24

355 24 6
                                    


Der Regen wurde langsam stärker, so dass Hannah bei der Fahrt kaum etwas sehen konnte, auch wenn die Scheibenwischer auf Hochtouren liefen. Dennoch gab sie Gas. Der Himmel verfärbte sich dunkelblau, hin und wieder blitze es auf. Je länger sie fuhren, desto matschiger wurde der Weg. Als Hannah und Paddy im Dorf ankamen, stand das Wasser bereits auf den Straßen. Sie gaben nochmal ordentlich Gas, doch der Geländewagen blieb auf einem matschigen Weg liegen. „Scheiße, scheiße, scheiße", fluchte Hannah, legte den Rückwärtsgang ein und versuchte so den Wagen aus dem Matsch zu befreien. „Das Scheißding hat doch Allradantrieb, warum zur Hölle bleibt das Ding dann stecken?" Sie versuchte es mit dem ersten Gang, doch auch das blieb erfolglos. „Wie weit ist es jetzt noch?", fragte Paddy und versuchte sich ein Bild von seiner Umgebung zu machen. „Vielleicht ein Kilometer oder so. Vielleicht weniger." „Los, komm." Paddy öffnete die Tür, während Hannah ihn entsetzt anstarrte. „Was hast du vor?" „Wir bekommen den Wagen nicht ohne Hilfe aus dem Matsch. Du kennst doch den Weg oder nicht?" Hannah nickte langsam. „Ja, schon. Aber das ist Wahnsinn." „Nun mach schon, oder haben wir eine andere Wahl?" Ohne weiter darüber nachzudenken, glitt Hannah vom Fahrersitz und zeigte mit dem Finger in eine Richtung. "Da lang." Binnen weniger Meter waren Hannah und Paddy bis auf die Knochen durchnässt, doch sie rannten weiter bis sie außer Atem bei den Ziegen ankamen, die zusammengekauert unter dem Sonnensegel Schutz suchten. Es donnerte so heftig auf, dass sich nicht nur die Ziegen, sondern auch Hannah erschrak. „Los, versuch die großen Zwei in den Stall zu führen, ich schnapp mit die Kleinen.", schrie Paddy über den Donner hinweg. Hannah verstand ihn dennoch und zerrte die angsterfüllten Tiere in den Stall. Paddy hingegen schnappte sich die Jungtiere, packte sich jeweils eines links und rechts unter den Arm, folgte Hannah in den Stall und zog die Tür hinter sich zu. „Das wäre geschafft." „Und was jetzt?" Paddy sah verstohlen raus. „Wir sitzen hier wohl erstmal eine Weile fest.", sagte Hannah und bekam donnernde Zustimmung vom Gewitter. Seufzend ließ sie sich auf einem Strohballen nieder und drückte ihre Haare aus, während Paddy weit weg von ihr stand und sie musterte. Ihr enganliegenden T-Shirt war komplett durchnässt, so dass ihr BH durchschimmerte, ihre kurzen Cargoshorts klebten an ihren Oberschenkeln, auf denen sich eine zarte Gänsehaut abzeichnete. Als ob Hannah ständig von einem Gewitter überrascht wird, machte sie sich gelassen einen lockeren Dutt und zog ihre Schuhe aus, in denen das Wasser förmlich stand. Anschließend ging sie zu einem alten Gebilde herüber, das früher vermutlich eine Art Vitrine war, und holte zwei schäbige Leinentücher hervor. „Hier, damit kannst du dich ein wenig abtrocknen. Ist zwar nicht das Beste, aber besser als hier weiter vor Kälte zu bibbern." Dankend nahm Paddy eines der Tücher entgegen und ging sich damit durch die kurzen Haare. Hannah trocknete sich ihre Beine und Füße ab, danach fing sie jedoch an zu zögern. Am liebsten hätte sie sich ihr nasses Shirt ausgezogen, es ausgewrungen und sich das Tuch um geschnürt. Wenn sie nicht zusammen mit Paddy hier festsitzen würde, hätte sie es vermutlich auch getan, doch allein der Gedanke daran war ihr schon zu viel, so dass sie sich das Tuch über die Schultern warf. Paddy tat es ihr gleich. Beide schwiegen und lauschten dem Regen. „Wie lange dauert hier so ein Gewitter?", fragte Paddy und spielte mit einem Strohhalm. „Puh gute Frage. Einige Stunden, mal mehr mal weniger." Wieder herrschte eine peinliche Stille. Hannah fühlte sich unwohl und auch Paddy war alles andere als entspannt, ehe er anfing ungläubig zu lachen. „Das ist doch echt absurd." Hannah sah ihn fragend an. „Wir kennen uns so lange, haben uns ewig nicht mehr gesehen und dann treffen wir uns nichtsahnend in Afrika, sitzen in einem Ziegenstall fest, während draußen das Gewitter tobt und schweigen uns an." Hannah lächelte schwach zu Paddy rüber. „Ja, das ist es wirklich." „Hättest du jemals gedacht, dass wir uns hier wiedersehen?" „Nein, du etwa? Um ehrlich zu sein, habe ich gedacht, ich sehe dich so schnell gar nicht wieder." Paddy lachte sarkastisch. „So schnell? Ja da hast du recht; neun Jahre ist auch eine echt kurze Zeitspanne." „Wirfst du mir etwa gerade vor, dass ich daran schuld bin, dass wir uns so lange nicht gesehen haben? Du bist doch ins Kloster gegangen.", antwortete Hannah zickig. „Ja und du mir aus dem Weg"; erwiderte Paddy, ehe seine Stimme sanfter wurde. „Warum fangen wir wegen so etwas eigentlich einen Streit an?" Hannah zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich bin mit dem hier einfach überfordert. Als Maite mir erzählte, dass du für immer im Kloster bleiben willst, habe ich fest damit gerechnet, dich, wenn überhaupt, in einem Kloster zu treffen und nicht hier." „Glaub mir, ich finde es auch nicht gerade...einfach, aber vielleicht machen wir einfach das beste draus?" Vorsichtig ging Paddy zu Hannah rüber und setzte sich näher zu ihr heran. Als Hannah nicht auf seine Frage antwortete, startete er einen letzten verzweifelten Versuch. „Komm, erzähl. Was hast du so getrieben? Neun Jahre sind echt eine lange Zeit. Hast du dein Studium zu Ende gebracht?" Hannah nickte. „Natürlich habe ich das." „Und danach bist du hier gelandet? Ich habe echt gedacht, dass du vielleicht mal eine eigene Praxis oder so eröffnest.", sagte Paddy und lächelte verlegen, froh darüber, dass Hannah auf seine Fragerei einging. „Ich? Oh nein, dafür hätte ich noch eine Ausbildung machen müssen. Ich analysiere lieber. Emil wäre der perfekte Psychotherapeut, wenn du mich fragst." „Ach dein...Kollege?" Paddy zögerte eine Weile, um die passende Beschreibung für Emil zu finden. "Ihr habt euch im Studium kennen gelernt?" „Ja, genau. Wir haben zusammen studiert und sind auch gemeinsam vor anderthalb Jahren hergekommen, um meinem Vater zu helfen." „Oh, verstehe. Und davor warst du die ganze Zeit in Köln?" Hannah nickte. „Ja, ich bin irgendwie nie aus Köln rausgekommen. Ich habe doch da alles." Paddy lächelte. „Und trotzdem bist du hier." „Ach, ich brauchte einfach mal etwas Neues. Das kennst du doch sicher auch, oder?" „Machst du Witze? Ich kenne das nur zu genüge." Langsam brach das Eis zwischen den beiden und sie unterhielten sich prächtig. „Wirklich? Sandra ist verheiratet und Mutter?", fragte Paddy unglaubwürdig. „Oh ja. Kaum zu glauben, dass sie mal so ein richtiger Spießer sein wird mit Haus, Garten und allen drum und dran. Caro, also die Tochter von Sandra, ist mein Patenkind. Du musst sie mal kennen lernen. Die ist so bezaubernd." Hannah stockte, als sie begriff, was sie da gerade gesagt hatte und errötete leicht. „Also ich...ich meine..." „Schon, ok.", sagte Paddy gezwungen gelassen. „Aber du scheinst ja auch einen guten Draht zu meinen Nichten zu haben.", versuchte Paddy das Thema in eine andere Richtung zu lenken. „Welche deiner vielen Nichten meinst du?" Hannah fing an zu lachen, in das Paddy mit einstimmte. „Ich meine natürlich Agnes und Josephine." „Ja, die sind auch zuckersüß die beiden." „Als sie mich letztes Jahr mit Maite und Florent im Winter besucht haben, hat Agnes mir freudestrahlend erzählt, wie sie mit dir Murmeltiere gemalt hat." Hannahs Magengrube zog sich zusammen. Allein wie Paddy ihren alten Kosenamen in einem alltäglichen Satz benutzte, verwirrte sie. Dennoch versuchte sie ihre Haltung zu wahren und lächelte. „Mir ist auf die schnelle einfach kein anderes Tier eingefallen und Agnes gab sich einfach mit keinen meiner Häuser oder Bäume zufrieden und bevor sie alles zusammenschreien konnte, habe ich eben Murmeltiere gemalt. Oder besser gesagt, versucht zu malen." Paddy grinste. „Ach, ich finde, die Murmeltiere waren ganz gut getroffen. Jedenfalls konnte Agnes die super malen." Sie lachten beide und bemerkten nicht, wie sich das Gewitter legte und die Sonne die dunkle Wolkendecke aufbrach.

Was wäre wenn?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt