Kapitel 86, Realität und Traum

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"Wie weit müssen wir noch gehen?" , frage ich ihn erschöpft.

Ich bleibe stehen und da er meine Hand hält, tut er das auch. Er schaut mich genervt an, weil ich mich in den letzten paar Minuten dauerhaft darüber beschwert habe, dass er sein Auto so weit weg geparkt hat. Ich verstehe auch nicht, was das bringen soll. Hätte er ja gleich zu Fuß kommen können. Meine Füße tun mir schon weh von dem ganzen stehen. 

"Sei nicht so faul." , meckert er zurück.

Er zieht mich wieder an der Hand um mir zu deuten, dass ich weitergehen soll, aber ich rühre mich nicht vom Fleck.

"Wir wärs, wenn ich hier auf dich warte?" , frage ich hoffnungsvoll.

Er zieht unüberzeugt von meiner Bitte die Augenbrauen zusammen und zur Bestätigung schüttelt er auch noch einmal verneinend seinen Kopf.

"Auf keinen Fall lasse ich dich Dickkopf hier alleine." , meint er ernst.

"Ich bin kein Dickkopf." , widerspreche ich.

"Wenn du dich jetzt nicht bewegst, dann werde ich wirklich ohne dich gehen." , warnt er mich mit hochgezogenen Augenbrauen.

"Das sage ich doch schon die ganze Zeit! Wieso konntest du nicht von Anfang an bejahen." , seufze ich.

"Nein nein, nicht so. Ich werde dich hier lassen und selber fahren." , widerspricht er.

Ich schaue ihn geschockt an, bis ich realisiere, dass er das nicht tun würde. Augenblicklich beiße ich auf meine Unterlippe um nicht zu lachen. Einen Versuch war es ja wert.

"Okay." , sage ich grinsend.

Wieder zieht er seine Augenbrauen zusammen. Er lässt meine Hand los und verschränkt seine Arme vor der Brust. 

"Was soll das heißen okay?" , fragt er misstrauisch.

"Du kannst ruhig ohne mich fahren." , versichere ich ihm.

Er würde mich doch nicht wirklich alleine lassen. Diesmal drückt er auch seine Augen zusammen und zuck anschließend mit der Schulter.

"Wie du willst, dann sehen wir uns in der Schule." , murmelt er unverständlich.

Ich nicke und sehe ihm zu, wie er auf den Fersen kehrt macht. Den Augenblick nutze ich aus, um seinen trainierten Rücken zu bewundern. Die Art, wie er aggressiv seine Arme schwingt beim gehen. Sicherlich kommt er gleich wieder zurück um mich dazu aufzufordern, mit ihm mitzugehen. Mein Herz klopft mit jedem weiteren Schritt von ihm schneller. Er entfernt sich immer weiter weg von mir.

"Harry?" , murmele ich leise.

Er kann mich doch nicht wirklich alleine lassen, oder? Nicht mal einmal hat er sich umgedreht um sicher zu gehen, ob ich überhaupt noch da bin. 

"Idiot." , zische ich leise.

Was, wenn mir was zustoßen würde? Er ist so kaltblütig! Als er dann auch noch um die Ecke biegt und hinter einem Gebäude verschwindet, bekomme ich richtige Angst. So schnell ich kann, laufe ich hinter ihm her. Er darf nicht ohne mich fahren. Die nassen Haare klatschen mir ständig ins Gesicht und verärgert streiche ich sie jedes Mal nach hinten. Als ich dann auch um die Ecke biege, sehe ich ihn sein Auto aufsperren. Ich laufe noch die wenigen Meter auf ihn zu.

"Steig ins Auto." , fordert er verärgert auf.

Woher wusste er, dass ich da bin? Ich sehe zu wie er hinter dem Steuer seinen Platz einnimmt. Außer Puste rühre ich mich für einige Sekunden nicht vom Fleck, bis er ungeduldig auf die Hupe drückt. Ich verdrehe die Augen und setze mich schließlich auf den Beifahrersitz. Ohne zu zögern, startet er den Motor und fährt aus dem engen Parkplatz raus, während ich in der Zeit meinen Gurt überziehe.

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