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Die letzten Tage verbrachten Leon und Hannah gemeinsam in Addis Abeba. „Musst du schon wirklich schon wieder zurück?", fragte Hannah wehleidig, als sie nach dem Frühstück wieder in ihrem Hotelzimmer waren. Leon nickte und lächelte gequält. „Ja, du weißt doch wie das ist. Glaub mir, ich würde dich auch viel lieber zum Flughafen begleiten, aber Arthur braucht mich." Seufzend setzte sich Hannah zu ihm auf das Bett und legte ihren Kopf an seine Schulter, schloss die Augen und genoss seine Nähe. Als Leon seine Sachen gepackt hatte, verabschiedeten sich unten in der Lobby. „Mach's gut Libi. Ich verspreche dir, dass ich dich so schnell wie möglich besuchen komme." Hannah konnte sich nicht von Leon losreißen und auch Leon zögerte den Abschied hinaus, war jedoch der erste, der sich gezwungen aus Hannahs Umarmung löste. „Mach dir noch ein paar schöne Tage hier. Er gab ihr einen letzten Kuss auf die Stirn, ehe er in sein Auto stieg und mit einem Hupen im Getümmel der äthiopischen Straßen verschwand. Hannah sah Leon lange hinterher. Aus ihrer Trance gelöst, ging sie zurück in ihr Hotelzimmer, packte Stadtplan und eine Flache Wasser in einen kleinen Rucksack und machte sich auf den Weg in das kleine Internetcafe, in dem sie damals Leon kennen lernte. Zunächst führte sie ein Ferngespräch mit ihrer Mutter, die sich schon sehr über Hannahs Rückkehr freute. „Mach dir keine Sorgen, Liebes. Dein Vater und ich haben hier alles geregelt. Du bleibst erstmal ein paar Tage bei mir und kannst erstmal in Ruhe ankommen. In der Zeit kannst du unten im Keller mal gucken, was du von deinen alten Sachen mitnehmen willst." Hannah atmete laut aus. „Na das kann ja heiter werden." Ihre Mutter lachte vergnügt. „Wir schaffen das schon, Liebes. Sandra freut sich auch schon wie Bolle dich zu sehen. Sie und Sascha haben sich auch gleich dazu bereit erklärt dir bei deinem Umzug zu helfen. Ich glaube, Sandra freut sich besonders aufs Möbelkaufen." Hannah stimmte in das Lachen ihrer Mutter mit ein. „Ok Mama. Dann ist ja alles fürs Erste geklärt. Und du holst mich vom Flughafen ab?" „Sicher, doch."

Im Anschluss kämpfte sich Hannah durch ihre E-Mails. Sie staunte über die ganzen Mails, die sich über Monate angesammelt hatten und fing an, sämtliche Werbemeldungen zu löschen, ohne diesen eine größere Beachtung zu schenken. Hin und wieder waren Nachrichten von Sandra und ihrer Mutter dazwischen, die sie überflog, jedoch nicht beantwortete, da sie beide in ein paar Tagen so oder so sehen würde. Im Posteingang wurden ihr ebenfalls Nachrichten angezeigt, dessen Absender sie nicht kannte. Als sie die erste Nachricht jedoch öffnete und die ersten Zeilen gelesen hatte, machte ihr Herz einen Hüpfer. Paddy hatte ihr tatsächlich geschrieben und das, wie sie an den Daten feststellte, in regelmäßigen Abständen. Seine Mails waren recht kurz. Dennoch freute sie sich tierisch über ein Lebenszeichen von ihm.

Nacheinander las sie jede einzelne Mail, in denen Paddy aus seinem Leben erzählte. Die neuste Nachricht war wesentlich länger als die Nachrichten davor und hatte dazu einen seltsamen Betreff.

Betreff: Wenn das Leben ein großer Haufen Scheiße ist

Hey,

Ich denke, du bist immer noch nicht dazu gekommen, deine E-Mails zu lesen. Ich beschwere mich auf keinen Fall deswegen. Du hast ja gesagt, dass das alles ein bisschen dauern könnte. Ich habe mich aber irgendwie dran gewöhnt, dir zu schreiben, also warum nicht auch jetzt?

Ich hoffe, du liest meine Nachrichten alle chronologisch, damit ich jetzt nicht alles nochmal erzählen muss. Ich habe ja bereits erwähnt, dass ich mit Tricia Maite besucht habe und sie dringend weg musste. Ich war am hin und her überlegen, ob ich dir das auf diesem Wege überhaupt mitteilen sollte, aber ich muss meine Gedanken dazu einfach loswerden. Vielleicht hat dir das auch Maite schon erzählt (was ich jedoch bezweifle, weil du dich weder bei ihr noch bei mir gemeldet hast. Wenn du dich allerdings nur bei Maite gemeldet hast, bin ich persönlich beleidigt!!!) Die Nachricht kann man auch gar nicht schön verpacken, so dass ich das jetzt schlicht und einfach schreibe. Bei Tricia wurde Brustkrebs fest gestellt. Wir alle sind geschockt über diese Nachricht und versuchen ihr alle so gut es geht beizustehen. Allein diese Diagnose ist wie ein fester Schlag in die Magengrube. Vor allem Kathy und John sind zutiefst getroffen. Ich denke vor allem meine älteren Geschwister fühlen sich in die Vergangenheit zurückversetzt und haben schreckliche Angst. Gestern habe ich Tricia besucht und auch wenn sie sagt, dass es ihr gut geht. Sie sieht einfach beschissen aus. Die Ärzte sind guter Dinge und auch das stimmt mich positiv, aber warum zur Hölle passiert das gerade Patricia? Warum passiert das gerade meiner großen Schwester, deren Herz so groß ist, dass sich jeder in ihrer Nähe geborgen fühlt? Ich weiß, sie ist in der Klinik in sehr guten Händen und wenn Gott will (und davon muss ich einfach überzeugt sein), dann erlebt sie noch viele wunderbare Jahre. Aber Hannah; Als ich sie heute gesehen habe, mit tiefen schwarzen Schatten unter den Augen und so zerbrechlich, bekomme ich es mit der Angst zu tun. Ich fühle mich so hilflos und hasse es nichts weiter tun zu können, als für sie und ihre Familie zu beten und meine Hilfe in jeglicher Form anzubieten.

Bitte mache dir jetzt nicht allzu viele Sorgen. Die Ärztin ist sehr zuversichtlich. Ich wusste nur nicht, mit wem ich darüber reden sollte. Ich musste meine Angst und meine Sorgen einfach loswerden und es tut mir leid, dass es dich getroffen hat.

Sonst ist allen beim Alten. Nichts neues. Ich hoffe es geht dir gut und ich höre endlich mal von dir.

Bis Bald

Paddy


Hannah lief es beim Lesen eiskalt den Rücken herunter. Sie spürte förmlich Paddys Verzweiflung und hätte ihn am liebsten sofort angerufen. Nur zu gut konnte sie sich vorstellen, wie sich Paddy und seine Geschwister fühlen mussten, vor allem nach dem Schicksal, das ihrer Mutter widerfahren ist. Mit schnellen Fingern tippte Hannah eine Antwort.


Betreff: AW: Wenn das Leben ein großer Haufen Scheiße ist

Hey Paddy,

das tut mir so unendlich leid...für euch alle! Patricia schafft das. Da bin ich mir sicher. Ihr seid alle so ein zäher Haufen. Ich glaube fest daran, dass alles wieder gut wird. Wenn du reden willst, ich bin immer für dich da und das auch bald nicht mehr nur übers Internet. Übermorgen fliege ich zurück nach Deutschland und bin auch für zwei Wochen in Köln, ehe es für mich weiter nach München geht. Warum ist es nicht so wichtig, aber wenn du reden willst oder so, ich bin da. Schreib mir einfach.

Bis hoffentlich bald

Hannah

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