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Mit gemischten Gefühlen stand Hannah in der Flughafenhalle von Addis Abeba. Ihr Gepäck hatte sie bereits aufgegeben, so dass sie nur mit einer großen Umhängetasche durch die Gegend schlendern konnte. Nachdem Hannah Paddy geantwortet hatte, ging sie vor ihrem Abflug täglich in das kleine Internetcafe, in der Hoffnung, dass sie eine neue Nachricht von ihm in ihrem Postfach finden würde, doch vergebens. Selbst Maite antwortete nicht auf ihre Mails, was sie sehr beunruhigte. Ständig fragte sie sich, ob es Patricia gut ging oder ob vielleicht nicht doch etwas schlimmeres im Busch war. Aus purer Verzweiflung telefonierte sie eines Morgens mit Sandra. Nach kurzem Smalltalk und wichtigen Informationsaustausch lenkte Hannah das Gespräch auf Maite und erwähnte nebenbei Patricia und auch, dass Paddy ihr regelmäßig E-Mails geschrieben hatte. Sandra war sehr überrascht über die ganzen neuen Informationen. Sie hatte zwar Kontakt zu Maite, wenn auch selten, doch in der Zeit hatte Maite nie wirklich Patricia erwähnt, auch Paddy ließ Maite außen vor. „Tut mit leid Hannah.", sagte Sandra zu ihr, „Ich kann dir da auch nichts neues erzählen. Maite erwähnte zwar, dass Patricia krank sei, aber sie hat das immer nur so nebenbei erzählt. Ich dachte, sie hätte nur eine hartnäckige Grippe oder so und über Paddy weiß ich auch so gut wie gar nichts, sorry! Weißt du, wenn Mütter unter sich sind, dann wird das Gesprächsthema dann doch irgendwie immer zu den Kindern gelenkt." Sandra lachte entschuldigend. „Soll ich Maite mal anrufen?" „Nein, nicht nötig", sagte Hannah und machte eine hinfällige Handbewegung, obwohl Sandra sie nicht sehen konnte. „Ich bin doch eh in ein paar Tagen da, dann kann ich mich selbst mal bei ihr melden und mich einfach zu ihr einladen."

Hannah war froh, dass sie einen Nachtflug ergattern konnte. So konnte sie die meiste Zeit des Fluges verschlafen und bekam von den kleineren Turbulenzen während des Fluges nichts mit. Als das Flugzeug sich zum Landen bereit machte, wurde Hannah wach und blickte auf viele kleine Häuser, auf deren Dächer die Morgenröte erstrahlte. In ihrem Bauch machte sich Vorfreude breit. Schon zu lange war Hannah nicht mehr in Deutschland gewesen. Die Landschaft unter ihren Füßen wirkte so vertraut, auch wenn sie nicht genau wusste, wo sie gerade war. Es fühlte sich einfach wie zu Hause an. Das Flugzeug berührte sachte die Landebahn und kam langsam zu stehen, während Hannah vor Freude und Aufregung platze. Am liebsten wäre sie sofort aufgesprungen, um die Erste am Ausgang zu sein, so sehr freute sie sich auf ihre Mutter und auf ihre vertraute Umgebung. Sie zügelte jedoch ihre Ungeduld und reihte sich in die Schlange der Passagiere ein, die gesittet das Flugzeug verlassen wollten. Das Warten auf den Koffer kam Hannah wie eine halbe Ewigkeit vor. Ungeduldig stand sie am Gepäckband und verlagerte ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. „Na Sie scheinen es aber eilig zu haben", merkte eine ältere Dame an und musterte Hannah neugierig von oben bis unten. Hannah drehte sich kurz zur Seite, nickte und lächelte freundlich. Just in diesem Moment sah sie ihr Gepäck, griff über die Menge hinweg nach ihren Koffer und machte sich mit schnellen Schritten in Richtung Ausgang. Schon von weiten sah sie ihre Mutter, die sich suchend umblickte. „Mama!", rief Hannah und winkte ihrer Mutter freudestrahlend zu, während sie eilig in ihre Richtung ging. Auf Tinas Gesicht erschien ein breites Lächeln. „Hannah, Liebes. Da bist du ja endlich!" Sie nahm ihre Tochter fest in die Arme und schniefte. „Mama, du musst doch nicht weinen." Als sich beide aus ihrer Umarmung lösten, wischte sich Tina mit einem Taschentuch über die Augen. „Ach quatsch. Ich weine doch nicht. Wie schön, dass du wieder da bist. Ich hoffe, du hast Hunger. Zu Hause wartet ein üppig gedeckter Frühstückstisch auf dich. Oder willst du dich lieber erst nochmal hinlegen und ein bisschen schlafen? Oder duschen? Oder doch gleich zu Sandra?" Hannah lachte. „Mama, wir haben alle Zeit der Welt. Gegen ein Frühstück habe ich jedoch nichts einzuwenden." Gemeinsam verließen sie den Flughafen und fuhren mit dem Auto zu Hannahs Elternhaus. Obwohl die Sonne schien und es Mitte Mai war, war es für Hannah erstaunlich kühl. Die Bäumen sahen noch sehr kahl aus, dennoch erblickte man beim genaueren Hinsehen kleine Blätter, die sich langsam entfalteten. Es roch stark nach Abgasen und Großstadt, doch je näher Hannah ihrem alten Zuhause kam, desto grüner wurde es. Die Luft wurde klarer und es roch allmählich nach Frühling. So sehr Hannah die Zeit in Äthiopien genoss und keine Minute ihre Entscheidung, Deutschland hinter sich zu lassen, bereute; umso mehr freute sie sich wieder in ihrer Heimat zu sein.

Hannahs Mutter hatte mit dem üppigen Frühstück nicht übertrieben. Der Tisch in der Küche war wohl gedeckt und bot alles, was das Herz begehrte; frische Croissants, selbst gemachte Erdbeermarmelade, Brötchen und sämtliche Wurst- und Käsesorten. „Mama wer soll denn das alles Essen?", sagte Hannah vorwurfsvoll und setzte sich an den gemachten Tisch, während Tina Wasser für Tee aufsetzte. „Du bist doch noch eine Weile hier und so wie ich deine Leute kenne, trudeln die hier nach und nach ein. Du bist doch nicht auf Kaffee umgestiegen, oder?" Hannah schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin und bleibe Teetrinker." Sie genoss das ausgiebige Frühstück und noch viel mehr die Zweisamkeit mit ihrer Mutter. Mit vollen Magen lehnte sich Hannah zurück und sah sich in der Küche um, die sich seit ihrer Kindheit kaum verändert hatte. „Was hast du denn jetzt geplant, Liebes?", riss Tina ihre Tochter aus ihren Gedanken. Hannah schaute auf ihre Uhr. „Ich denke, ich würde erstmal gerne Duschen und meine Sachen auspacken. Außerdem wollte ich mich noch bei Leon melden. Ich habe gesagt, ich melde mich, sobald ich hier angekommen bin." Tina nickte verständnisvoll. „Mach das. Du weißt ja, wo du alles findest. Und nimm dir gleich einen Wäschekorb mit." Als Tina anfing den Tisch abzuräumen, wollte Hannah ihrer Mutter dabei helfen, wurde aber von ihrer Mutter im wahrsten Sinne des Wortes aus der Küche verbannt. Also setzte sich Hannah geradewegs an ihren PC und schrieb Leon eine lange E-Mail, schrieb, dass sie ihn schrecklich vermisste und sie ihn gerne an ihrer Seite haben würde; wie gerne sie ihm ihr Elternhaus zeigen würde und es ein komisches und zugleich gutes Gefühl ist, wieder in Köln zu sein.

„[...]Ich muss mich jetzt erstmal ein wenig einrichten und vor allem ankommen. Leon, ich hoffe wirklich, dass wir uns bald wiedersehen. Die Tage werde ich mir mal ein Handy zulegen. Ich weiß, das wird bestimmt alles ziemlich kompliziert in Kontakt zu bleiben und ein Handy wird uns wahrscheinlich gar nicht so viel nutzen, aber wie sagt der Werbeslogan? „Deutschlandweit mobil"...hat vielleicht auch Vorteile.

Bis hoffentlich ganz bald!

lieb dich, Hannah"

Kurz nachdem sie die E-Mail abschickte, meldete sich ihr E-Mail-Programm mit einem Lauten „Pling". Zuerst dachte Hannah, Leon hätte ihr bereits geantwortet, doch den Gedanken verwarf sie sofort wieder. „So schnell ist das Internet nun auch nicht", murmelte sie vor sich hin und aktualisierte ihren Posteingang.


Betreff: AW:AW: Wenn das Leben ein großer Haufen scheiße ist

DU BIST WIEDER HIER?! Da entzieht man sich für einige Tage der Zivilisation und dann kommt so etwas. Ich habe ehrlich gesagt schon gar nicht mehr mit einer Antwort gerechnet und dann sehe ich deine E-Mail. Patricia erholt sich gut. Maite ist gerade bei ihr zu Besuch und greift Denis ein wenig unter die Arme. Und warum musst du nach München? Ich bin noch ein paar Tage bei Joey in Lohmar...Meld dich einfach

Paddy


Betreff: AW:AW:AW: Wenn das Leben ein großer Haufen scheiße ist.

Hey,

ich bin froh, dass es Patricia gut geht!!! Und ja, ich bin heute Morgen gelandet und erstmal bei meiner Mutter untergekommen. Lohmar ist ja wirklich nur ein Katzensprung entfernt. Ich habe hier aber echt einiges zutun. Also wenn du Lust hast beim Packen zu helfen, tu dir keinen Zwang an 😊

Hannah


Betreff: Vielleicht mache ich das 😉 Bis dann!

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