Kapitel 83, Spiegelbild

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Am liebsten würde ich diese paar Schritte zurückgehen und Debbie den Tisch bedienen lassen, aber es ist schon zu spät. Einer der Männer hat einen Blickkontakt mit mir aufgenommen und mir bleibt nichts anderes übrig, als auf sie zuzugehen. Ich bin dankbar, dass der Vater mit dem Rücken zu mir sitzt.

"Was darf es sein?" , frage ich höflich.

Der Mann schaut erwartungsvoll in die Runde und wie auf Kommando sprechen die anderen Männer durcheinander, sodass ich nicht genau mitkommen kann. Ich notiere mir alles was ich merken kann, dann lese ich die Liste vor.

"Ich sagte doch ich will Pasta. Wie schwer ist das sich zu merken? Immer diese Anfänger." , schimpft plötzlich Harrys Vater.

Als ich ihn schockiert anschaue, ändert sich auch sein Gesichtsausdruck. 

"Tut mir leid." , murmele ich.

Schnell breche ich den Blickkontakt ab und notiere mir seine Bestellung. Genau als ich mich umdrehen will, hält er mich auf.

"Du läufst mir auch immer über den Weg." , stellt er fest.

Ich runzle die Stirn. Als Chace uns einander vorgestellt hat, hat er mich hier bereits arbeiten sehen. Kurz lasse ich mich von Chace ablenken. Ich habe ihn lange nicht mehr gesehen. Dann realisiere ich wieder die merkwürdige Situation in der ich mich momentan befinde.

Ohne ein weiteres Wort miteinander zu wechseln, mache ich meinen Weg in die Küche. Ich lehne mich gegen die Theke und schließe für eine Sekunde die Augen. Er scheint mich nicht sonderlich zu mögen. Der Tag kann noch lang werden.

...

Ich wische mir mit dem Ärmel über die Stirn. Es ist gerade einmal kurz nach 17:00 Uhr und meine Schicht dauert noch bis 20:30 Uhr. Ich habe außerdem Debbie versprochen, dass ich heute noch ihre Schicht übernehmen werde, da sie es letztens auch für mich gemacht hatte, und nun muss ich alleine das Restaurant bedienen. Wenigstens ist es nur noch halb so voll wie am Vormittag. 

Ich wische ein weiteres Mal über den Tresen, während ich immer wieder kurz auf die Tür schaue. Innerlich bete ich, dass keine weiteren Kunden mehr erscheinen, doch wie das Schicksal es will, kommt genau die Person rein, die ich am wenigsten erwartet hätte. Pamela. Hinter ihr treten weitere zwei Mädchen und dann noch zwei Jungs. Doch als ich ihn ganz hinten folgen sehe, fällt meine Kinnlade runter. Harry? Ich halte abrupt inne bei meiner Tätigkeit und starre ich wie gebannt an. Er fährt sich durch die Haare, während sein Kopf gesenkt ist. Nebenbei sehe ich wie die Restlichen sich ihren Platz am hintersten Eck einnehmen. Dann hebt er seinen Kopf und in dem Moment treffen sich unsere Blicke. Augenblicklich fällt auch seine Kinnlade runter. Er macht einen Schritt in meine Richtung, doch er bleibt stehen als sein Name gerufen wird. Er schaut kurz zu den Anderen, dann wieder zu mir. Er schüttelt langsam seinen Kopf und dann senkt er wieder seinen Blick. Er überrascht mich, indem er auf die anderen zugeht und sich auf den Stuhl neben Pamela setzt.

Schnell verschwinde ich mit dem Eimer Wasser in meiner Hand auf der Toilette. Wütend schüttle ich das Wasser in das Klo aus und fülle es am Waschbecken erneut auf. 

Bin ich ihm peinlich? Will er uns deshalb verheimlichen? Meine Augen werden glasig, aber heute ist nicht der Tag zum Weinen. Ich bespritze mein Gesicht mit eiskaltem Wasser und bin innerlich dankbar dafür, dass ich mich heute nicht geschminkt habe. Er vermittelt mir das Gefühl, als wäre ich seine zweite Wahl. Und ich hasse dieses Gefühl. 

Ich schnappe mir den schweren Eimer und verlasse die Toilette. Mussten sie ausgerechnet jetzt kommen, da Debbie bereits weg ist? Ich stelle den Eimer ab und gehe mit langsamen Schritten auf den Tisch zu, bis ich am Arm zurückgehalten werde.

Never TellWo Geschichten leben. Entdecke jetzt