Never Tell

Kapitel 95, Verzeihung

Er zieht mich die Treppen hoch und dann gehen wir an den etlichen Räumen vorbei, die mir bereits bekannt sind. Bisher war ich eigentlich auf beiden Seiten des Hauses, einmal als Mary da war und einmal als ich hier übernachtet hatte, und trotzdem habe ich das Gefühl, dass es immer noch Räume gibt, von denen ich nichts weiß. Als Harry mich an seiner Zimmertür vorbei zieht, fällt mir augenblicklich ein, dass hier sein Heft versteckt ist. Ich schlucke allein dadurch, dass Chace sein Zimmer ohne seine Erlaubnis betreten hat. Hoffentlich hat er nichts anderes mehr angefasst, sodass Harry keinen Verdacht schöpfen kann. Er ist sowieso so aggressiv und emotional zugleich, wenn es um Robert und Mary geht.

Letztendlich bleibt er stehen und ich stolpere leicht gegen ihn, woraufhin er mich anlächelt. Ich verdrehe bloß meine Augen und dann drängt er mich schon auch in ein Zimmer. Meine Augen scannen das Zimmer ab, das ich noch nicht gesehen habe. Es sieht aus wie ein Arbeitszimmer. Ein großer Schreibtisch mit einem zugehörigen schwarzen Drehstuhl steht hinten und dahinter sind große Bücherregale, die die ganze Wand einnehmen. Vor dem Schreibtisch liegt ein einfacher Teppich und der Rest des Raumes ist leer. Das Fenster ist die einzige Lichtquelle, bis Harry den Lichtschalter betätigt. Ich schaue ihn fragwürdig an.

"Setz dich." , weist er mir an.

Er macht eine dazu passende Kopfbewegung, sodass ich zögernd den Platz auf dem Schreibtischstuhl einnehme.

"Was soll das werden?" , frage ich ihn genervt.

Ich weiß nicht, was er mit mir vor hat und ich will es auch gar nicht wissen. Er ignoriert meine Frage und geht auf den Bücherregal zu. Seufzend verschränke ich meine Arme vor der Brust. Am liebsten würde ich ja eigentlich weglaufen, aber ich weiß, dass es zwecklos ist und ich mich gar nicht erst zu anstrengen brauche.

"Ich werde es dir erklären." , meint er ruhig.

"Ich will nichts wissen, lass mich einfach gehen." , erwidere ich aufgebracht.

Er stemmt seine Hände in die Hüfte und dann wirft er mir einen ebenfalls genervten Blick zu, woraufhin er noch seufzt.

"Ich weiß nicht wie oft ich es dir noch sagen muss, aber du wirst nicht von hier weggehen, bis ich es dir erlaube." , sagt er bestimmend.

"Spinnst du? Du kannst mich nicht einfach nach Lust und Laune wegschicken. Ich gehe wann ich will." , sage ich schnippisch.

Ich stütze meine Hände an der Armlehne des Sitzes ab und hebe mich hoch, als Harry mich wieder an den Schultern runterdrückt. Ich hebe meinen Kopf hoch um seinen Blickkontakt aufzunehmen. Er drückt seine Zunge gegen die Innenseite seiner Wange, während er eine Augenbraue warnend hebt.

"Vielleicht sollte ich dich an den Stuhl fesseln, was hältst du davon?" , fragt er gereizt.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen schubse ich seine Hände von meinen Schultern weg und er dreht sich mit einem ausdruckslosen Gesicht wieder zu den Büchern um. Eine nervtötende Stimmung herrscht, während er nachdenklich die Bücher betrachtet.

"Lass mich raten, du hast kein einziges von diesen Büchern gelesen." , werfe ich ihm vor.

Er antwortet wieder nicht auf meine Frage, was mich nur noch mehr reizt.

"Und wozu musste ich jetzt kommen?" , brumme ich. "Soll ich dir was vorlesen oder was?"

Er dreht sich mit einem genervten Blick zu mir um.

"Könntest du für einen Moment deine Klappe halten?" , zischt er.

"Nein." , antworte ich.

Er fährt mit seinen Fingern über die Bücher und ich bemerke, wie verstaubt hier alles ist. Wer weiß, wann hier das letzte Mal geputzt wurde. Ich kann Dreck gar nicht leiden. Rose sagt immer, dass ich ein Hygiene Freak bin, aber so eine übertriebene Bezeichnung würde ich mir nun auch nicht wieder geben. Während er macht, was auch immer er macht, sehe ich mich nochmal genauer um. Die Wände sind stinknormal weiß gestrichen, wobei die Farbe an manchen Stellen sogar abgefärbt ist. Mein Blick wandert weiter und ich bleibe mit meinem Blick an der linken Seite des Zimmers haften. An der Wand ist ein viereckiger Abdruck, so als ob da früher ein Bild gehangen hätte.