42

259 16 0
                                    

„Fahr vorsichtig und ruf an, wenn du sicher zu Hause angekommen bist." Hannah stand vor ihrer neuen Haustür und verabschiedete sich von ihrer Mutter. Zuvor hatten sie das Nötigste für ein kleines Frühstück eingekauft und gemeinsam den Morgen verbracht, ehe Hannahs Mutter mit dem Transporter wieder zurück nach Köln fuhr. „Mach ich, Liebes. Pass gut auf dich auf." Hannah beobachtete ihre Mutter, wie sie in den Wagen stieg und den Motor startete. Lange sah sie noch dem Transporter hinterher. Da stand sie nun, mitten auf der Straße, in der ein neues Kapitel ihres Lebens beginnen sollte. Der strahlendblaue Himmel ließ darauf schließen, dass es ein warmer Tag werden würde. So atmete Hannah einmal tief durch und schloss die Augen, um den Moment der Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht zu genießen, ehe sie in ihrer neuen Wohnung verschwand. Mit voller Motivation machte sie sich an die Kartons und räumte sämtliche Regale und Schränke ein, sortierte ihre Kleidung und faltete die leeren Umzugskartons zusammen, die sie später im Keller verstauen wollte. Als Hannah völlig verschwitzt in der Küche stand, klingelte ihr Handy. Dabei fiel ihr auf, dass sie schon einige Anrufe mit einer ausländischen Nummer verpasst hatte. Als sie die Telefonvorwahl aus Äthiopien erkannte, machte ihr Herz einen Hüpfer und ging mit einer zu hohen Stimme an ihr Telefon. „Hallo?" „Guten Tag, mein Name ist Leon Hübner, kann ich bitte mit Hannah ‚Libi' Münch sprechen?", witzelte Leon am anderen Ende der Leitung. „Leon! Das ist doch schweineteuer. Wie geht es dir? Wie laufen die Projekte und wie geht es den anderen?" Leon fing an zu lachen und freute sich, Hannahs freudige Stimme zu hören. „Ich wollte dich heute unbedingt mal hören, das Geld ist mir doch egal. Mir geht es gut. Ich bin gerade viel mit Arthur unterwegs und gerade in Addis Abeba. Projekte gehen gut voran, den anderen geht es gut. Ich soll dich ganz lieb von Yeshi und Tulu grüßen und natürlich auch von Emil. Wie geht es dir? Ist der Umzug gut überstanden?" Allein Leons Stimme zu hören zauberte Hannah ein Lächeln ins Gesicht. „Ja der Umzug ist weitestgehend geschafft. Ich räume gerade die restlichen Kartons aus." Sie redeten noch eine Weile und tauschten die neusten Informationen aus. „Leon, ich vermisse dich ganz doll. Wann kann denn Äthiopien auf dich verzichten?" „Da habe ich auch gute Neuigkeiten", erwiderte Leon und machte eine lange Pause, um die Spannung auf den Höhepunkt zu tragen. „Nächsten Monat bin ich für vier Wochen in Deutschland. Zwei Wochen habe ich frei. Die anderen zwei Wochen bin ich in der UN-Zentrale in München. Vielleicht kannst du mir da weiterhelfen. Ich bräuchte eine Schlafgelegenheit. Also ich könnte natürlich auch ein Hotel für die Zeit buchen..." „Das kommt gar nicht in Frage, du wohnst in der Zeit natürlich bei mir!", sagte Hannah gespielt empört, „Was ist das denn für eine Frage!"

Nach dem Gespräch mit Leon fühlte sich Hannah voller Elan und tänzelte zu Radiomusik durch die Wohnung. Da sie die wichtigsten Dinge ausgeräumt hatte, machte sie sich eine To-do-Liste, für all die kleinen Aufgaben, die sie den Rest der Woche abarbeiten wollte, dazu gehörten unter anderem Strom anmelden, ummelden und vor allem sich einen geeigneten Internetanbieter zu suchen. Anschließend machte sie sich für das geplante Essen mit Joey und Paddy fertig. Ihr Magen knurrte nämlich schon vor Hunger. Joey meldete sich auch wenig später, so dass sie in kürzester Zeit wieder vor ihrer Haustür stand und auf die beiden wartete. Als Joey und Paddy sie abholten, begrüßte sie sie und setzte sich auf den Rücksitz. „Gut, dass ihr endlich da seid. Ich bin schon am Verhungern. Wo gehen wir denn essen?" Joey nannte Hannah ein paar Restaurants, die er kannte. Sie einigten sich auf einen Asiaten in der Innenstadt, der laut Joey ein hervorragendes Chop Suey machte. „Gut, dann gehen wir dahin. Seid ihr damit einverstanden? Paddy, was ist mir dir?" Paddy nickte gelangweilt. „Von mir aus." Hannah ignorierte seine schlechte Laune und unterhielt sich mit Joey über München. Im Restaurant angekommen bestellten sie auch gleich die Gerichte, die Joey empfehlen konnte. „Und wie waren die Wohnungen?", fragte Hannah, um die Wartezeit zu verkürzen. Dabei schaute sie direkt Paddy an, da sie von ihm hören wollte, wie es gelaufen war. Dieser redete sehr sachlich über die Wohnungsbesichtigung. „Die meisten Wohnungen waren ganz ok. Zwei waren zu klein und viel zu nah im Zentrum der Stadt gelegen. Eine hat mir sehr gut gefallen. Die war ein wenig außerhalb, nicht zu klein, nicht zu groß." „Das klingt doch super und wo ist die genau?" Paddy überlegte kurz und schaute fragend zu Joey. „Die war in Neuried, oder?" „Ach, die gefällt dir am besten? Ja, das müsste sie sein. Wenn man vom Teufel spricht. Das ist der Makler." Wie ein Geschäftsmann ging Joey an sein Handy und ging zum Telefonieren nach draußen. Peinlich berührt saßen sich Hannah und Paddy gegenüber und wussten nicht, was sie sagen sollten. „Also das klingt wirklich toll", wiederholte Hannah und nahm einen großen Schluck von ihrer Cola. „Mhh", erwiderte Paddy und spielte mit dem Zipfel der Tischdecke. „Weißt du denn, wann du umziehen willst?" Am liebsten hätte Paddy „so schnell wie möglich", gesagt, wusste aber nicht, wie das bei Hannah ankommen würde. Stattdessen antwortete er mit einem „Ich weiß nicht so genau. Kommt drauf an, was der Makler sagt." „Mhh, verstehe..." Wieder peinliches Schweigen. „Ich habe heute mit Leon telefoniert. Ihm geht es gut und er kommt mich auch bald besuchen. Wenn du dann schon hier wohnst, kannst du uns ja mal besuchen kommen." Kaum waren die Worte ausgesprochen, bereute sie es auch schon. „Ja, mal sehen. Klingt gut", kam es monoton aus Paddys Mund. „Wie läuft es denn in Asebe?" ‚Endlich kommt mal eine Gegenfrage', dachte sich Hannah und war froh, dass sie jetzt ein Thema gefunden haben, über das sie normal reden konnten. „Zeleke ist dabei einigen aus dem Dorf die Wasserleitungen zu erklären und wie man sie reinigt. So wie es aussieht hat er quasi einen Azubi." „Und wie sieht es mit den Erträgen aus?", fragte Paddy nun doch interessiert und nicht mehr so gelangweilt wie zuvor. „Mhh...Leon meinte, das ist noch sehr schleppend, aber sie haben wohl winzig kleine Paprika ernten können." Beide fachsimpelten über mögliche Lösungsansätze und waren in ihrem Gespräch vertieft, als Joey mit einem breiten Grinsen wieder hereinkam. „Alles geregelt. Der Makler schickt mir die Verträge und dann kannst du einziehen." „Das ging ja jetzt echt schnell", sagte Hannah verblüfft und auch Paddy staunte nicht schlecht. „Tja, alles Beziehungen", erwiderte Joey und lehnte sich gönnerisch zurück.

Was wäre wenn?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt