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Hannah bekam von Paddys Gefühlschaos nicht das Geringste mit. Sie war so von Ermias befangen, dass ihr selbst Emil nicht auffiel, der immer wieder besorgte Blicke zu Paddy hinüber warf. Paddy hingegen versuchte all das, was an Gefühlen auf ihn eindonnerte, zu verdrängen und setzte ein schiefes Lächeln auf, als die Leiterin des Geburtshauses ihn herumführte und alles erklärte. Sie war ein wenig verärgert, da sie sich sehr viel Mühe gab, aber dennoch nicht eine einzige Rückfrage von Paddy bekam. Stumm nickte Paddy, antwortete in kurzen Worten und lief der Leiterin mit schlaffen Schultern und teilnahmslos hinterher.

„Und wie findest du das Konzept und die Aufmachung?", fragte Hannah, als sie im Auto saßen und den Heimweg antraten. „Ich weiß, es ist überhaupt nicht vergleichbar mit den Geburtshäusern in Deutschland oder anders wo, aber die Ärztin macht hier einen wirklich guten Job. Wenn wir für dieses Projekt mehr Geld kriegen würden, dann könnte man vielleicht auch Hebammen richtig ausbilden oder auch Krankenschwestern einstellen, die sowohl die Säuglinge als auch die Frauen versorgen könnten. Freiwillige Ärzte wären natürlich auch von großem Vorteil." Sie betrachtete Paddy skeptisch im Rückspiegel, der stumm nickte. „Warum so gleichgültig? Hast du gerade nicht selbst miterlebt, wie wichtig so ein Ort für werdende Mütter sein kann? Vor allem, wenn sie einfach wie ein Stück Dreck in der Wüste liegen gelassen werden? Hat es dir die Sprache verschlagen?" Paddy strich sich mit beiden Händen über das Gesicht. ‚Kannst du mich gerade nicht einfach mal in Ruhe lassen', dachte er. Wieder zwang er sich zu einem Lächeln. „Das Projekt sollte auf jeden Fall in irgendeiner Form unterstützt werden." „Hannah, vielleicht lassen wir erstmal alles ein bisschen sacken. Der Tag war anstrengend genug.", mischte sich Emil ein und drehte sich vielsagend zu Paddy um, der kaum bemerkbar dankend nickte. „Na schön, wie ihr wollt. Dann besprechen wir das heute Abend beim Essen. Ich bin echt froh, dass Yeshi alles so gut überstanden hat und der Kleine ist ja so niedlich. Wie seiner Mutter aus dem Gesicht geschnitten." Hannah schwärmte weiter laut vor sich hin und unterhielt sich angeregt mit Emil, während Paddy gedankenverloren aus dem Fenster schaute und grübelte und schließlich traumlos einschlief.

Es dämmerte schon, als die drei ihr Quartier erreichten und schon ungeduldig von Tulu erwartet wurden. Ganz außer sich ging er mit schnellen Schritten auf Hannah zu und bombardierte sie mit Fragen, die Hannah zum Glück mit einem positiven Ausgang beantworten konnte. „Gott sei Dank, ist alles gut gegangen", schrie Tulu fast erleichtert und streckte die Arme zum Himmel empor als wolle er einer höheren Macht danken. Tulu war sonst die Ruhe in Person. Dass es seiner Kollegin gut ging, brachte ihn jedoch aus der Fassung.

 Emil stieg aus dem Wagen und machte sich am Gepäck zu schaffen. „Was ist mit Paddy? Wollen wir ihn wecken?", fragte er. Hannah überlegte kurz. „Lass uns erstmal das Auto ausladen. Vermutlich wird er davon eh nicht wach." Mit Tulus Hilfe war das Auto sehr schnell ausgeladen und wie Hannah richtig prophezeit hatte, schlief Paddy weiterhin tief und fest. Während sie ihn weiter schlafen ließen, machten Hannah und Emil sich ans Werk, machten ein Lagerfeuer und bereiteten das Essen vor. Hannah summte vor sich hin und knetete den Brotteig, während Emil ein wenig Gemüse klein schnitt. Hin und wieder schaute Emil besorgt zu seinem Wagen, in dem Paddy keine Anstalten machte, wach zu werden. Dieses Mal bemerkte Hannah jedoch die besorgten Blicke von ihrem besten Freund. „Was ist denn los?", fragte sie und musterte Emil skeptisch. „Du denkst doch über irgendetwas nach." Emil wendete den Blick vom Geländewagen ab und schaute Hannah eindringlich an, als würde er genau abwägen, was er ihr erzählen konnte und was nicht. „Ok, was ist los? Du überlegst mir zu lange für eine einfache Antwort." „Tja...ja so leicht ist die Antwort auch gerade nicht.", lächelte Emil schief, während in Hannahs Gesicht nun eine tiefe Sorgenfalte zum Vorschein kam. Sie kniff die Augen zusammen. „Ist was mit Paddy?", fragte sie. „Er war gestern Abend schon sehr ruhig, findest du nicht?" „Kann gut sein." „Sag mal, du weißt doch da mehr. Was ist mit Paddy?" Emil holte tief Luft, ehe er antwortete. „Ich glaube, die Reise ist besonders heute nicht gerade leicht für ihn. Vielleicht fragst du ihn einfach selbst, ok? Ich möchte mich da ungern einmischen." Hannah rollte mit den Augen, nickte stumm und knetete weiter den Teig. Sie wusste, auch wenn sie Emil weiter mit Fragen durchlöcherte, er nichts von dem Preis gab, was er über Paddy wusste.

