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Die Turbulenzen des Fluges nahmen mit der Zeit ab, nur das Landen war für Hannah nochmal unangenehm. Diesmal schaffte sie es jedoch ohne Paddys Hilfe die Beherrschung zu wahren. Den gesamten Flug sprachen die beiden kein Wort miteinander und waren in ihre eigene Arbeit vertieft, schliefen oder vertrieben sich die Zeit mit Lesen oder hörten Musik. Wie nach jedem Flug war Hannah froh aus dem Flieger zu steigen und wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Geduldig wartete sie auf ihr Gepäck und beobachtete das Gepäckband genau, während Paddy ein Stück von ihr entfernt telefonierte. Hannah vermutete stark, dass er gleich nach der Landung versuchte, Mareike zu erreichen. Allein sein Blick, als sein Anruf angenommen wurde, verriet es ihr. Als sie alle Kontrollen passiert und sie ihre Aufenthaltsgenehmigung bekamen, gingen sie in die Dämmerung hinaus. Die trockene, warme Luft schlug Hannah ins Gesicht und in ihr machte sich ein Gefühl in der Magengegend breit, das sie an zu Hause erinnerte. Da es schon zu spät war nach Asebe Teferi zu fahren, buchte Hannah zuvor ein Hotel in Addis Abeba. Sie kannte den Weg dorthin wie ihre Westentasche und wies ihnen den Weg. „Da drüben ist es", sagte sie und deutete auf ein einfaches Hotel, in dem sie ihre allererste Nacht in Äthiopien verbrachte. Mit schnellen Schritten ging Hannah zur Rezeption und meldete sie und Paddy an. Als sie jedoch nur einen Schlüssel bekam, wurde sie skeptisch und fragte beim Rezeptionisten nach. „Nein, das muss ein Missverständnis sein. Ich habe zwei Einzelzimmer gebucht. Wir hätten gerne zwei Einzelzimmer. Bitte schauen sie, ob sie uns zwei Zimmer anbieten können." Hannah legte ihre Stirn in Falten und eine leichte Panik kam in ihr auf. Wie soll sie die Nacht zusammen mit Paddy in einem Zimmer nur überstehen? Sie hielt es ja schon kaum im Flieger mit ihm aus. „Gibt es ein Problem?", fragte Paddy schließlich, als er hörte, wie Hannah panisch mit dem Hotelpersonal diskutierte. „Die Leute hier haben die Buchung verkackt. Wir haben nur ein Zimmer", erklärte sie und wand sich wieder dem Rezeptionisten zu, der in seinem Computer versuchte, zweifelhaft das Problem zu lösen. „Das geht nicht!", beharrte Paddy und Hannah verdrehte die Augen. „Ach nein, wirklich?", sagte sie sarkastisch. „Was meinst du, was ich hier gerade versuche zu klären?" Schließlich wurde ihnen mittgeteilt, dass kein Zimmer mehr frei wäre und ihnen diese Unannehmlichkeiten schrecklich peinlich seien. Hannah brummte als Zeichen ihrer Abneigung und nahm den Schlüssel entgegen. „Wir könnten in einem anderen Hotel nachfragen.", schlug Paddy vor, doch Hannah winkte ab. „Vergiss es. Bis wir ein anderes Hotel gefunden haben, sind wir ausgeraubt worden und pleite. Du glaubst gar nicht, wie die Leute sich hier auf vermeintliche Touristen mit Geld stürzen." Sie stampfte förmlich die Treppenstufen hoch, um ihre Wut zu dämpfen. Als sie in ihrem Zimmer ankamen wartete schon die nächste Überraschung auf sie. „Das kann doch echt nicht wahr sein." Wütend ging sie in das kleine Zimmer, in dem sie sich einmal um ihre eigene Achse drehen konnte und dabei alles mit einer Armlänge erreichen könnte. Das Zimmer wurde von einem Doppelbett ausgefüllt. Die Türen des Kleiderschrankes wurden entfernt, da man diese in diesem kleinen Zimmer nicht aufbekommen hätte, ohne das Bett oder die Wand zu streifen. Selbst der Schreibtisch ähnelte einem etwas breiteren Fensterbrett. Hannah drehte sich zu Paddy, der im Türrahmen stand, und versuchte sich ein Grinsen zu verkneifen. „Sag nichts! Wehe du sagst auch nur annähernd etwas über dieses beschissene Zimmer und diese Situation." Noch ehe Paddy etwas erwidern konnte, schnappte sich Hannah ihre Tasche und stürmte aus dem Zimmer. Dabei rempelte sie ihn forsch an. Paddy machte keine Anstalten ihr nachzulaufen. Schließlich fand er die Situation genauso beschissen wie sie und auch er hätte es besser gefunden, wenn sie getrennte Zimmer gehabt hätten. Es war ihm auf der einen Seite unangenehm sich einen so engen Raum mit Hannah zu teilen, auf der anderen Seite war er von früher wesentlich weniger Platz gewohnt und wusste seine Privatsphäre und auch die von anderen auf solch kleinen Raum zu wahren und zu respektieren. Seufzend verstaute er seine Tasche in dem Schrank und schmiss sich aufs Bett.

