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Die nächsten Tage bei Hannah waren allesamt vollgepackt mit Arbeit. Sie war von morgens bis abends im Büro und arbeitete Stück für Stück ihre Sachen ab. Es störte sie jedoch nicht, da sie keine Arbeit wieder zurück nach Köln und in ihren Urlaub mitnehmen wollte. Die geplante Mitarbeiterbesprechung stellte Hannahs Chef zum Glück auch zufrieden. So stellte sie ihre Ergebnisse und ihre Fortschritte vor und bekam von ihren Kollegen ein positives Feedback. Als das Meeting vorbei war, nahm ihr Chef sie beiseite. „Frau Münch, ich möchte noch einmal kurz mit ihnen sprechen." „Aber natürlich, Herr Schubert, was gibt es denn?", fragte sie. „Nun ja. Es ist ja so, dass zwei unserer Mitarbeiter gerade, sagen wir mal, anderweitig beschäftigt sind. Für das Äthiopienprojekt ist die Situation mit dem Personalmangel aber alles andere als fördernd. Wir haben im Moment nur ihren Vater da unten. Ich weiß, Yeshi und Tulu und auch Zeleke machen da unten einen hervorragenden Job." Hannah ahnte, auf was ihr Chef hinaus wollte. „Sie wollen, dass ich wieder nach Äthiopien reise, richtig?", kam sie ihm zuvor. Herr Schubert druckste herum. „Nun ja. Ja, eigentlich schon. Sie kennen sich auch ein wenig mit der Brunnensituation aus. Glauben sie mir. Wenn es nicht so wichtig wäre, dann würde ich sie auch nicht fragen. „Jetzt sagen sie bitte nicht, dass ich sofort meine Koffer packen und los muss.", scherzte Hannah, doch als Herr Schubert keine Miene verzog, starrte Hannah ihren Chef verständnislos an. „Das ist nicht ihr Ernst!" „Nein, so eilig ist es nicht. Ich dachte, an Anfang nächsten Jahres." Hannah atmete auf. „Ok, mit diesem Zeitraum kann ich mich anfreunden." „Wunderbar, ich schicke Ihnen gleich sämtliche Unterlagen per Mail, die sie sich bis dahin angeschaut haben sollten." Hannah nickte und ging geradewegs in ihr Büro zurück. Kaum, dass sie ihrem Chef zugesagt hatte, bereute sie es bereits. Die Arbeit nahm einfach kein Ende. „Das heißt wohl wieder lange arbeiten.", sagte Hannah zu sich selbst und setzte sich an ihren Schreibtisch, wo die ersten E-Mails bereits eintrudelten.

Sie war dabei sämtliche E-Mails durchzugehen, als ihr Handy klingelte und sie genervt ran ging. „Hey, wo bist du denn?" „Wer ist da?" „Ernsthaft? Hier ist Paddy. Wollten wir uns nicht in deiner Mittagspause treffen?" Hannah schaute panisch auf ihren Bildschirm und erschrak, als sie für das Treffen mit Paddy schon über 30 Minuten zu spät war. „Fuck, Paddy. Tut mir leid. Ich hab total die Zeit vergessen und auch noch irre viel zu tun. Können wir das nochmal verschieben? Oh man, fuck. Tut mir wirklich, wirklich leid. Wie sieht es denn mit heute Abend aus?" „Mhh, nein da kann ich leider nicht. Da habe ich den Termin mit Joeys Immobilienfreund." „Oh verstehe. Dann....", Hannah überlegte. „Dann sehen wir uns wohl erst am Bahnhof Richtung Köln wieder, was?", beendete Paddy den Satz. „Oh man. So habe ich mir das alles aber nicht vorgestellt." Hannah entschuldigte sich immer und immer wieder „Ach, so ist das eben, wenn man einen 9-5 Job hat. Mach dir keinen Kopf. Wir sehen uns dann spätestens am Bahhof. Bis dann." Hannah plagte das schlechte Gewissen. Sie schleppte Paddy mit nach München, um dann doch nur im Büro zu hocken.

