Kapitel 88, romantische Erwartungen

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Es sind knappe zehn Minuten vergangen, seitdem wir das Haus verlassen haben. Weder er, noch ich haben ein Wort von uns gegeben. Jeder scheint in seinen eigenen Gedanken versunken zu sein. Ich bin froh, dass wir auf die Autofahrt verzichtet haben. Immer wieder bringe ich die Erzählungen von Harry und seinem Vater beisammen und lasse alles ein weiteres Mal in meinem Kopf passieren.

"Wie gesagt, er hatte die Nase voll von meinen Frechheiten. Und eines Tages ist er dann einfach gegangen. Er ist nie wieder zurückgekommen."

"Ich habe sozusagen auf den Straßen gelebt."

"Ich erinnere mich daran, wie ich meinen ganzen Tag im Einkaufszentrum verbracht habe, um nicht zu erfrieren."

"Ich wusste, dass dieser Mann mich sowieso wieder verlassen würde."

"Alles ist deine Schuld!"

"Sie hat mir die Liebe geschenkt, die ich noch nie kannte."

"Ich wusste schon immer, dass aus ihm nie etwas wird."

"Ich habe nie verstanden warum er uns so gehasst hat, aber jetzt ist alles verständlich."

"Katherine!" , schreit Chace mir ins Ohr.

Ich zucke vor Schreck zusammen und starre wie gebannt in seine blauen Augen. Ich habe gar nicht gemerkt, dass wir schon vor meinem Schulgebäude stehen. Mein Herz schlägt fest gegen meine Brust und ich lege meine Hand drauf, um mich selbst zu beruhigen. Alles was ich in der letzten Stunde erfahren habe, hat mich so ziemlich mitgenommen.

"Ich sagte, dass du es noch rechtzeitig zur vierten Stunde schaffst." , sagt er.

Ich nicke nur halb zuhörend. Meine Gedanken und Gefühle sind ein reines Chaos. Dann spüre ich plötzlich zwei Arme um meinen Körper. Ich umarme ihn zurück und dann löst er sich mit einem minimalen Lächeln.

"Ich dachte, du willst ihn sehen." , murmele ich.

Er schaut kurz auf das Gebäude, ehe er sich wieder mir zuwendet. Seine Hände gleiten in seine Hosentasche und ein kleines Seufzen entfährt ihm.

"Das will ich auch. Aber du solltest mittlerweile auch schon wissen, dass er das nicht zulassen würde." 

Ich nicke zustimmend. Harry hat ihn bisher immer gleich weggestoßen ohne ihm zuzuhören, warum er überhaupt gekommen ist. So dickköpfig er mich auch immer nennt, das ist er selber. 

"Darf ich dich um etwas bitten?" , fragt er unsicher.

"Klar." , ich nicke.

Nachdem was er für mich getan hat, ist das eine klare Antwort. 

"Kannst du ihn versuchen zu überreden, dass er mit mir reden soll? Wenn er nicht reden möchte dann ist das auch okay, er soll mir wenigstens zuhören." , bittet Chace.

Zuerst will ich meinen Kopf verneinend schütteln, aber ich halte mich davon ab. Ich schulde es ihm. Ich weiß, dass es nicht einfach sein wird ihn dazu zu überreden, aber ich werde es wohl versuchen können. Schließlich ist Chace in diesem Fall unschuldig - genau so wie Harry - und verdient die Chance, seinem Bruder die Wahrheit darüber erzählen zu können.

"Ich werde mein Bestes geben."

...

Mit zitternder Hand klopfe ich an der Tür, ehe ich hereintrete. Alle Augen richten sich auf mich und mir wird viel unangenehmer bei der Sache, als mir schon davor war. Nachdem ich mich für die Verspätung entschuldigt habe, gehe ich an den Jungs vorbei und setze mich neben Brooke hin. Dabei habe ich meinen Blick von Harry abgewendet, während er mich mehr als auffällig angestarrt hat.

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