Als das Essen fertig war, schlief Paddy immer noch. Hannah war innerlich unruhig, überlegte, ob sie Paddy ansprechen sollte oder nicht. Als Emil sich schließlich erhob, um Paddy zum Essen zu holen, hielt Hannah ihn an seinem Ärmel fest. „Warte, ich mach das.", sagte sie bestimmt, stand auf und ging mit leicht zittrigen Knien zum Geländewagen.

Sie zögerte, ehe sie ihre Hand auf den Türgriff legte und die Autotür öffnete. Paddy lehnte mit seinem Kopf am Fenster, die Arme verschränkt vor seinem Bauch. Selbst im Schlaf lagen tiefe Sorgenfalten über seinem Gesicht. Hannah beobachtete Paddy ein wenig, ehe sie merkte, dass der Augenblick des Beobachtens ein wenig zu lange dauerte, setzte sich zu ihm auf den Rücksitz und stieß Paddy sanft an der Schulter an. „Paddy, wach auf. Es gibt Abendessen.", flüsterte sie schon fast. Sie rüttelte ein wenig stärker an seiner Schulter als er von ihrem Geflüster nicht wach wurde. „Paddy! Aufwachen." Paddy schreckte unsanft hoch und wusste einen Augenblick nicht, wo er sich befand. Als er jedoch feststellte, wo er war, rieb er sich die Augen. „Wie lange hab ich geschlafen?", fragte er. Hannah zuckte mit den Schultern. „Eine ganze Weile, denke ich. Emil und ich haben das Essen fertig. Kommst du?" Paddy versuchte wach zu werden und streckte alle Gliedmaßen einmal durch, ehe er aus dem Auto ausstieg. „Wenn ich ehrlich bin, habe ich keinen Hunger und würde lieber ins Bett gehen", antwortete er Hannah, ohne sie direkt anzuschauen. Er ließ den Tag im Schnelldurchlauf Revue passieren und schämte sich für die mehreren Gefühlsausbrüche, auch wenn Hannah von alldem nichts mitbekommen hatte. „Ist alles in Ordnung?", fragte Hannah. „Ja...ja, alles gut.", zögerte Paddy. Hannah kannte ihn nun lange genug und wusste, dass offensichtlich nicht alles in bester Ordnung war.

Hannah konnte sich auf die Schnelle keinen Reim darauf machen, was Paddy so bedrückte. Widerwillig versuchte sie die richtigen Worte für ihre Vermutung zu finden. „Hör mal, es sind ja nur noch ein paar Tage, dann siehst du Maike ja wieder. Ich kann verstehen, dass sie dir fehlt...", „Hannah...nein...so ist das nicht.", stotterte Paddy, völlig überrumpelt von Hannahs Aussage. „Nein, das ist schon ok. Es muss schwer sein von ihr getrennt zu sein, jetzt wo ihr tagtäglich aufeinander hockt." Hannah atmete einmal tief durch. „Das wird schon wieder, ok?" Sie versuchte Paddy aufmunternd zuzulächeln. „Und nun iss wenigstens eine Kleinigkeit mit uns, danach kannst du dich von mir aus auch in der Hütte verkriechen und ein Bild von Maike anstarren." „Hannah ich..." „Keine Widerworte, komm schon." Hannah ging voraus, während Paddy nichts anderes übrig blieb als ihr zu folgen und sie in den Glauben zu lassen, dass er wegen seiner Freundin Liebeskummer und Heimweh hatte.

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Es hat seeeehr lange gedauert, aber jetzt ist endlich mal wieder ein neues Kapitel online. Ich hoffe, ihr lest es trotzdem noch. Ich hoffe, dass ich es schaffe, jetzt regelmäßiger ein Kapitel online zu stellen. Ich will die Geschichte nicht ohne Ende dastehen lassen.... Viel Spaß beim lesen!


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