Müde und erschöpft ließ Hannah, nach etlichen E-Mails und Papierkram, ihren Kopf auf die kalte Oberfläche ihres Schreibtisches knallen. Sie arbeitete den ganzen Tag durch und bemerkte jetzt erst, mit dem Versenden der letzten Mail, dass sie weder etwas getrunken noch gegessen hatte. Sie schloss die Augen und versuchte krampfhaft nicht einzuschlafen, als es leise an ihrer Tür klopfte. Ohne sich einen Zentimeter zu rühren, rief sie „Herein." Es war spät genug, dass sie sich sicher war, dass nur noch das Reinigungspersonal ihr Unwesen trieb. „Ach, so arbeitet man heutzutage also, ja?", hörte es Hannah an ihrer Bürotür lachen, das sie aufschrecken ließ. „Keine Angst, ich verrate es auch niemanden." „Ach, Paddy.", sagte Hannah erleichtert und ließ ihren Kopf wieder auf ihren Schreibtisch sinken, „Ich dachte schon, du wärst einer meiner Kollegen." „Wow, du siehst...müde aus." „Müde, hungrig, durstig, knatschig...nenn es wie du willst." „Ok, komm. Genug gearbeitet. Los. Wir besorgen dir etwas zu essen und dann zeige ich dir etwas." „Aber ich hab hier noch...", gerade als Hannah ihren Satz beenden wollte, blinkte eine neue E-Mail auf. „Ich hab hier noch zutun"„Hannah. Es ist mittlerweile 19:23 Uhr. Du machst jetzt Feierabend. Nun komm." „Nur noch diese eine Mail." Paddy reichte ihr die Hand, zog sie aus ihrem Schreibtischstuhl und geradewegs aus dem Büro. „Nichts da. Die E-Mail kann auch noch bis morgen warten."

„Und wo geht's jetzt hin?", fragte Hannah neugierig. Paddy manövrierte sie in einen kleinen Mietwagen. „Zuerst geht es jetzt erstmal in einen drive in und dort besorgen wir dir etwas zu essen und danach geht's weiter. Nachdem Paddy ein Fast Food Restaurant anfuhr und für Hannah etwas zu Essen und zu Trinken besorgte, fühlte sich Hannah auch wesentlich fitter. Sie nahm einen großen Schluck von ihrer Cola. „Ah, das tut gut. Bei der ganzen Arbeit, habe ich doch tatsächlich vergessen zu essen." „Ach, was.", sagte Paddy sarkastisch, „kriege ich auch noch etwas von den Pommes?" Hannah grinste verschwörerisch, nahm sich ein paar Pommes und streckte sie Paddy entgegen. Als Paddy jedoch zubeißen wollte, zog sie ihre Hand zurück und aß die Pommes selbst. „Come on, Marmot. That's not fair." Hannah lachte und spielte das Spielchen mehrere Male, bis Paddy nach ihrer Hand griff und sich die Pommes, samt ihrer Hand zum Mund führte. Hannah lachte, als Paddy sich die Pommes mit der Hand nachschob und auch Paddy konnte sich das Lachen nicht verkneifen. „Sagst du mir, wo wir hinfahren?", fragte Hannah schließlich. Sie schaute aus dem Fenster und stellte fest, dass sie München längst hinter sich gelassen hatten und über kleine Dörfer fuhren. Die Landschaft kam ihr sehr bekannt vor und erinnerte sich, dass sie einst mit Leon in dieselbe Richtung fuhr. „Oh je.", sagte Hannah, als sie die Umleitung und die Baustelle wieder erkannte, die geradewegs in Leons Heimatdorf führten. „Hey, ist alles klar bei dir? Du wirkst so blass." „Ehm...Paddy. Sag mir bitte sofort wo wir hinfahren." „Was? Nein, wieso? Lass dich überraschen." „Paddy, verdammt. Ich meine es ernst. Wo fahren wir hin?" „Schon gut. Wir sind gleich da. Wir müssen da vorne abbiegen." Hannah war erleichtert, dass Paddy kurz vor dem vermeintlichen Dorf abbog und auf einen alten Bauernhof Halt machte. „Gott sei Dank. Ich dachte, du willst in das nächste Dorf." „Klärst du mich auf?", fragte Paddy skeptisch. Hannah vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. „Was machen wir hier?", stellte Hannah die Gegenfrage. „Ok, nun spuck es aus. Was ist los? Was ist dein Problem?" Paddy verstand nicht, was Hannah auf einmal hatte. Von jetzt auf gleich wechselte schlagartig ihre Stimmung. Er kannte solche Schwankungen nur zu gut von früher und sie bedeuteten nichts Gutes. Hannah hingegen presste ihre Finger in ihre Augenhöhlen, atmete tief durch und fing an zu erzählen. „Ein Dorf weiter ist Leon aufgewachsen. Wir waren mal gemeinsam hier und er hat mir alles gezeigt." „Oh, verstehe. Leon hat den Boden berührt und deshalb ist er jetzt heilig.", erwiderte Paddy leicht schnippisch. Warum kam immer wieder dieses eine Thema auf? „Steigst du jetzt aus oder willst du hier sitzen bleiben und weiter Trübsal blasen?" Schweigend stieg Hannah aus und drehte sich immer wieder um, als würde sie beobachtet werden. Die gute Laune war wie weggeblasen. Dabei wollte Paddy Hannah ihr so gerne das Anwesen zeigen, das er vor hatte für sich zu Sanieren. Jetzt wo er wusste, dass der kleine Fleck Erde negativ belastet war, ist selbst ihm die Lust vergangen. Mit grimmiger Miene gingen sie einen kleinen Trampelpfad entlang, der an einem alten Haus endete. Hannah schaute fragend zu Paddy, der nur mit dem Schultern zuckte, auf die Tür zuging und sie aufschloss. „Ohhh, das ist die Immobilie von Joeys Kumpel.", merkte Hannah an. „Mhm. Es müsste so einiges gemacht werden, aber es ist ruhig und abgelegen. Hinter dem Haus ist ein kleiner See." Er schaltete das Licht an und ging hinein. „Ich wollte deine Meinung dazu hören." Hannah schaute sich um. Der Flur wirkte dunkel. Der alte Dielenboden knarzte. Paddy ging voraus und führte sie in ein großes Wohnzimmer, das auf der einen Seite mit einer kompletten Fensterfront ausgestattet war und die Sicht auf Felder und einen kleinen See ermöglichte. Unter anderen Umständen hätte sich Hannah vermutlich auch wohl gefühlt, doch die Region erweckte ein unbehagliches Gefühl. „Mhh. Ich weiß nicht." „Stell dir das mal vor, hier könnte ein großes Sofa stehen, dort ein Esstisch mit Blick auf den See. Die Fensterfront würde bleiben. Dort ein Klavier oder ein Flügel...offener Wohn-und Essbereich. Da ein Kamin für kalte Abende...Man, jetzt scheiß doch mal drauf, dass dein beschissener Ex hier in der Nähe mal sein Unwesen getrieben hat.", sagte Paddy genervt als Hannah sich immer noch unbehaglich umsah. Sie schüttelte den Kopf. „Das sagst du so einfach" „Ja, weil es so einfach ist...weißt du...ach vergiss es. Lass uns einfach zurück fahren. Es war eine blöde Idee." Er stampfte hinaus, wütend auf seine Reaktion und irgendwie auch auf Hannah. Langsam sah sich Hannah um und begutachtete das Haus. Mit ganz viel Fantasie konnte sie sich es tatsächlich vorstellen, wovon Paddy ihr vorschwärmte. Langsam ging sie zum Ausgang und schloss die Tür hinter sich, ehe sie zu Paddy ins Auto stieg. „Es ist wirklich ein schönes Anwesen und hat bestimmt auch Potential, aber..." „Ja, ja. Schon gut.", winkte Paddy ab. „Hey, jetzt sei nicht so.", bat Hannah. Doch Paddy sagte nichts und fokussierte seinen Blick besonders konzentriert auf die Straße.

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