PROLOG

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Es war ein normaler Sommernachmittag im August 2008. Hin und wieder wurde die Sonne von Wolken bedeckt, die wie flauschige Schafe langsam am Himmel vorbeizogen. Es war angenehm warm. Der Asphalt der Straßen brannte und erwärmte die Luft. Wie gewöhnlich war die A1 gut befahren, hin und wieder stockte der Verkehr, doch stadtauswärts ging es gut voran. Neben vielen weiteren Passanten war eine junge Frau in einem roten Golf in Richtung Erftstadt unterwegs. Sie kannte diese Strecke nur zu gut. Vor Jahren ist sie diese Strecke öfter und vor allem auch gerne gefahren. Doch heute fuhr sie mit einem mulmigen Gefühl im Magen zu ihrem altbekannten Ziel. Nervös suchte die junge Frau nach einem passenden Radiosender. „Because of you, I never stray too far from the sidewalk", ertönte die Stimme avon Kelly Clarkson aus dem Radio. Genervt stellte sie den nächsten Sender ein: „Why do you have to go and make things so complicated." Wieder wurde der Radiosender gewechselt: „Du willst hier weg du willst hier raus, du willst die Zeit zurück." „Verfluchte scheiße!", wetterte die junge Frau und schaltete das Radio aus. „Solche Schnulzen kann ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen.", knurrte sie. Auf dem Beifahrersitz ertönte ein Handy, das lauthals vor sich hin summte. Über eine Freisprecheinrichtung nahm die junge Frau den Anruf entgegen. „Ja?" „Meine Güte was rauscht denn bei dir so?", ertönte eine sympathische Männerstimme aus den Lautsprechern. Die junge Frau seufzte als sie die Stimme des Anrufers erkannte. „Hallo Emil. Du rufst aber auch immer im richtigen Moment an, weißt du das?" Emil fing an zu kichern. „Du kennst mich doch, Hannah. Das ist meine Spezialität. Wo steckst du gerade?" „Ich sitze im Auto auf dem Weg nach Gymnich." Eine kurze Stille trat ein, ehe Emil die Fassung wieder erlangte. „Du hast dich echt durchgerungen?" „Falls du es nicht gehört hast, ich habe genickt", sagte Hannah, worauf hin Emil leicht lachte. „Was ist, wenn er da plötzlich auftaucht?", fragte er besorgt. „Emil, dieser „er" wohnt in einem Kloster in Frankreich, schon vergessen? Der wird mit Sicherheit nicht da sein. Außerdem ist dieses Thema strikt tabu. Ich will nichts über ihn wissen." „Du vielleicht nicht, aber was ist mit ihm?", harkte Emil nach, „Immerhin würde er sehr gut an Informationen rankommen." Hannah schnaubte. „Mehr als ein ‚ihr geht es gut', kriegt er von Maite eh nicht zu hören. Ich vertraue Maite und ich habe sie darum gebeten, keine privaten Dinge über mich weiter zu tratschen. Warum rufst du eigentlich an? Du wolltest jetzt doch bestimmt nicht nur den Moralapostel spielen." „Ach ja richtig. Hast du nochmal mit deinem Vater gesprochen?" „Du meinst wegen Äthiopien? Ja sicher, er freut sich wirklich über Verstärkung und versucht alles in die Wege zu leiten." Emil freute sich über Hannahs Aussage. „Perfekt. Sag mal, willst du wirklich nicht mit nach Äthiopien? Was hält dich denn noch hier? Mit Jürgen ist es vorbei, du bist an niemanden gebunden und zudem eine exzellente Psychologin. Wir können dich da unten gut gebrauchen." „Emil, das Thema hatten wir doch schon.", flehte Hannah förmlich. „Ja, ja. Ist ja schon gut, aber ich würde dich trotzdem gerne dabeihaben. Ich denke Abstand von Köln würde dir ganz gut tun." „Hör auf mich zu therapieren, Emil. Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen. Du ich muss auflegen, ich bin gleich da. Wir telefonieren morgen, ok?" „Sicher, viel...", Emil suchte nach den passenden Worten, „Spaß bei der Veranstaltung." Hannahs Stimme wurde wieder weicher. „Mach dir nicht so viele Sorgen, es ist nur eine Benefizveranstaltung. Also bis dann."

Hannah parkte den Wagen und schaute die Einfahrt zum Schloss hinauf. Dabei zögerte sie beim Aussteigen. Das letzte Mal, als sie auf Schloss Gymnich war, war zu Silvester 1998, im fünften Monat schwanger und mit Paddy auf Wolke sieben. Seitdem hatte sich einiges getan. Sie verlor das gemeinsame Kind, im Anschluss endete die Beziehung zu Paddy und er ging Jahre später ins Kloster. Das letzte Mal als sie ihn sah, war auf der Hochzeit von Patricia und Denis. Damals lernte sie, wenn auch ungewollt, Paddys neue Freundin Maren kennen. „Glaub mir, die ist nur ein Lückenbüßer", versicherte ihr Maite damals nach der Hochzeit, doch so etwas wollte Hannah nicht hören. Es hatte sie nicht zu interessieren. Zudem wollte sie das Thema Paddy endlich ad acta legen, was ihr selbst nach Jahren der Trennung immer noch nicht richtig gelang. Während sie den Kontakt zu Paddy komplett abgebrochen hatte, versuchte sie dennoch den Kontakt zu Maite zu pflegen. Durch die Trennung mussten einige Regeln her, zu denen unter anderem die Regel „Ich will nichts von Paddy wissen und er muss auch nichts über mich erfahren" gehörte. Maite protestierte heftig dagegen. Schließlich war sie seine Schwester und sie hatten schon immer ein besonders inniges Verhältnis. Sie fand Hannahs Bedingungen lächerlich. Im Gegensatz zu ihr, fragte Paddy öfter nach ihr und es brach Maite das Herz, wenn sie in die traurigen blauen Augen sah, aus denen die Neugier erlosch, wenn sie sagte: „Ich weiß nicht wie es ihr geht."

Hannah schlenderte über das Anwesen, bis sie auf eine Reihe von Menschen traf, die sich unter einem Pavillon versammelten. Sie schnappte sich ein paar Häppchen und ein Sektglas, ehe sie sich unter die Menge mischte und auf Maite wartete. Für Hannah war es ungewohnt ihre Freundin ohne ihre Geschwister auf der Bühne zu sehen, doch es gefiel ihr sehr gut. Fernab war das laute knallen von einem Feuerwerk zu hören, als Maite das nächste Lied ansagen wollte. „Boah, die meinen es wirklich ernst." Das Publikum lachte. Sie zupfte an den Saiten der Gitarre, und sprach unbeirrt fort. „Ihr hab das ja bestimmt schon mal gesehen, hier laufen ja auch Menschen rum in so einer Kutte. Ich habe einen Bruder, der hieß mal Paddy." Viele fingen an zu Jubeln "Und dieser Bruder...also auf Spanisch sagt man, der hat cojones. Denn er hatte den Mut das zu tun, was er wirklich tun wollte. Dieses Lied habe ich für ihn komponiert." Hannah rutschte das Herz in die Hose. ‚Was kommt denn jetzt?', dachte sie sich, ehe Maite ihr Lied für Paddy anspielte. Allein wie Maite auf der Bühne stand und mit so viel Gefühl die ersten Zeilen sag, ließen Hannah Tränen in die Augen steigen.

„So we danced, and we laughed and we cried and we fought. And we never gave a damn about what others thought. Yes we danced and we laughed and we cried and we fought and we swore each other, we swore each other. I look at you and you looks at me. Nothing's for free...sorry."

Als selbst bei Maite die Tränen über die Wangen liefen, konnte Hannah nicht mehr an sich halten und verließ die Veranstaltung. Im Auto atmete sie einmal tief durch, ehe sie Emil anrief. Sie riss sich zusammen, um nicht ganz zu verheult zu klingen. „Hi, Emil. Ich hab's mir anders überlegt. Ich komme mit nach Äthiopien."

Was wäre wenn?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt