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Für einen kurzen Moment wurde paddy klar, was er gerade getan hat, was gerade geschehen war. Er hielt Hannahs Gesicht immer noch in seinen Händen und schaute in ihr verwirrtes Gesicht. „Danke, danke, danke", versuchte Paddy die Situation zu überspielen und küsste sie auf ihre Wangen und Stirn. Schnell löste er sich von Hannah und widmete sich nochmals der Gitarre, um die Schamesröte, die in sein Gesicht stieg zu vertuschen. Hannah war von Paddys Dankbarkeit und von seinem Gefühlsausbruch ein wenig benebelt und lächelte schräg. „Gern geschehen. Es ist schön, dass du dich darüber so freust. Und es ist auch echt schön dich so glücklich zu sehen." „Oh ja. Ich freue mich wirklich sehr darüber", erwiderte Paddy, ohne zu ihr aufzusehen. Er legte die Gitarre wieder behutsam in den Koffer und schloss ihn vorsichtig.

„Nachdem wir uns jetzt alle wieder beruhigt haben, scherzte Hannah, „können wir uns ja überlegen, was wir jetzt noch mit dem Rest des Abends anfangen. Worauf hast du Lust?" Paddy überlegte. Sein Gefühlsausbruch war ihm ein wenig unangenehm und auch, dass er seinen Gefühlen Hannah gegenüber freien Lauf ließ. Umso dankbarer war er, dass Hannah alles auf die Gitarre bezog. Am liebsten hätte er es sich mit ihr auf dem Sofa gemütlich gemacht und irgendetwas stumpfsinniges im Fernsehen geschaut. Dabei war ihm das Fernsehprogramm gleichgültig. Wichtig wäre nur die Nähe zu Hannah gewesen.
Paddy zuckte mit den Schultern. „Fernsehen? Nochmal eine Runde um den Block spazieren oder vielleicht doch einfach nur sitzen und quatschen?"
„Da fällt mir ein. Du hast noch gar nicht erzählt, was du für Pläne in München hast. Du meintest ja, du hättest auch einige Termine?", fragte Hannah interessiert und ließ sich auf das Sofa plumpsen. „Hab ich das noch gar nicht erzählt?", stellte Paddy die Gegenfrage mit hochgezogenen Augenbrauen. Als Hannah den Kopf schüttelte, klärte er sie auf. „Ich habe vor nochmal umzuziehen. Mir gefällt es dort unten eigentlich ganz gut, aber ich brauche mehr Raum. Etwas größeres mit mehr Fläche, naturnah. Du weißt ja wie Joey ist. Man erwähnt einmal etwas in einem Nebensatz und schon hat er einen Mann in der Hinterhand, der da etwas drehen kann." Paddy setzte sich zu Hannah auf das Sofa und fuhr fort: „Jedenfalls wollte ich mir mal das Haus von Joeys Bekannten anschauen." „Das heißt Köln wäre keine Option für dich.", schlussfolgerte Hannah. „Nein auf keinen Fall. Ich brauche meine Freiheiten. Und Köln ist für mich irgendwie auch negativ behaftet" „Oh, verstehe.", sagte Hannah enttäuscht. „Nein, nein. Natürlich nicht wegen dir. So war das nicht gemeint.", versuchte Paddy sich zu erklären. „Hier ist nur so viel passiert, was nicht schön war. Schloss Gymnich, die Belagerung vom Hausboot, unser Verlust, unsere Trennung, hohe offene Fenster.." „Was meinst du mit hohen offenen Fenstern?", fragte Hannah erstaunt. Paddy machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach das ist nicht der Rede wert. Ist eine lange Geschichte." „Ach komm schon. Was kann man denn gegen offene Fenster haben? In einer heißen Sommernacht die Fenster aufreißen, um endlich eine Abkühlung zu bekommen, nach einem Gewitter die nasse Luft reinkommen zu lassen, im Winter die Kälte im Gesicht zu spüren und einmal tief durch zu atmen..." Paddy haderte mit sich selbst. Sollte er Hannah von der Idee sich selbst das Leben zu nehmen erzählen? Dieses Thema würde mit Sicherheit die Stimmung versauen. Auf der anderen Seite wollte ein kleiner Teil in ihm ehrlich sein und ihr alles erzählen. Er wurde ernst und nahm all seinen Mit zusammen. „Die Angst allen und jeden zu enttäuschen, nicht mehr zu wissen was einem Freude bereitet, wie man andere glücklich macht, in einer Sackgasse steht und keinen anderen Ausweg mehr erkennt, als den Weg aus dem hohen, offenen Fenster?" Hannahs Blick würde schlagartig von verträumt zu ängstlich. „Aber...was redest du denn da? Du machst mir schon ein wenig Angst. Das klingt als..." Paddy seufzte laut. „Ja, es klingt genau danach." „Wolltest du..." Paddy nickte langsam. „Ich war einfach am Ende und habe mich gefühlt wie ein Vogel in einem goldenen goldenen Käfig. Und...als ich gemerkt habe, dass selbst ich dich nicht mehr glücklich machen kann...dass ich derjenige bin, dem geholfen werden muss...dass ich dazu noch mit dem größten Verlust in meinem Leben klar kommen muss..." Hannah stiegen die Tränen in die Augen. „Aber...wir waren doch alle da. Wir hätten dir alle geholfen." „Ja, das weiß ich doch. Damals wollte ich selbst damit klar kommen. Damals war ich einfach dumm, wollte für alle stark sein und es allen recht machen." „Warum hast du nie etwas gesagt?" „Ach Hannah. Weil ich ein Dickkopf bin. Weil du selbst mit der Last der Fehlgeburt zu kämpfen hattest, weil ich den Schein von Friede, Freude, Eierkuchen wahren wollte." Hannah war von Paddys Geständnis völlig verblüfft und legte ihren Kopf auf seiner Schulter ab. Eine Weile schwiegen sie, doch dann konnte Hannah nicht anders. „Was hat dich dazu gebracht, nicht zu springen?" „Der Glauben.", war alles, was Paddy darauf antwortete. „Ich bin froh, dass du dir das noch einmal überlegt hast. Ich glaube, wenn du wirklich nicht mehr da wärst...einen zweiten Selbstmord in meinem Umfeld hätte ich nicht verkraftet."

Hannah kuschelte sich in Paddys Armbeuge und dachte seit langer Zeit mal wieder an ihren Bruder. Sie schämte sich schon fast, dass Basti ihr erst wieder durch Paddys Geschichte in den Sinn kam. Auch ein schlechtes Gewissen überkam sie, da sie schon ewig nicht mehr an seinem Grab war. Leise liefen ihr einzelne Tränen über ihr Gesicht. Allein der Gedanke daran, dass Paddy den Freitod in Erwägung zog brach ihr das Herz. Paddy, der spürte, dass Hannah traurig war, nahm sie schweigend in die Arme, strich ihr über den Oberschenkel und tröstete sie. „Es ist doch alles gut gegangen. Ich bin da."

Was wäre wenn?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt