Kapitel 63, weitere Rückblicke

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Aufgeregt schenke ich ihm meine volle Aufmerksamkeit. Ich will endlich die schönen Dinge in seinem Leben erfahren. Lächelnd schaue ich die Treppe an, die am Ende des Flures steht.

"Ihr Mann, Robert Williams, von ihm hast du bereits gehört."

Ich nicke zur Bestätigung. Der arme Mann lebt heute leider nicht mehr. Er hat ihm sicherlich viel bedeutet.

"Ich habe ihn immer Onkel genannt. Es ist irgendwie komisch, immerhin habe ich Mary ja als meine Oma bezeichnet. Aber Robert wollte unbedingt meine Onkelrolle übernehmen. Er sagte immer, er sei viel zu jung für einen Opa." , erzählt er lachend.

"Müsste das nicht andersrum sein? Eigentlich sollte sie doch lieber Tante genannt werden." , grinse ich.

"Da hast du Recht." , stimmt er zu. "Jedenfalls, als Grandma mich ihm zum ersten Mal vorgestellt hat, war er total aus der Fassung. Er hat sie sogar angeschrien, weißt du? Er wollte mich anfangs auch nicht haben. Er wollte mich unbedingt bei der Polizei melden, aber Mary hat es nicht zugelassen. Später habe ich erfahren, dass sie selbst nie Kinder bekommen konnte und deshalb war ich ihr so wichtig. Sie sah mich als ihren eigenen Sohn an und sie hat alles dafür getan, mich zu behalten. Schließlich hat er nachgeben müssen, weil er seine Frau eben geliebt hat. Er hat gesehen wie wichtig ich ihr war, und dass er sie damit nur verletzt hat."

"Das ist süß." , sage ich. "Dass er für seine Frau ihm ein fremdes Kind akzeptiert hat."

"Akzeptiert?" , er fängt an zu lachen. "Oh warte, das war der Anfang."

Ich lausche seinem Lachen. So innerlich lachen hört man ihn wirklich selten.

"Er hat mir das Leben gleichzeitig erleichtert und viel schwieriger gemacht. Grams hat alles für mich getan. Sie hat mich sofort in eine Privatschule geschickt, wo nur diese reichen Kinder hingeschickt werden. Sie hat mir die teuersten Klamotten gekauft und ich hatte jedes Spielzeug, was sich ein Kind nur wünschen konnte. Onkel hat sich dazu nicht geäußert, obwohl all das auf seine Kosten ging." , wieder lacht er.

"Du hattest also doch eine schöne Kindheit?" , frage ich erfreut.

"Nun ja, ich würde sagen das ist eine Ansichtssache. Hör dir erst mal die ganze Geschichte an." , meint er. "Ich war an das alles gar nicht gewohnt. Oma wollte mich unbedingt verwöhnen, aber ich konnte das nicht zulassen. Bevor sie mich aufgefunden hat, war alles ziemlich grausam. Ich hatte kein einziges Spielzeug und ich hatte nie die Zuneigung von ihm."

Ihm fällt das Wort Vater wirklich schwer. Ich kann ihn dafür auch nicht beschuldigen, nach dem was er seinem Sohn angetan hat. Es ist so merkwürdig. Als ich seinen Vater damals im Restaurant gesehen habe, war er total anders. Nie im Leben hätte ich von ihm so etwas erwartet. Auch Chace erzählte mir, dass er einen guten Verhältnis zu seinem Vater habe. Das ist wahrscheinlich auch das Problem von Harry. Dass der Vater sich für den einen Sohn entschieden hat. Ob diese Entscheidung jedoch wirklich so schlimm war ist für mich dennoch fraglich. Immerhin scheint Harry doch ein gutes Leben geführt zu haben. Vielleicht wäre sein Leben mit seinem Vater nicht so gut.

"Deshalb habe ich alles abgelehnt, was sie mir gekauft hat. Natürlich bis auf die Schule. Ich war nämlich solche Sachen nicht gewohnt. Mit meinen sechs Jahren war ich schon ein erwachsener Mann." , er lacht wieder. "Dank meines Onkels. Meine Beziehung mit Mary hat sich schon in den ersten Tagen ziemlich verstärkt. Sie hat mir die Liebe geschenkt, die ich noch nie kannte. Aber Robert, er war immer so distanziert mir gegenüber. Und dann eines Tages, war Mary nicht zuhause und ich und er waren alleine. Mir war so langweilig in dem riesigen Haus, weil ich da früh Schulschluss hatte, dass ich zu ihm gegangen bin. Das war das erste Mal dass ich mich getraut habe ihn anzusprechen." , erzählt er.

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