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Einige Tage später hat Hannah sich selbst dazu gezwungen Emil zu antworten, allerdings ging sie nicht im Detail auf seine Mail ein. Stattdessen schrieb sie viel mehr von ihrem neuen Alltag. Über die Zeit lebte sich Hannah in ihrer neuen Wahlheimat München ein. In ihrem Job hatte sie viel zu tun, lernte jedoch viele neue Freunde auf ihrer Arbeit kennen, mit denen sie sich gut verstand. So lernte sie auch Mareike kennen, mit der sie sich ein Büro teilte. Mareike war vier Jahre jünger als Hannah und war zuvor als Entwicklungshelferin in Bolivien tätig. Hannah bewunderte die kleine zierliche Blondine, die für ihr Alter sehr reif und abgeklärt wirkte. Ihre ruhige Art erinnerte sie oft an Kira. „Was lässt dich denn so grinsen?", fragte Hannah, als ein leises „pling" Mareikes Aufmerksamkeit auf ihr Handy lenkte und sie freudestrahlend anfing eine Nachricht zu tippen. Mareike zuckte mit den Schultern, strahlte aber immer noch über das ganze Gesicht. „Ich habe dir doch von der Geburtstagsfeier meiner Schwester erzählt." Hannah nickte eifrig und rückte ein Stück näher zu Mareike. „Jedenfalls habe ich da so einen Typen kennen gelernt, ein Freund von einem Freund meiner Schwester. Wir haben uns gut unterhalten und waren irgendwie gleich auf einer Wellenlänge. Wir haben Nummern ausgetauscht und jetzt schreiben wir ein bisschen hin und her." Mit flinken Fingern tippte sie die Nachricht zu Ende und stellte ihr Handy stumm. „Ich will mir keine Hoffnungen machen, aber es ist mal eine schöne Ablenkung", gestand Mareike, „Außerdem ist es auch mal ganz schön aus dem Büro rauszukommen." Hannah nickte zustimmend und pustete Luft in ihre Wangen, als sie den Aktenstapel begutachtete. „Weißt du, ich hätte nie gedacht, dass hinter einer ehrenamtlichen Arbeit so viel Papierkram dahinter steckt." Eine Weile arbeiteten sie konzentriert nebeneinander her. Hin und wieder wurde die Stille durch das Surren von Mareikes Handy gestört, gefolgt von leisen Tastentönen, doch das störte Hannah nicht weiter. „Meinst du, ich kann heute ein bisschen früher gehen?", fragte Mareike schließlich. Hannah sah von ihrer Arbeit auf. „Hat das zufällig etwas mit deiner Bekanntschaft zu tun?" „Vielleicht..?" Ihr Blick ruhte einen kurzen Augenblick auf Mareike. Schließlich wurden ihre Gesichtszüge weicher und lächelte. „Los, mach, dass du weg kommst. Ich habe dann aber etwas gut bei dir!" Mareike strahlte und bedankte sich überschwänglich bei Hannah. „Das hast du auf jeden Fall. Danke, danke, danke!"

Nachdem Mareike aus der Tür raus war, bereute Hannah auch schon, dass sie ihr erlaubt hatte früher zu gehen. Die Arbeit machte sich nicht von alleine. Auf der anderen Seite wartete jedoch auch niemand zu Hause auf sie, so dass sie kein Problem damit hatte, Überstunden zu machen. Bis weit nach 19 Uhr saß Hannah an ihrem Schreibtisch und rieb sich die Augen, als das Telefon klingelte und sie sich erschrocken aufsetzte. „Münch?" „Ich wusste doch, wenn ich dich nicht zu Hause und auch nicht auf dem Handy erwische, dann im Büro.", ertönte eine bekannte Stimme auf der anderen Seite der Leitung. „Hey Leon, du kennst mich einfach zu gut.", erwiderte Hannah erschöpft. „Viel zu tun?" „Kann man so sagen. Ich arbeite heute quasi alleine. Mareike hat mich gefragt, ob sie früher gehen darf und jetzt hänge ich hier vor der ganzen Arbeit. Es ist aber ok. Wie geht es dir?" Leon erzählte, wie es in seinem Projekt lief und grüßte sie auch von Emil und ihrem Vater. „Sag mal, kannst du mir einen Gefallen tun?", fragte er. „Klar, schieß los." „Hast du vielleicht private Kontaktdaten von Patrick?" „Von wem?" „Na von deinem Bekannten, der für die Caritas bei uns in Äthiopien war?" Hannah versteifte sich. Ihr Puls wurde unwillkürlich schneller. „Ehm, wozu brauchst du die denn? Ich müsste mal schauen, wo ich die habe." „Die Caritas wollte sich bei uns wegen einer möglichen Kooperation melden, hat es bis dato aber noch nicht gemacht. Arthur wird langsam ungeduldig. Du kennst ihn ja. Ihm dauert das zu lange. Wenn wir über Patrick an die Caritas kommen und nicht den offiziellen Weg gehen müssen, dann geht das vielleicht schneller. Könntest du vielleicht mal mit Patrick in Kontakt treten?" Hannah seufzte und zögerte. Ihr Inneres weigerte sich strikt dagegen. „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee wäre, Leon. Ich würde an eurer Stelle den offiziellen Weg..." „Das ist doch bestimmt kein Problem für dich. Ihr kennt euch doch persönlich. Das kriegst du bestimmt hin." Noch bevor Hannah überhaupt antworten konnte, unterbrach sie Leon. „Danke, du bist echt ein Schatz. Du, ich muss Schluss machen, ich treffe mich gleich mit Klaus und Arthur. Soll ich ihnen noch etwas ausrichten?" „Nein, brauchst du nicht. Bis dann." Hannah wartete Leons Antwort nicht ab, so wütend war sie. Immer und immer wieder hasste sie es, wenn Leon ihr Entscheidungen abnahm und manche Dinge als selbstverständlich ansah. Widerwillig nahm sie ihr Handy und wählte Paddys Nummer, um nach einiger Zeit erleichtert aufzulegen, weil er den Anruf nicht annahm. Daraufhin öffnete sie ihr E-Mail Programm und schrieb ihm eine Nachricht.

Betreff: Hi

Hey Paddy,

lange nichts von dir gehört. Wie geht es dir? Hast du vielleicht die Tage mal Zeit für ein Treffen? Ich würde mich freuen. Meld dich mal. Du hast ja meine Nummer.

Liebe Grüße

Hannah

Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis Hannah die richtigen Worte gefunden hatte. Zuerst schrieb sie eine formelle E-Mail, in der sie ihr Anliegen schilderte, doch sie fand, dass es zu aufgesetzt klang. Sie war der Meinung, dass Paddy auf eine zwanglose Mail nicht antworten würde, was sie insgeheim hoffte. Nachdem Hannah die E-Mail versendete, beschloss sie ebenfalls Feierabend zu machen. Sie war so fertig, dass sie nur noch duschen und ins Bett gehen wollte.

Was wäre wenn?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt