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Vor der Bar hielt Hannah kurz inne und überlegte, ob sie wirklich hinein gehen sollte. Aus der Bar ertönte Gelächter und Musik nach draußen. Die Stimmung war ausgelassen und fröhlich. Hannah hielt die Türklinke einen Moment fest. Als sie von Maike entdeckt wurde, die zur Tür schaute und ihr freudig zuwinkte, gab es kein zurück. Hannah atmete tief durch und setzte ein Lächeln auf, um Maike und ihre Clique zu begrüßen. Christian kannte sie bereits und begrüßte ihn freundlich. Nach und nach stellte Maike Hannah auch die anderen drei aus der Runde vor. „Das sind Pepe, Marianna und Lukas. Alles Studienkollegen von mir." Hannah machte deutlich, dass sie verstand und schaute sich in der Bar um. „Wo kriege ich denn etwas zu trinken her?" „Von mir.", sagte eine ihr vertraute Stimme und drehte sich zu Paddy, der ihr ein Wasserglas reichte. „Was machst du denn hier?", fragte er. Er schrie schon fast, da just in diesem Moment die Musik lauter wurde und der erste Freiwillige sein Intrument stimmte. Hannah machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach das ist nicht der Rede wert. Maike hat mich gefragt, ob ich nicht nachkommen möchte und hier bin ich. Spielst du heute auch?" Paddy schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Ich bin heute nur seelische Unterstützung für Christian."

Hannah verstand sich prima mit Maikes Kommilitonen und diskutierte angeregt mit ihnen über Gott und die Welt. Hin und wieder beobachtete sie Maike und Paddy, wie sie vertraut am anderen Ende des Tisches saßen und gemeinsam lachten. Hannah war neidisch auf das, was Maike mit Paddy hatte und in ihr kam die Eifersucht hoch. Sie wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher als Leon, der einfach bei ihr war, der die Arbeit mal Arbeit sein ließ und mit ihr einen gemütlichen Abend mit Freunden verbrachte. Warum musste sie in ihrer Beziehung ständig zurück stecken? Wie gerne hätte sie mit Leon die Hochzeit gemeinsam geplant oder auch einfach Dinge unternommen, die Pärchen nun mal so tun. Für einen kurzen Augenblick wünschte sich Hannah mit Maike zu tauschen und ihren Platz an Paddys Seite einzunehmen. Als ihr jedoch bewusst wurde, woran sie dachte, schob sie diesen Gedanken zur Seite und brachte sich wieder mehr in das Gespräch zwischen Pepe und Marianna ein. „Wie sieht es denn aus? Wollt ihr auch noch etwas trinken?", fragte sie und stand auf, um an die Bar zu gehen.

