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Mit zügigen Schritten ging Hannah über das Anwesen von Joeys Familie. Aus einer Scheune hörte sie lautes Gelächter und Gitarrenklänge. Lächelnd schob sie das große Tor der Scheune zur Seite und freute sich, als sie sämtliche Familienmitglieder an einer langen Tafel sitzen sah. „Guten Abend, allerseits", schrie sie schon fast und lenkte somit die Aufmerksamkeit auf sich. Kathy, die die geringste Entfernung zu Hannah hatte, stand freudestrahlend auf. „Na das ist ja eine Überraschung. Hallo Hannah. Wie geht's dir?" Kathy umarmte Hannah überschwänglich und führte sie an die lange Tafel. Auch Patricia und Joey freuten sich sehr über den Überraschungsbesuch. Joey stellte Hannah Tanja vor, die gerade dabei war ihre Söhne ins Bett zu bringen. „Ist Maite auch da?", fragte Hannah und schaute sich in der großen Scheune um, konnte jedoch weder Maite noch Paddy auf die Schnelle ausfindig machen. „Ja, klar. Sie bringt zusammen mit Florent und Paddy die Kinder ins Bett. Willst du etwas trinken? Fühl dich wie zu Hause.", sagte Joey und drückte im Gehen ihre Schulter, als er Tanja mit den Kindern folgte. Hannah nahm sich etwas zu trinken und setzte sich zu Kathy und Patricia, die sie auch gleich in ihr Gespräch einspannten. Sie waren sehr an Hannahs Arbeit interessiert. Auch Hannah wollte wissen, wie es Kathy nach all den Jahren so erging. Sie unterhielten sich prächtig und lachten viel, als sie von Maite, Florent und Paddy unterbrochen wurden. „Hannah! Was machst du denn hier?", fragte Maite überrascht. „Entschuldigt mich, kurz", sprach Hannah zu Patricia und Kathy gerichtet und ging auf Maite und die anderen zu. „Schön, dich zu sehen. Paddy hat mir erzählt, dass ihr alle hier seid und gefragt, ob ich nicht vorbei kommen möchte. Hat er dir das nicht erzählt?", fragte Hannah erstaunt. Maite zog eine Augenbraue hoch und schaute zu Paddy rüber, der auffällig unauffällig in eine andere Richtung starrte. „Tatsächlich? Nein, das hat er nicht." Paddy ging wortlos zu Hannah hinüber und umarmte sie zur Begrüßung. „Ich bin gleich wieder da.", sagte er und ging hinüber Kathy. Maite konnte ihren Augen nicht trauen und schaute immer wieder zwischen Hannah und Paddy hin und her. „Was war denn das bitte? Paddy hat dich gefragt? Was zur Hölle habe ich verpasst?" „Wow, Maite, langsam, was sollen denn die ganzen Fragen?" „Komm mit, du bist mir eine Erklärung schuldig.", sagte Maite fahrig und schubste Hannah förmlich in Richtung Ausgang. Hannah schüttelte genervt den Kopf. „Was willst du denn jetzt von mir hören?", fragte sie. „Komm, lass uns ein Stück gehen. Jetzt erzählst du mir erstmal, warum du mir nicht Bescheid sagst, wenn du in der Stadt bist." „Maite, wirklich? Das ist wirklich eine lange Geschichte." „Ich habe Zeit." Hannah atmete einmal tief durch und erzählte nun auch Maite, wie es mit Leon gerade lief. „Oh..." war alles, was Maite dazu sagte. „Willst du mir jetzt auch gut zureden?", fragte Hannah, doch Maite schüttelte den Kopf. „Nein, eigentlich nicht. Es sei denn, du willst es." Hannah schüttelte den Kopf. „Und warum bist du jetzt hier und was hat das mit Paddy zu tun?" „Ich hab es in München einfach nicht mehr ausgehalten. Paddy hat mir geraten eine kleine Auszeit bei meiner Mutter zu nehmen und dem Rat bin ich gefolgt." „Merkwürdig. Wenn ich nicht wüsste, dass Paddy und die anderen Konzerte planen würden, dann würde ich behaupten, dass Paddy genau dasselbe im Sinn hatte." „Wie meinst du das?", fragte Hannah, doch Maite schüttelte den Kopf und machte eine wegwerfende Bewegung. „Nicht der Rede wert. Also wie kommst du klar?" Hannah zuckte die Schultern. „Ich weiß auch nicht. Die Ablenkung tut gut. Ich war heute bei Sandra und sie meinte, ich solle Leon nicht aufgeben...oder so ähnlich." „Verstehe und du und Paddy?", harkte Maite nun nach. „Paddy und ich kommen gut miteinander klar, wenn es das ist, worauf du hinaus willst. Wir verstehen uns...besser." Maite musterte ihre Freundin, was in Hannah ein unbehagliches Gefühl hervorrief. Sie fühlte sich, als müsse sie sich rechtfertigen und redete sich um Kopf und Kragen. „Seit den Vorbereitungen für die Vernissage verstehen wir uns wieder besser und haben uns wieder ein wenig angefreundet. Er hat halt das mit Leon mit bekommen. Wir waren mit Maike und ihren Leuten auch zusammen aus...man Maite jetzt glotz mich nicht so an. Was willst du denn von mir hören? Warum muss ich mich hier eigentlich rechtfertigen und Rede und Antwort stehen?" Maite grinste hämisch. „Das musst du gar nicht. Das machst du von ganz alleine. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann..." „Dann was?", zischte Hannah. „Schon gut. Du bist gerade ganz schön durch den Wind wegen...", Maite hielt kurz inne, „wegen Leon, oder?" Hannah verschränkte die Arme und nickte stumm. „Kann ich bitte wenigstens heute einmal nicht darüber nachdenken und einfach einen lustigen Abend mit euch haben, ohne ständig an Beziehungsstress erinnert zu werden?" Maite nahm Hannah in die Arme. „Das kriegen wir schon hin. Nun komm, wir gehen wieder rein." Gemeinsam gingen sie zurück zur Scheune, in der eine ausgelassene Stimmung herrschte.

Wie in alten Zeiten saß ein Bruchteil der Familie Kelly zusammen, erzählten Anekdoten aus längst vergangener Zeit und lachten über Joeys trockene Witze. Selbst die Geschichte, wie Joey behauptete, er würde selbst Pizza für alle machen, wurde zum Besten gegeben. „Ach komm Joey, wir wussten alle schon viel früher, dass du die Pizza immer heimlich gekauft hast, als dir lieb ist. „Dafür hattet ihr eine anständige Mahlzeit, also was wollt ihr eigentlich?" Hannah bekam nicht mit wie schnell die Zeit verging und amüsierte sich köstlich. Hannah saß zwischen Maite und Paddy und merkte, wie sie langsam müde wurde. Paddy stupste sie von der Seite an. „Na, bist du lange Nächte nicht mehr gewohnt?" Hannah gähnte. „Ich habe die letzten Nächte nicht so viel geschlafen, weißt du." „Oh...sorry", versuchte Paddy sich zu entschuldigen und wusste, dass er mit der Bemerkung Salz in die Wunde streute. „Ich wollte nicht..." Hannah lächelte. „Schon ok, du meinst es ja nur gut, aber ich sollte mich tatsächlich so langsam mal auf den Weg machen." Sie stand auf und streckte ihre kalten Muskeln. „So, Leute. Es hat mich wirklich sehr gefreut, aber ich muss so langsam..." „Ich begleite dich noch zum Auto.", sagte Paddy, nachdem sich Hannah von allen verabschiedet hatte und stand ebenfalls auf. „Meinst du nicht, den Weg schaffe ich alleine?", fragte Hannah, als sie nach draußen in die Kälte traten. „Naja, es ist ja schon ziemlich spät. Es kann ja sein, dass hier wilde Hunde oder so herum laufen.", erwiderte Paddy. „Wilde Hunde? Du spinnst doch." Paddy grinste und zuckte mit den Schultern. „Ja, vielleicht." „Danke übrigens.", sagte Hannah, als sie für einen Moment stumm nebeneinander her gingen. „Wofür?" „Für den tollen Abend. Es tut gut, mal wieder unter Freunden zu sein und mal nicht über alles nachdenken zu müssen. Ich soll dich übrigens von Maike grüßen." „Von Maike? hast du mir ihr gesprochen?", fragte Paddy hastig. „Ehm..ja. Ich hab sie noch gesehen, nachdem sie ihren Schreibtisch geräumt hat." „Was hat sie denn erzählt?" „Nur, dass sie so schnell wie möglich ins Büro von UNICEF wechselt. Wieso fragst du?", stellte Hannah nun die Gegenfrage und öffnete die Tür ihres Wagens. „Ach nur so. Hannah, ich muss dir da noch etwas..." „Meine Güte, es ist echt arschkalt geworden." Sie pustete in ihre Fäuste. „Was wolltest du gerade sagen?", fragte sie Paddy. „Ach nicht so wichtig, das kann warten. Steig lieber mal ins Auto, bevor du dir hier draußen noch Frostbeulen holst. Also mach's gut. Wir schreiben, ok?" Hannah nickte. „Auf jeden Fall." „Vielleicht kommst du einfach mal zu den Proben für die Weihnachtstour?" „Ja, sehr gerne! Geh du lieber auch mal zurück, bevor du dich noch erkältest." Paddy haute auf das Dach des Autos und nickte. Hannah startete den Wagen, doch der Motor sprang nicht an. Sie versuchte es ein zweites und auch ein drittes mal, doch nichts tat sich. „Ist alles ok?", fragte Paddy. „Nein, der Wagen springt nicht an." Sie versuchte es ein letztes Mal und gab es schließlich auf. Hannah fluchte und stieg wieder aus. „Meinst du Joey kann sich das mal kurz anschauen?" „Bestimmt." Gemeinsam gingen Paddy und Hannah zurück in die Scheune und gaben Joey Bescheid. Während Joey nach Hannahs Wagen sah, gesellten sich Paddy und Hannah wieder zu den anderen. Kurze Zeit später kam auch Joey wieder zurück. „Tja, Maderschaden. Dein Auto fährt heute nirgendwo mehr hin." „Oh fuck. Na toll und jetzt?", fragte Hannah mehr sich selbst als die anderen. Joey sah das alles gelassen. „Naja, entweder ich fahre dich nach Hause oder du bleibst hier. Wir haben genug Platz. Mehr Platz als im Bus oder im Hausboot." Hannah zögerte. Sie wollte niemanden zur Last fallen. „Weißt du was?", sagte Joey. „Hier fährt heute eh keiner mehr. Es ist glatt auf den Straßen. Ich sage Tanja Bescheid, dass sie noch ein Bett fertig machen soll. Und Klamotten zum Schlafen finden wir bestimmt auch noch."


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