Kapitel 62, ersehnte Wahrheit

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"Was?" , fragt er stockend nach.

Ich hebe meinen Kopf und wieder kreuzen sich unsere Blicke. Harry hat meine Worte anscheinend ganz und gar nicht erwartet. Was hätte ich ihm auch sagen sollen? Dass diese Nacht für mich unvergesslich war? Dass ich es in vollen Zügen genossen habe, bis du einfach verschwunden bist? Ich schaue ihn emotionslos an.

"Du hast es doch selber gesagt. Für dich war es nichts Wichtiges, stimmts? Warum sollte es für mich wichtig sein?" , erwidere ich gleichgültig. "Außerdem solltest du die Nacht einfach vergessen, so wie ich auch. Es liegt jetzt in der Vergangenheit, du solltest auf die Zukunft blicken. Übrigens verspreche ich dir auch, dass es zwischen uns bleiben wird, Pamela wird nichts davon erfahren." , versichere ich ihm.

Klar habe ich Pamela oft damit provoziert, aber schließlich hat Harry es ihr verleugnet. Warum sollte sie auch mir glauben und nicht ihrem Freund? Harry scheint sichtlich überrascht von meiner Antwort zu sein. Er runzelt die Stirn, woraufhin ich ihn anlächle.

"Du kannst dann jetzt gehen." , erinnere ich ihn.

Ich stehe auf und gehe auf die Haustür zu. Mit einem mulmigen Gefühl öffne ich ihm die Türe. Als ich mich jedoch umdrehe, ist er nicht hinter mir. Ich verdrehe meine Augen und stapfe zurück in das Wohnzimmer. Er sitzt wie angewurzelt auf dem Tisch, seine Augen auf den Boden gerichtet.

"Harry?"

Langsam dreht er seinen Kopf in meine Richtung. Er hat seine Hände miteinander verschränkt.

"Bereust du es wirklich?" , fragt er.

Ich öffne meinen Mund, aber schnell schließe ich ihn wieder. Warum machst du es so schwer, Harry? Zögernd gehe ich auf ihn zu und setze mich dann erneut auf das Sofa. Seine Augenbrauen sind wie vorhin auch zusammengezogen. Langsam nicke ich in seine Richtung zur Bestätigung. Wie könnte ich die Nacht je bereuen, Harry? Glaubst du wirklich an meine Worte? Es war das erste und das letzte Mal, dass ich dich so nah an mir hatte. Das erste und das letzte Mal, an dem ich dich berühren und küssen durfte. Das erste und das letzte Mal, als zwischen uns alles so sorglos war.

Plötzlich legt er seine Lippen auf meine Stirn. Wie angewurzelt bleibe ich währenddessen reglos sitzen. Wenig später zieht er sich wieder zurück.

"Nein, ich glaube du bist immer noch krank." , er schüttelt seinen Kopf.

"Ich bin nicht krank." , protestiere ich.

"Doch."

"Nein."

"Doch."

Ich gebe auf. Mit ihm zu diskutieren ist wirklich unmöglich.

"Okay, dann bin ich halt krank. Du gehst jetzt trotzdem." , sage ich genervt.

"Ich kann nicht gehen. Man kann kranke Menschen nicht alleine lassen und du bist krank." , sagt er belustigt.

Das Wort krank meinte er auf eine andere Weise, davon bin ich überzeugt. Er würde nicht so amüsiert klingen.

"Sag mal, hast du Alzheimer? Du sagtest du würdest nach der Suppe gehen." , erinnere ich ihn gereizt.

"Ich habe gelogen." , er zuckt mit den Schultern.

"Stimmt." , ich lache. "Das ist nämlich das beste was du kannst." , werfe ich ihm vor. 

Menschen mit Lügen dazu bringen etwas zu tun. Ich will aufstehen, aber Harry drückt gegen meine Schulter und ich falle zurück auf das Sofa.

"Was sollte das jetzt heißen?" , fragt er misstrauisch.

"Hör auf so zu tun als würde es dich interessieren." , bringe ich aufgebracht hervor. Dabei stoße ich seine Hand weg und funkle ihn wütend an. "So zu tun, als würde ich dir wichtig sein. Ich sagte mir geht es gut und dass du jetzt gehen kannst. Warum gehst du einfach nicht?"

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