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Hannah nahm mehrere Stufen auf einmal, stieß mit voller Wucht ihre Haustür auf und knallte sie kurz danach zu. Das Zittern ihrer Knie ließ sie auf den Boden sinken. Die letzten Tage hatte sie sich so sehr auf ihre Feier gefreut, noch mehr jedoch über Leon, den sie endlich wiedersehen würde. Sie verstand selbst nicht, warum sie auf Paddy und Mareike so emotional reagierte. Stockend schnappte sie nach Luft, um ein Schluchzen zu unterdrücken, doch sie schaffte es nicht ihre Tränen im Zaum zu halten und ließ es schließlich zu, dass ihre Wangen nass wurden. Eine gefühlte Ewigkeit saß Hannah auf den Boden, den Rücken an ihre Haustür gelehnt und starrte in die leere Wohnung. Ihre Gedanken fuhren Achterbahn und sie versuchte sich selbst zu beruhigen, verdrängte ihre wirren Gedanken und das Bild von Mareike und Paddy, wie sie verliebt vor ihr standen. Sie presste ihre Daumen in ihre Tränendrüsen und atmete einige Male bewusst ein und aus, ehe sie nach den Eiskübel griff und in die Küche ging. Sie füllte das Eis auf und begutachtete sich im Spiegel. Ihre Wimpertusche war ein wenig verschmiert und die Augen gerötet. Mit einem leisen Seufzer ging Hannah in das Badezimmer und korrigierte ihr Make-Up. Nachdem sie ihre Augen bewusst schloss und noch einmal tief durchatmete, strich sie ihr Kleid glatt, straffte ihre Schultern und ging erhobenen Hauptes wieder auf ihre Feier zurück. Dabei dachte sie zwingend an Leon, so dass alle Gedanken in den Hintergrund gedrängt wurden. Auf dem Weg zurück in den Garten, kam ihr Sandra im Treppenhaus entgegen. „Hannah, ich warne dich schon einmal vor. Weißt du wer hier ist?", fragte sie und musterte Hannah von oben bis unten. Hannah nickte stumm. „Ja, ich weiß." „Hast du ihn etwa eingeladen?" Wieder antwortete Hannah nur mit einer Geste. „Hey, aber hast du Leon vielleicht schon gesehen?" „Hä? Wieso Leon? Wir reden schon gerade über dieselbe Person, oder?" „Ja, ja. Ich weiß. Paddy ist hier, so what. Leon kommt heute noch." Hannah versuchte so gelassen wie möglich zu klingen. Skeptisch beäugte Sandra ihre Freundin. „Nein, der ist mir noch nicht über den Weg gelaufen. Du ich komme gleich wieder runter, ich muss nur mal kurz auf die Toilette." Mit diesen Worten verschwand Sandra in Hannahs Wohnung.

Die Feier war in vollem Gange. Hannah hat sich, während Sandra weg war, zu ihren Arbeitskollegen gestellt und trank mit ihnen den ein oder anderen Likör. Dabei konzentrierte sie sich peinlichst genau auf ihre Gesellschaft, lachte über jeden Witz, auch wenn er schlecht war, und unterhielt sich konzentriert mit jeden, nur nicht um nach Mareike und Paddy Ausschau halten zu müssen. Nach einiger Zeit schaute Hannah auf die Uhr und fragte sich, wo Leon bleibt. Sie vermutete jedoch, dass es bei der Gepäckausgabe länger als erwartet dauerte und er schon auf dem Weg sein müsste. Die Menschenblase der Kollegen löste sich langsam auf und Hannah gesellte sich zu Sandra und Maite, die sofort verstummten als sie sich näherte. Hannah lächelte ihre Freundinnen an. „Und was habe ich verpasst?", fragte sie gelassen und ließ sich auf einer der Stühle nieder. Ehe eine der beiden antworten konnte, stieß Mareike auf die kleine Runde und überreichte Maite ein volles Glas. „Danke Maike." „Wie klein die Welt doch ist, findet ihr nicht auch?" Hannah zwang sich zu einem Lächeln. „Ja das ist wohl wahr." Maite und Sandra tauschten flüchtig einen Blick. „Wenn ich gewusst hätte, dass Patrick dein Klient ist und deine Freundin seine Schwester. Verrückt. Das ist einfach verrückt." ‚So verrückt, dass ich mich am liebsten auf meiner eigenen Feier erschießen möchte', dachte sich Hannah mit zusammen gebissenen Zähnen und lächelte gekünstelt. Sandra versuchte das Thema zu wechseln und fragte in die Runde, ob sie denn wüssten, dass Leon heute noch kommen würde. Mareike verneinte und plapperte drauf los und hörte auch nicht auf, als Paddy an ihrer Seite erschien. „Jetzt aber genug von der Arbeit.", sagte Mareike. Wie habt ihr euch alle kennen gelernt?" Maite lachte. „Naja, das ist offensichtlich. Paddy ist mein Bruder." Die jungen Frauen lachten, nur Hannah blieb stumm. „Ich war mit Hannah in einer Klasse und warte", sie suchte nach Nicole und Nora und zeigte auf die beiden, als sie sie fand, „Die beiden da drüben, Nora und Nicole waren ebenfalls mit uns in einer Klasse. „Ich habe Hannah bei einem Familienurlaub kennen gelernt", erklärte Maite. „Das ist auch schon Jahre her. Seitdem sind wir aber befreundet." Hannah lächelte ihr zu. „Das stimmt. Und wenn ich Ferien hatte, habe ich die meiste Zeit eigentlich bei Maite rumgehangen." „Dann hattest du bestimmt auch viel mit dem hier zutun?", fragte Mareike und tätschelte Paddy den Bauch, schaute zu ihm auf. Paddy, der bis zu diesem Zeitpunkt nur zuhörte, meldete sich zu Wort. „Ja wir hatten vieles miteinander zutun. Wir waren auch für kurze Zeit zusammen, weißt du." Hannah verschluckte sich an ihrem Getränk und hustete so doll, dass ihr die Tränen kamen. Sandra klopfte ihr auf die Schulter, während Maite fassungslos zu ihrem Bruder aufsah. Paddy lächelte triumphierend und gab Mareike einen Kuss auf den Scheitel. „Das ist aber schon sehr lange her, musst du wissen. Wir waren beide noch Teenager, stimmt's Hannah?" Hannah war zu sehr damit beschäftigt nicht zu ersticken und antwortete nicht. Mareike war fassungslos begeistert von der Geschichte. „Dann war das alles noch vor dem Kloster?", fragte sie aufgeregt. Paddy nickte. „Wahnsinn. Du hast echt schon so viel erlebt." Hannah traute ihren Ohren kaum. Sie wischte sich die Tränen weg und sah Paddy gehässig an, während sie Mareike auf Chris ansprach. „Ich dachte, du kommst heute mit Chris?", fragte Hannah, doch Mareike machte eine flüchtige Handbewegung. „Ach Chris. Den hatte ich gar nicht vor zu fragen." „Chris ist doch die Woche eh bei seinen Eltern, oder?", fragte Paddy an Mareike gerichtet. „Ach so", sagte Hannah resigniert und hätte bei Paddys blöden Grinsen am liebsten gekotzt. „Und wo habt ihr euch kennen gelernt?", fragte sie stattdessen mit geheucheltem Interesse. „Das ist eigentlich ganz witzig gewesen. Wir haben uns durch Chris kennen gelernt. Wir waren zusammen in einer Bar und ja, haben viel miteinander geschrieben und uns dann auch öfter getroffen und haben auch viel zusammen mit Chris unternommen. Wie das halt so ist." Wieder strahlte Mareike über das ganze Gesicht, schaute Paddy wieder verliebt an und klimperte verführerisch mit ihren langen Wimpern. „Aha", sagte Hannah und klang dabei angewiderter als sie wollte, doch Mareike schien dies nicht zu bemerken. „Entschuldigt ihr uns kurz?" Mit diesen Worten ging sie zusammen mit Paddy zu einer Gruppe von Arbeitskollegen und verschwand in der Menge. Wieder tauschten Maite und Sandra skeptische Blicke aus, die Hannah diesmal nicht unbemerkt blieben. „Was?", fauchte sie und leerte ihr Glas in einem Zug. „Echt jetzt? Du klangst gerade echt patzig", merkte Maite an, Sandra nickte zustimmend. „Ach quatsch, du spinnst doch. Du reimst dir da nur wieder irgendwas zusammen." Hannah stand auf, holte sich noch einen Drink und gesellte sich wieder zu Paul. Maite seufzte laut und sah ihrer Freundin besorgt hinterher. „Du wusstest aber nicht, dass Paddys neue Freundin, Mareike aka ihre Arbeitskollegin ist, oder?" „Ach wo denkst du hin? Natürlich wusste ich das nicht. Paddy hat zwar erzählt, dass er jemanden kennen gelernt hat, aber ich wusste nicht, dass Maike Mareike ist. Weißt du, Paddy erzählt mir schon lange nicht mehr so viel wie früher, seit er weggezogen ist, aber weißt du, was ich glaube?" Als Sandra den Kopf schüttelte, fuhr Maite fort. „Sie tut ihm gut. Es ist schon Ewigkeiten her, dass er so gelöst von allen Problemen war. Wenn er ihr schon vom Kloster erzählt und selbst von Hannah, dann scheint das nicht nur einfach eine kurze Geschichte zu sein." Sandra beobachtete Paddy und Maike, wie sie sich angeregt mit anderen Gästen unterhielten und sie fast schon wie eine feste Einheit wirkten.

Hannah kam wütend und traurig zugleich zu Sandra und Maite zurück und überreichte ihnen jeweils einen Schnaps, den sie schweigend annahmen. „Und jetzt trinken wir auf meinen Geburtstag und auf Leon, der es tatsächlich schafft am anderen Ende der Welt seinen Flieger zu verpassen und heute definitiv hier nicht mehr auftauchen wird." Sie trank ihren Schnaps so schnell, dass sie das Glas auf den Tisch knallte und ohne die Reaktion von Sandra und Maite abzuwarten auf dem Absatz kehrt machte und weitere Schnäpse besorgte, um mit Nora und Nicole anzustoßen. Maite lehnte sich besorgt zu Sandra rüber. „Du schläfst heute bei ihr?", fragte sie, „Ich denke, ich bin heute wohl nicht die richtige Person zum Reden." Sandra nickte. „Ich sage Tina gleich Bescheid und sage ihr, dass wir heute Nacht unsere Unterkünfte tauschen."

Was wäre wenn?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt