beine und wir beide gehen aufeinander zu, bis wir uns in der Mitte treffen. Er nimmt meine Hände in seine und lehnt sich zu mir vor, bis sich unsere Lippen treffen. Es ist ein zärtlicher Kuss. Der Kuss wird erst unterbrochen, als Harrys Handy klingelt. Er schaut mir in die Augen, während er das Handy an sein Ohr drückt.

"Ich komme." , sagt er der Person am Handy.

Seine linke Hand umfasst immer noch meine und er drückt sanft zu. Ich kann nicht verleugnen, dass ich große Angst habe. Ich erinnere mich an alle Pläne, die Harry bisher geschmiedet hat. So sehr Harry es auch versteckt, er ist schlauer als er von sich gibt. Wenn das die größte Rache ist, die er bisher geplant hat, dann kann ich mir nicht vorstellen, was er getan haben muss und wie viele Personen daran leiden müssen. Die Folgen werden fatal sein, das spüre ich.

"Wir müssen los." , informiert er mich.

Ich nicke und lasse mich von ihm die Treppen runterziehen. Meine Schlüssel verschwinden in meiner linken Hosentasche, mein Handy in der rechten. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch verlassen wir das Haus. Wir steigen in sein schwarzes Auto und nachdem wir uns angeschnallt haben, startet er den Motor mit einem tiefen Atemzug.

...

Wir fahren nun schon seit einer knappen viertel Stunde. Keiner von uns hat die Stille unterbrochen, jeder in seinen eigenen Gedanken. Harry hat das Lenkrad stark umfasst, sein Blick konzentriert auf die Straße gerichtet. Ich kann aus seinem Gesicht die Emotionen nicht herauslesen. Mit jeder vergangen Sekunde steigt die Angst in mir, denn mit jeder vergangen Sekunde sind wir eine Sekunde näher bei Elijah. Erst jetzt realisiere ich, dass Elijah gar nichts über Harry weiß. Als die beiden am Pokertisch saßen, dachte Elijah, er wäre Klaus. Dementsprechend weiß Elijah auch nicht, wofür sich Harry an ihm rächt. Ich wusste, ich war nicht bereit für diese Konfrontation, aber jetzt bin ich unsicherer denn je. 

Wir kommen in einer Gegend mit riesigen Häusern an. Beinahe hatte ich schon vergessen, dass Elijah reich ist und sicherlich in einem Palast wohnt, größer als Harrys. Ich fühle mich wieder mal falsch am Platz, aber es gibt kein Zurück mehr. Mit wem hat Harry überhaupt am Handy gesprochen? Elijah? Weiß Elijah überhaupt, dass wir gerade kommen? Er weiß noch nicht einmal, dass ich eine Verbindung zu Harry habe. Ich schüttle verzweifelt den Kopf. Das alles ist so kompliziert. 

Er duckt sich und verengt seine Augen. Dann hält er an. Mein Herz schlägt mir jetzt schon im Hals. Mein Instinkt verrät mir, dass das ganz und gar nicht gut enden wird. Mit zittrigen Händen stoße ich die Tür auf und steige aus. Ich gehe auf Harry zu und er zögert nicht damit, unsere Finger zu verschränken. Unsere beiden Blicke fallen auf die Mansion vor uns. Es ist schlicht weiß gestrichen, doch die Rahmen der Türen und Fenster sind gold umrandet. Harrys Haus ist im Vergleich zu dem ein Nichts. 

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