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Nach dem Abendessen gingen alle zurück zum Hotel. Zu Hannahs Erstaunen musste sie feststellen, dass Leon ebenfalls in ihrem Hotel ein Zimmer hatte. „Na das ist ja ein Zufall. Dann können wir morgen alle zusammen frühstücken." Hannah nickte ihm aufmunternd zu. „Sehr gerne. Du bist an unserem Frühstückstisch immer willkommen." Sie wünschten sich alle gegenseitig eine gute Nacht und verschwanden schlussendlich in ihren Zimmern. Hannah atmete tief durch. Der Tag war doch ziemlich anstrengend, so dass sie beschloss zum Abschluss des Tages eine heiße Dusche zu nehmen. Unter der Dusche dachte sie noch lange über Emils Worte nach. War das Ewige Gelübde von Paddy für sie ebenfalls ein neuer Abschnitt in ihrem Leben und gleichzeitig das zu Grabe tragen ihrer Vergangenheit? Im Inneren wusste sie, dass Emil in gewisser Weise recht hatte, doch konnte sie nun endgültig loslassen? Als Hannah im Bett lag, kreisten ihre Gedanken immer wieder um das eine Thema. Sie wälzte sich im Bett hin und her und fand einfach nicht in den Schlaf. Schließlich gab sie es endgültig auf und setzte sich an einen kleinen Schreibtisch, der vor ihrem Hotelzimmerfenster stand. Eine Weile saß sie im Dunkeln vor dem Fenster und starrte in die Nacht hinein, ehe sie die Schreibtischlampe anknipste und ihr Gesicht in den Händen vergrub. „Das ist doch alles total verrückt", nuschelte sie und nahm sich aus der Schublade Briefpapier und schrieb sich alles, was ihr in den Kopf kam, von der Seele.

„Mein lieber Paddy,

Lieber Paddy,

„Paddy,

Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist oder was ich mir überhaupt dabei denke, dir zu schreiben. Es ist mitten in der Nacht und ich sitze hier bei einem schwachen Licht an einem klapprigen Schreibtisch in Afrika, weit weg von Frankreich und noch viel weiter weg von Burgund und von dir. Warum ich hier bin? In erster Linie, um Menschen meine Hilfe anbieten zu können. Der wahre Grund ist wohl doch egoistischer als man denken mag. Als ich bei Maites Benefizkonzert war und sie ihr Lied für dich gesungen hat, habe ich den Entschluss gefasst nach Äthiopien zu gehen. Ich konnte es nicht ertragen Maite zu sehen, wie sie um ihren „verlorenen" Bruder weint. Und ich kann so gut nachvollziehen, wie sie sich in diesem Moment gefühlt haben muss. In gewisser Weise habe ich dich ja auch verloren. Ich weiß, dass ich die letzten Monate, die wir zusammen waren, nicht einfach war. Ich war nach der Fehlgeburt am Boden zerstört. Wenn ich heute daran denke, schmerzt es immer noch. Ich möchte nie wieder so etwas Verletzendes durchmachen müssen. Ich weiß, dass es dir damals genauso schlecht ging und ich bin immer noch der Meinung, dass unsere Trennung damals einen Sinn hatte, doch ich kann mir nicht erklären, warum wir nie wieder richtig zusammen gekommen sind – im freundschaftlichen Sinne. Ich finde es mittlerweile nicht mehr so schlimm, dass ich dich als festen Freund verloren habe oder besser gesagt dich habe gehen lassen. Viel schlimmer finde ich den Gedanken meinen besten Freund verloren zu haben, mit dem ich im Regen tanzen, über alles reden, lachen, Spaß haben konnte. Warum wird mir das alles erst jetzt richtig klar? Ich denke, es war mir schon viel früher bewusst. Warum habe ich nicht einfach wieder den Kontakt zu dir gesucht? Vielleicht aus Scham davor, was zwischen uns war oder eher aus Angst, dass du nicht dasselbe empfinden könntest und mich abweisen würdest? Ich weiß es nicht. Vielleicht war es auch einfach meine störrische Art, die mich davon abhielt mich bei dir zu melden. Mit der Zeit war es einfach einfacher alles, was mit dir zutun hatte, zu verdrängen. Es war einfach Maite darum zu bitten, nichts über mich zu erzählen, genauso wie es einfach war, Maite nicht nach dir zu fragen. Weißt du noch, als wir uns das letzte Mal gesehen haben? Maite erzählte mir, dass du in Begleitung kommen würdest und was mache ich? In meinen Gedanken wurde ein Wettkampf draus und ich bettelte Emil an, mich zu begleiten, weil ich nicht alleine dastehen wollte. Ich weiß noch ganz genau, wie du mich gefragt hast, ob ich glücklich wäre. Natürlich war ich es nicht. Jedenfalls nicht zu 100 Prozent. Sicher überwindet man mit der Zeit den einen oder anderen Schmerz, aber diese Lücke, die du hinter lassen hast, kam in mir auf, so dass ich nicht wirklich glücklich war. Und ich sagte natürlich, dass ich glücklich bin – aus Selbstschutz – wahrscheinlich eher vor mir selbst als vor dir. Ich hätte damals schon sagen sollen, dass du mir fehlst. Wer weiß, vielleicht hast du ja genauso gefühlt und wir hätten die schwere Zeit gemeinsam durchstehen können. Doch mein eigener Drang zum Selbstschutz wurde immer größer. Ich ließ dich einfach so ins Kloster gehen, ohne dir zu sagen, was ich fühle oder empfinde, geschweige denn, was ich davon halte. Versteh das nicht falsch. Ich wäre die letzte gewesen, die dich von deinen Plänen abgehalten hätte. Im Gegenteil. Ich hätte dich durchaus unterstützt. Ich frage mich nur, was gewesen wäre, wenn du, wie früher, mir deine Sorgen mitgeteilt hättest, wenn wir darüber gesprochen hätten, wie es wäre, wenn du ins Kloster gehst. So habe ich, natürlich durch meine eigene Schuld, nur erfahren, dass du ins Kloster gegangen bist, genauso wie ich so erfuhr, dass du für immer da bleiben willst. Es sind so viele Jahre vergangen und ich weiß nicht, warum mich diese Nachricht immer noch so tief treffen konnte. Ich freue mich, dass du deinen Weg und deine Berufung gefunden hast. Ich wünschte mir nur, dass ich dich auf diesen Weg hätte begleiten können, aber nein Frau Münch war zu sehr mit sich selbst beschäftigt und zu stur, um über ihren eigenen Schatten zu springen und wieder Kontakt mit dir aufzunehmen. Es ist doch verrückt, was die Zeit alles mit einem macht und was einem die Zeit gleichzeitig bringt.

Vor 17 Jahren saß ich als naives kleines Mädchen mit Kathy in der Küche und strahlte über das ganze Gesicht, als ich ihr sagte, dass ich auch einmal heiraten und Kinder haben möchte. Jahre später hätte ich mir das so gut vorstellen können – mit dir an meiner Seite. Auch, wenn ich damals nicht dafür bereit war, doch der Gedanke war da. Ich kann mich noch ganz genau an unsere gemeinsame Zeit in Irland erinnern und an den kleinen Jungen, der uns am Strand entgegen kam. Was würde ich dafür tun, um das nochmal mit dir erleben zu können, vielleicht genau diese Szene, nur das wir die Eltern wären. Und jetzt sieh mich an. Ich, die damals noch von einer eigenen Familie träumte, hat Angst vor Beziehungen, die einen ernsten Weg einschlagen, während alle um mich herum heiraten und Kinder kriegen. Selbst Sandra ist sesshaft geworden. Ich gönne jeden einzelnen ihr Glück und liebe ihre Kinder über alles, doch auch hier nimmt die Angst vor einer Wiederholung, von dem, was ich...was wir erfahren mussten, die Überhand.

Emil sagte, ich soll deine Entscheidung als eine Art Schlussstrich sehen. Ich hoffe, nein ich weiß, dass es dir mit dieser Entscheidung gut gehen wird, sonst würdest du sie nicht treffen. Vor allem bin ich mir sicher, dass Maite auf dich aufpasst und sie dir schon sagen wird, wenn du einen falschen Weg einschlagen würdest. Weißt du, ich sehe deine Entscheidung nicht als Schlussstrich, sondern eher als neue Inspiration und für einen Neuanfang in meinem verkorksten Leben, in dem viel zu viele Ängste und Starrsinn die Überhand gewonnen haben. Ich versuche wieder richtig glücklich und für alles offen zu sein. Wer weiß schon, was einem die Zukunft bringt. Ich werde mich nicht mehr dagegen sträuben und alles auf mich zukommen lassen. Paddy, ich will, dass du weißt, dass ich dich auch nach all den Jahren nicht vergessen habe und liebe, auch wenn es wahrscheinlich so aussieht, als wärst du mir gleichgültig. Es hat Jahre gedauert, bis ich Maite recht gab und ich eingesehen habe, dass zwischen uns mehr als nur Freundschaft war. Wie es jetzt auch Jahre gedauert hat, mir selbst einzugestehen, dass es das dümmste auf der Welt war, zu versuchen dich aus meinem Leben zu verdrängen. Wie sagt man so schön? Zeit heilt alle Wunden. So wie es aussieht, ist da auch etwas dran. Auch wenn es schwierig sein wird, ich werde versuchen mich zu bessern und wer weiß, vielleicht sehen wir uns doch eines Tages mal wieder und können über die alten Zeiten lachen.

Es tut gut, einfach mal alles loszuwerden, was einem gerade im Kopf herumschwirrt. Ich glaube dieses ganz Wirrwarr an Worten macht auch überhaupt keinen Sinn. Ich will, dass du glücklich bist und ich versuche es ab sofort auch...also ich versuche es richtig.

In Liebe, Hannah"

Es fiel Hannah nicht leicht diese Worte zu schreiben. Ständig hielt sie inne und wischte sich über ihre verweinten Augen. Auch, wenn die vielen Erinnerungen schmerzten, so war es auch ein befreiendes Gefühl mit diesem Brief einen Schlussstrich zu ziehen. Sie wusste, dass es so gesehen kein richtiger Abschluss war. Dafür hätte Hannah mit Paddy von Angesicht zu Angesicht sprechen oder zumindest den Brief abschicken müssen. Aber allein der Gedanke, dass sie mit ihrer selbst nun im Reinen war, befreite Hannah ungemein.

Was wäre wenn?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt