Kapitel 14, So nah und doch so fern

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Ich betrete das riesige Schulgebäude. Es ist erst halb und ich bin schon da. Ich steuere zum Wasserautomaten und fülle meine Flasche auf. Das kalte Wasser lässt mich schon gleich besser fühlen. Für den März ist es heute ziemlich warm, weshalb ich mich für ein T-Shirt entschieden habe. Die langen Pullover habe ich schon satt. Ich mache mich auf meinen Weg in das Klassenzimmer, der zu meinem Pech im zweiten Stockwerk ist. Zum Glück wechseln die Zimmer ständig.

Als ich total erschöpft von den Treppen oben ankomme, sitzt Wren alleine da.

"Wren?"

Er hebt seinen Kopf und mein Blick fällt sofort auf seine tiefen Augenringe. Besorgt lasse ich mich neben ihn auf dem Boden nieder.

"Was ist los?"

"Ich habe kein Zuhause mehr." , lacht er.

"Was?" , ich versichere mich, dass ich mich nicht verhört habe.

"Ja. Meine Eltern und ich haben uns gestern ziemlich heftig gestritten und dann bin ich raus gegangen. Jetzt kann ich nicht mehr zurück." , erklärt er.

"Wo warst du dann die ganze Nacht?"

"Draußen. Ich bin so früh wie möglich hierher gekommen, um bisschen schlafen zu können."

Wow. Er tut mir gerade sowas von leid und am liebsten würde ich ihn in meine Arme schließen. Stattdessen lege ich meinen Arm um seine Schulter und wie als hätte er meine Gedanken gelesen, legt er seinen Kopf auf meine Schulter. Ich streiche ihm langsam über die Schulter. Rose sagt immer, man soll Menschen so behandeln, wie man selber gerne von ihnen behandelt werden will. Wir sind die einzigen im Gang und deshalb herrscht eine angenehme Stille. Paar Minuten später höre ich seinen regelmäßigen Atem, er schläft. Ich versuche so ruhig wie möglich zu bleiben, um ihn nicht zu wecken, immerhin hat er die ganze Nacht nicht geschlafen und ich weiß wie sich sowas anfühlt.

...

Es ist viertel vor acht und langsam füllt sich das Schulhaus. In diesem Gang ist glücklicherweise immer noch leer. Als ich Schritte höre, wende ich meinen Kopf zu den Treppen. Hanna und Lydia kommen.

"Was zur Hölle?" , schreit Hanna.

Ich halte meine Hand auf Wrens Ohr, damit er nicht aufsteht. Sie kommen auf mich zu und ich deute ihnen leise zu sein. Hanna stützt ihre Hände auf ihre Hüfte und tippt mit ihren Füßen auf den Boden.

"Er hat die ganze Nacht nicht geschlafen." , flüstere ich.

"Ist das dein Problem?" , mault sie zurück.

"Hanna." , ich verdrehe die Augen.

"Gut." , seufzt sie.

"Wo ist Brooke?" , frage ich.

"Sie hat heute Cheerleaderversammlung. Bald ist das nächste Spiel und sie brauchen eine neue Choreographie." , berichtet Lydia.

"Du bist doch auch in der Gruppe?" , frage ich.

"Und das ist der Grund warum ich jetzt gehe." , grinst sie.

Sie beugt sich zu mir hinunter, gibt mir ein Küsschen auf die Wange, tut dasgleiche bei Hanna auch und verschwindet leise.

"Wenigstens eine die noch halbwegs Verstand hat." , murmelt Hanna.

"Ach komm, Cheerleading ist nicht so schlimm." , grinse ich.

Ihre Antwort ist der Mittelfinger.

"Ich hol mir schnell einen Kaffee vom Automaten, du auch?" , fragt sie.

"Nein, danke."

Sie nickt und geht den Gang wieder zurück. Kurze Zeit später sind wieder laute Schritte zu hören. Ich drehe meinen Kopf und mein Blick trifft den von Harry. Er kommt mit langsamen Schritten auf uns zu und dabei wendet er seinen Blick von mir nicht ab. Ich weiß nicht Recht, ob ich ihn wegen dieser Sache von gestern ansprechen soll, da meine Erinnerungen teilweise wieder zurück sind. Soll ich? Er schmeißt laut seine Tasche auf den Boden, sodass Wren zusammen zuckt und aufsteht. Er rubbelt sich über die Augen und ich schenke Harry einen wütenden Blick. Ich weiß, dass er die Tasche mit Absicht laut fallen lassen hat. Er schaut mich genauso wütend an.

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