Kapitel 93, schmerzende Aussagen

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Gleich nachdem die beiden weggegangen sind, bin ich mich abduschen gegangen. Ich stelle mir alle möglichen Szenarien vor, die die beiden erleben könnten. Hoffentlich vertragen die sich bald und hoffentlich greift Harry ihn nicht erneut an. Wenn Harry bereit dazu wäre, seinem Bruder einmal zuzuhören, dann würde er sehen, wie nett Chace ist und dass er nichts mit der Vergangenheit zu tun hat. Er konnte doch als kleines Kind gar nicht wissen, dass ihm sein Vater eine Lüge auftischt und auch wenn, was hätte er dagegen tun sollen? Andererseits kann ich Harrys Hass vollkommen verstehen. Er wurde allein gelassen und jetzt sind sie plötzlich zurück - ganze dreizehn Jahre später. Während ich mich shampooniere, schweifen meine Gedanken total ab. Wie würde ich eigentlich reagieren, wenn ich plötzlich meine Eltern treffen würde?  Ich habe keine einzige Information über sie, nicht mal einen Namen. Ich würde gerne wissen, wem ich ähnlich schaue. Manchmal frage ich mich, wie meine Eltern mich nennen würde. Dorotha hat mir und Katharina unsere Namen gegeben und wir haben sie so akzeptiert. Dorotha erklärte mir danach, dass ich immer so rein und unschuldig bin - die Bedeutung meines Namen. 

Ich steige von der Dusche und wickle mich in ein Tuch. Mit aller Vorsicht nicht abzurutschen, stelle ich mich vor den Spiegel und als ich mit meinem Tuch darüber wische, um eine klare Sicht zu bekommen, traue ich meinen Augen nicht. Mein ganzer Hals ist voll mit roten Flecken, die eine leichte lilane Tönung haben. Ich fahre mit meinen Fingerkuppen vorsichtig rüber und bei jeder Berührung bekomme ich ein Flashback davon, wie Harrys Lippen Kontakt mit meiner Haut hatten. Die Art, wie er mit seinen Zähnen reingebissen hat und mit der Zunge darüber gefahren ist, hat mich völlig verrückt gemacht.  Ich reiße meine Augen weit auf, als mir bewusst wird, dass Chace diese Flecken gesehen haben muss. Die Scham überkommt mich und ich schüttle seufzend den Kopf. 

Gerade als ich mein Tuch fallen lasse, um mich anzuziehen,  fällt meine Kinnlade runter. Sogar an meinen Brüsten und an meinem Bauch habe ich kleine Flecken, die wenigstens nur halb so schlimm sind wie die an meinem Hals. Oh Gott.

...

Obwohl es bereits kurz nach 03:00 Uhr ist, habe ich kein Auge zu bekommen. Ständig kreisen meine Gedanken um die zwei Brüder. Ich muss einfach wissen, was passiert ist. Seufzend schlage ich die Decke zur Seite und gehe die Treppen runter, auf der Suche nach meinem Handy. Harry hatte es ausgeschaltet. Ich liege bereits wieder im Bett, als mein Handy sich wieder eingeschaltet hat. Ich spiele mit dem Gedanken, ob ich Harry anrufen und nachfragen solle, wie es läuft. Stirnrunzelnd drücke ich auf die rote Eins, die für die Nachrichten steht. 

"Triff dich mit mir um 00:00 Uhr beim Park um die Ecke, und ich erkläre dir alles." - Zayn, 23:02 Uhr

Ich lese mir die Nachricht viermal durch, damit ich ja nichts falsch verstehe. Dann wandert mein Blick auf die Uhr und ich muss feststellen, dass ich den Zeitpunkt um drei Stunden verpasst habe. Ich starre wie gebannt auf den Bildschirm. Zayn besteht darauf mir etwas über Harry zu erzählen, dass er mir anscheinend verschweigt. Warum sollte er dies jedoch tun? Harry ist schließlich sein Freund oder nicht? Ungewollt schießen mir seine Worte in den Kopf.

"Du kennst Harry nicht. Er will dich doch gar nicht."

"Du denkst er liebt dich, aber es ist nur sein Spiel. Er will nur sie."

"Er will dich nur ausnutzen im Gegensatz zu mir." 

Ich schlucke. Wenn Harry mich wirklich nur ausnutzen wollen würde, dann hätte er mich schon nach unserer ersten Nacht verlassen können, aber er hat es nicht getan. Zayns Ziel ist es, mich an Harry zweifeln zu lassen und ich werde nicht auf seinen Plan eingehen. Andererseits kann ich nicht leugnen, dass ich mir nicht zu hundert Prozent sicher bin, dass Harry mir nichts verschweigt. Sofort fällt mir die Sache mit Pamela ein. Er hat mir nicht erzählt weshalb er immer noch mit ihr abhängt, aber er sagte, ich solle ihm vertrauen. Was ist, wenn Zayn mir darüber etwas zu sagen hat? Ich schaue auf seine Nachricht, während mir Harrys Worte in den Sinn kommen, dass ich ihm vertrauen soll. Was ist, wenn Harry mich nur nicht verlassen hat, weil ich bereits so viel über ihn wisse? Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit, als ich auf die Fläche "antworten" tippe.

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