Paddy hingegen blieb es nicht verborgen, dass Hannah etwas bedrückte. Nachdem er Christian half, seine Gitarre auf der Bühne zu installieren, ging er auf Hannah zu, die sich gerade an der Bar ein Bier bestellte. „Alles klar bei dir?", fragte er gerade heraus. „Du siehst so nachdenklich aus." Hannah nickte gequält. „Alles in Ordnung. Und bei dir?" Paddy nickte zaghaft. „Ist wirklich alles ok? Ich weiß, ich wiederhole mich, aber du siehst nicht glücklich aus." Hannah senkte den Blick und schüttelte kaum merklich den Kopf. „Komm!", sagte Paddy und zog Hannah durch die Menge in einen kleinen Flur, der zu der Küche und den Waschräumen führte. „Hier ist es ruhiger. Also, was ist passiert?", fragte Paddy mit einer leichten Besorgnis in der Stimme. Hannah betrachtete Paddy und prägte sich seine Gesichtszüge ein, sein besorgtes Gesicht und seine strahlend blauen Augen, die trotz der Besorgnis funkelten und so eine Wärme und Ruhe ausstrahlten, dass Hannah nicht anders konnte, als ihm von ihrem Dilemma mit Leon zu erzählen. Langsam rutschte Hannah an der Wand hinunter, bis sie auf dem Boden saß. Paddy tat es ihr gleich und gesellte sich zu ihr. „Und was sagst du zu Leon?", fragte Hannah nun direkt. Paddy schnaufte. „Hannah, ehrlich. Ich bin in der Sache nicht mehr so objektiv wie ich es vielleicht sein sollte. Mir gefällt es nicht, dass er dich ständig enttäuscht." „Er hat eben viel Arbeit.", erwiderte Hannah. „Da muss man eben manchmal zurück stecken." „Siehst du das so?", fragte Paddy zweifelnd. Hannah zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Anfangs bin ich immer sehr wütend und enttäuscht. Manchmal wünschte ich mir dann auch einfach eine einfachere Beziehung oder dass ich alles hinschmeißen könnte...aber dann denke ich mir auch, so ist einfach Leon und seine Arbeit, so habe ich kennen gelernt. Ich wusste von vorne rein, worauf ich mich einlasse." Paddy schüttelte den Kopf. „Noch hast du dich auf gar nichts eingelassen! Hannah, du weißt, du musst das alles nicht tun. Du bist ein freier Mensch." Hannah nickte. „Ich weiß, aber ich will es so." „Was willst du genau? Willst du Leon oder gefällt dir einfach nur die Idee von Hochzeit, Familie und einem Eigenheim? Wenn du das willst, da gibt es Hunderte, nein Tausende andere Männer, die dich glücklich machen können und genau das wollen, was du willst." Hannah unterdrückte ihre Tränen. Es war immer wieder erstaunlich, wie gut Paddy sie kannte und er auch, nach all der Zeit, mitten ins Schwarze getroffen hatte. „Meinst du?" „Hannah...ich...", setzte Paddy an. „Ich würde..." „Ach hier seid ihr.", ich habe euch schon gesucht. Paddy Christian sucht dich." Paddy wendete sich erschrocken von Hannah ab und stand schnell auf, als Maike auf sie zukam. Maike blieb verwundert stehen. „Ist alles klar bei euch? Habe ich euch gestört?" „Nein, nein. Ich geh dann mal zu Chris.", sagte Paddy hastig und gab Maike beim Vorbeigehen einen Kuss auf die Stirn. Ein wenig skeptisch schaute Maike Paddy hinterher. Hannah richtete sich während dessen ebenfalls auf und schaute beschämt zu Boden. „Ich gehe noch schnell auf die Toilette." Maike nickte und verschwand wieder zu ihrem Tisch. Mit zittrigen Knien betrat Hannah das Badezimmer und atmete mehrmals tief durch. Dieser kurze Augenblick mit Paddy ließ Hannah das Blut in den Adern gefrieren. Was wollte Paddy nur sagen? Sie verfluchte insgeheim Maike dafür, dass sie genau zur rechten Zeit am falschen Ort war und Paddy unterbrach. Nachdem sich ihr Puls jedoch normalisierte, redete sie sich ein, dass dieser Moment nichts bedeutete und das Gespräch nur ein Gespräch unter Freunden war. Paddy sorgte sie um sie. Was war dabei? „Hör auf, da etwas hinein zu interpretieren", sagte Hannah bestimmt zu ihrem Spiegelbild und ging langsam zurück zu den anderen.

Als Hannah sich setzte, stellte sie fest, dass nicht Christian, sondern Paddy auf der Bühne stand. „Hey Guys. Also eigentlich wollte der gute Christian euch ein bisschen was vorspielen. Keine Sorge. Das macht er auch gleich. Ich spiele die Gitarre nur schon mal warm." Paddy grinste breit als das Publikum in sein Lachen einstimmte und anfing zu klatschen. „Also ich bin ja ein Riesenfan von Bruce Springsteen." Paddy stimmte die Gitarre nach und spielte ein paar Akkorde. „Ok jetzt hab ich's." Dann erklangen die Töne in voller Lautstärke und Paddy fing an zu singen:

„We said we'd walk together, baby, come what may

That come the twilight should we lose our way

If as we're walking a hand should slip free

I'll wait for you, should I fall behind wait for me"


Hannah stand regungslos da und starrte Paddy an, der wie selbstverständlich auf der Bühne stand und sang. Paddy sah durch die Menge. Er war voll in seinem Element und legte ein Gefühl in seine Stimme, wie keiner gleichen.


"Now everyone dreams of love lasting and true

Oh but you and I know what this world can do

So let's make our steps clear that the other may see

And I'll wait for you, and if I should fall behind wait for me"


Die Blicke von Hannah und Paddy trafen sich. „I'll wait for you, and if I should fall behind wait for me." Es schien als ob er nur für Hannah singen würde. Paddy fixierte Hannahs Blick und löste ihn erst, als das Lied zu Ende war und die Besucher der Bar anfingen wie wild zu klatschen. Hannah war überfordert, war überfordert von der Situation und von ihren Gefühlen, die sie nicht mehr einordnen konnte. Sie schnappte sich ihre Jacke und Tasche, verabschiedete sich sporadisch von Maikes Kommilitonen und von Maike und stürmte aus der Bar.

Paddy sah noch, wie Hannah die Bar verließ und drückte Christian die Gitarre in die Hand. Er wollte ihr hinterher, doch er wurde von Maike aufgehalten, die sich ihm um den Hals warf und ihm fzu diesem tollen, spontanen Auftritt gratulierte.


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