Hannah hingegen stürmte in die Lobby des Hotels und wusste nicht wohin. Zuerst wollte sie wieder umkehren, doch sie hielt es einfach nicht aus in diesem Zimmer mit Paddy zu bleiben. Nachdem sie sich kurz hinsetzte und sich sammelte, beschloss sie in ein kleines Restaurant zu gehen, das nicht unweit vom Hotel war, und schlug sich den Bauch mit sämtlichen äthiopischen Gerichten voll. Dabei ließ sie sich so viel Zeit wie nur möglich und schaffte es, bis zum Ladenschluss dort zu verweilen.

Als es nicht mehr anders ging, schlenderte sie langsam ins Hotel zurück und hoffte, dass Paddy im Hotel war. Während des Essens fiel ihr ein, dass sie nur einen Schlüssel hatten, den ausgerechnet sie nicht dabei hatte. ‚Wie kann man nur so dumm sein?', dachte sie sich und stand vor ihrer eigenen Hotelzimmertür. Zögernd klopfte sie. Es dauerte einen Moment bis Paddy die Tür auf machte und sie rein ließ. Er selbst war am Telefonieren und beachtete Hannah nicht weiter. „Nein, mach dir keine Sorgen. Hier ist alles soweit in Ordnung. Die Zimmer könnten größer sein, aber sonst kann ich es hier ganz gut aushalten...Ich nehme dich beim Wort, Hon...Ja klar, das machen wir, wenn ich wieder da bin, ok? Gut, dann schlaf schön." Es viel Hannah schwer, Paddys Gespräch nicht zu lauschen. „Pass auf dich auf...ich dich auch.", flüsterte Paddy schon fast und schaute verstohlen zu Hannah hinüber, die so tat als würde sie etwas in ihrer Tasche suchen und gar nicht mitkriegen, mit wem Paddy da sprach. Eine Weile schwiegen sie sich an, während sie jeder ihr eigenes Ding machten; Paddy tippte auf seinem Handy herum, Hannah schnappte sich ihre Unterlagen und ging den Ablauf für die nächsten Tage durch, ehe die Müdigkeit über sie kam. Unbemerkt sah sie zu Paddy, der in sein Handy vertieft war und seine Umgebung ausblendete. „Ehm, ich geh dann duschen und würde dann gerne ins Bett gehen." Paddy schaute auf die Uhr. „Oh, es ist ja schon verdammt spät. Klar, geh ruhig zuerst ins Bad, ich verzieh mich nochmal kurz in die Lobby." Hannah war ihm sehr dankbar für seine Rücksichtnahme. Als das Schloss in die Tür fiel und sie alleine war, fühlte sie sich gleich wesentlich wohler, griff nach ihrer Kulturtasche und ging ins Badezimmer. Dabei versuchte sie sich so schnell wie möglich bettfertig zu machen. Frisch geduscht zog sie sich ihren kurzen Schlafanzug an. Sie bereute es, dass sie gerade den Schlafanzug eingepackt hatte, der mit albernen Schäfchen bedruckt war. Schnell ging Hannah zum Bett hinüber, knipste die Nachttischlampe auf ihrer Seite an und deckte sich zu. ‚Auch das noch', murmelte sie, als sie bemerkte, dass nur eine Decke vorhanden war. Sie atmete einmal tief durch, ehe sie sich ihr Buch nahm und anfing darin zu lesen. Wenige Augenblicke öffnete Paddy vorsichtig die Tür. Er verspannte sich, als er sah, dass Hannah noch wach war. „Oh, ich dachte, du schläfst schon." Hannah sah erst auf, als sie die Seite ihres Buches beendet hatte. „Ich wollte nur noch das Kapitel zu ende lesen. Sind auch nur noch ein paar Seiten." „Verstehe." Als Paddy in das Badezimmer ging, nutzte Hannah die Möglichkeit das Buch zur Seite zu packen und zu schlafen. Sie hoffte, dass sie eingeschlafen war, bevor Paddy aus dem Badezimmer kommen würde, jedoch erfolglos. Paddy schien jedoch davon auszugehen, dass sie schlafen würde und legte sich vorsichtig neben Hannah. Sie war bis zu den Zehenspitzen angespannt, wie eine Löwin, die bereit war ihre Jungen bis auf den Tod zu verteidigen, bewegte sich keinen Zentimeter und versuchte so flach wie möglich zu atmen.

Hannah zwang sich zu schlafen, doch es gelang ihr einfach nicht. Sie lag auf dem Rücken und betrachtete gefühlt Stunden lang die Decke des Hotelzimmers und verfolgte die Schatten, die durch vorbeifahrende Autos durch das Zimmer wanderten. Paddy lag wie Hannah ebenso starr auf dem Rücken, die Arme hinter den Kopf verschränkt. Er seufzte laut und drehte sich auf die Seite. Erst jetzt wagte Hannah sich auf den Bauch zu legen und ihre eigentliche Einschlafposition einzunehmen. Der Schlaf blieb dennoch aus. Als sie Paddys gleichmäßige Atmung wahrnahm, hielt sie es nicht mehr aus und setzte sich vor das Bett. Ihre Gedanken waren durcheinander, sie war müde und wach zu gleich und fühlte sich wie nach einer durchzechten Nacht. Sie tat das, was sie immer machte, wenn sie von etwas geplagt war, nahm sich ihr Notizbuch, machte die Taschenlampe an ihrem Handy an und schrieb sich jegliche Gedanken von der Seele.

Was wäre wenn?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt